#erichkästner

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Erich Kästner - Der April

Wieso Warum | Ausgewählte Gedichte 1928 -1955 | Aufbau-Verlag Berlin und Weimar | 1965

Der Regen klimpert mit einem Finger
die grüne Ostermelodie.
Das Jahr wird älter und täglich jünger.
o Widerspruch voll Harmonie!

Der Mond in seiner goldenen Jacke
versteckt sich hinter dem Wolken-Store.
Der Ärmste hat links eine dicke Backe
und kommt sich ein bißchen lächerlich vor.
Auch diesmal ist es dem März geglückt:
Er hat ihn in den April geschickt.

Und schon hoppeln die Hasen,
mit Pinseln und Tuben
und schnuppernden Nasen,
aus Höhlen und Gruben
durch Gärten und Straßen
und über den Rasen
in Ställe und Stuben.

Dort legten sie Eier, als ob's gar nichts wäre,
aus Nougat, Krokant und Marzipan.
Der Tapferste legt eine Bonbonniere.
Er blickt dabei entschlossen ins Leere.
Bonbonnieren sind leichter gesagt als getan.

Dann geht es ans Malen. Das dauert Stunden.
Dann werden noch seidene Schleifen gebunden.
Und Verstecke gesucht. Und Verstecke gefunden:

Hinterm Ofen, unterm Sofa,
in der Wanduhr, auf dem Gang,
hinterm Schuppen, unterm Birnbaum,
in der Standuhr, auf dem Schrank.

Da kräht der Hahn den Morgen an!
Schwupp, sind die Hasen verschwunden.
Ein Giebelfenster erglänzt im Gemäuer.
Am Gartentor lehnt und gähnt ein Mann.
Über die Hänge läuft grünes Feuer
die Büsche entlang und die Pappeln hinan.
Der Frühling, denkt er, kommt also auch heuer.
Er spürt nicht Wunder noch Abenteuer"
weil er sich nicht mehr wundern kann.

Liegt dort nicht ein kleiner Pinsel im Grase?
Auch das kommt dem Manne nicht seltsam vor.
Er merkt gar nicht, daß ihn ein Osterhase
auf dem Heimweg verlor.

#ErichKästner #Lyrik #Poesie #Ostern #April #Hastag

#Illustration #gmic #gimp #mywork

nebukadnezar@sechat.org

Erich Kästner - Der März

Wieso Warum | Ausgewählte Gedichte 1928 -1955 | Aufbau-Verlag Berlin und Weimar | 1965

Sonne lag krank im Bett.
Sitzt nun am Ofen.
Liest, was gewesen ist.
Liest Katastrophen.

Springflut und Havarie,
Sturm und Lawinen -
gibt es denn niemals Ruh
drunten bei ihnen?

Schaut den Kalender an.
Steht drauf: »Es werde!«
Greift nach dem Opernglas.
Blickt auf die Erde.

Schnee vom vergangenen Jahr
blieb nicht der gleiche.
Liegt wie ein Bettbezug
klein auf der Bleiche.

Winter macht Inventur.
Will sich verändern.
Schrieb auf ein Angebot
aus andern Ländern.

Mustert im Fortgehn noch
Weiden und Erlen.
Kätzchen blühn silbergrau.
Schimmern wie Perlen.

In Baum und Krume regt
sich's allenthalben.
Radio meldet schon
Störche und Schwalben.

Schneeglöckchen ahnen nun,
was sie bedeuten.
Wenn du die Augen schließt,
hörst du sie läuten.

#ErichKästner #Lyrik #Poesie #Frühling #März
#Illustration #gmic #gimp #mywork

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Erich Kästner - Der Februar

Wieso Warum | Ausgewählte Gedichte 1928 -1955 | Aufbau-Verlag Berlin und Weimar | 1965

Nordwind bläst. Und Südwind weht.
Und es schneit. Und taut. Und schneit.
Und indes die Zeit vergeht,
bleibt ja doch nur eins: die Zeit.

Pünktlich holt sie aus der Truhe
falschen Bart und goldnen Kram.
Pünktlich sperrt sie in die Truhe
Sorgenkleid und falsche Scham.

In Brokat und seidnen Resten,
eine Maske vorm Gesicht,
kommt sie dann zu unsren Festen.
Wir erkennen sie nur nicht.

Bei Trompeten und Gitarren
drehn wir uns im Labyrinth
und sind aufgeputzt wie Narren,
um zu scheinen, was wir sind.

Unsre Orden sind Attrappe.
Bunter Schnee ist aus Papier.
Unsre Nasen sind aus Pappe.
Und aus welchem Stoff sind wir?

Bleich, als sähe er Gespenster,
mustert uns Prinz Karneval.
Aschermittwoch starrt durchs Fenster.
Und die Zeit verläßt den Saal.

Pünktlich legt sie in die Truhe
das Vorüber und Vorbei.
Pünktlich holt sie aus der Truhe
Sorgenkleid und Einerlei.

Nordwind bläst. Und Südwind weht.
Und es schneit. Und taut. Und schneit.
Und indes die Zeit vergeht,
bleibt uns doch nur eins: die Zeit.

#ErichKästner #Lyrik #Poesie #Winter #Februar
#Illustration #gmic #gimp #krita #mywork

nebukadnezar@sechat.org

Erich Kästner - Der Januar

Wieso Warum | Ausgewählte Gedichte 1928 -1955 | Aufbau-Verlag Berlin und Weimar | 1965

Das Jahr ist klein und liegt noch in der Wiege.
Der Weihnachtsmann ging heim in seinen Wald.
Doch riecht es noch nach Krapfen auf der Stiege.
Das Jahr ist klein und liegt noch in der Wiege.
Man steht am Fenster und wird langsam alt.

Die Amseln frieren. Und die Krähen darben.
Und auch der Mensch hat seine liebe Not.
Die leeren Felder sehnen sich nach Garben.
Die Welt ist schwarz und weiß und ohne Farben.
Und wär so gerne gelb und blau und rot.

Umringt von Kindern wie der Rattenfänger,
tanzt auf dem Eise stolz der Januar.
Der Bussard zieht die Kreise eng und enger.
Es heißt, die Tage würden wieder länger.
Man merkt es nicht. Und es ist trotzdem wahr.

Die Wolken bringen Schnee aus fremden Ländern.
Und niemand hält sie auf und fordert Zoll.
Silvester hörte man' s auf allen Sendern,
daß sich auch unterm Himmel manches ändern
und, außer uns, viel besser werden soll.

Das Jahr ist klein und liegt noch in der Wiege.
Und ist doch hunderttausend Jahre alt.
Es träumt von Frieden. Oder träumt' s vom Kriege?
Das Jahr ist klein und liegt noch in der Wiege.
Und stirbt in einem Jahr. Und das ist bald.

#ErichKästner #Lyrik #Poesie #Winter #Januar
#Illustration #gmic #gimp #mywork

mme_de_faune@nerdpol.ch

Die hessische Stadt #Hofgeismar wirbt auf ihrer Homepage mit folgendem #Gedicht von #ErichKästner

Brief an den Weihnachtsmann

Lieber guter Weihnachtsmann,
Weißt du nicht, wies um uns steht?
Schau dir mal den Globus an.
Da hat einer dran gedreht.

Alle stehn herum und klagen.
Alle blicken traurig drein.
Wer es war, ist schwer zu sagen.
keiner wills gewesen sein.

Uns ist gar nicht wohl zumute.
Kommen sollst du, aber bloß
Mit nem Stock und mit ner Rute.
Beide bitte ziemlich groß.

Leg die Herrn der Industrie,
Auch wenn sie sich harmlos stellen,
Kurz entschlossen übers Knie,
Denn das hilft in solchen Fällen.

Ziehe denen, die regieren,
Bitteschön, die Hosen stramm.
Wenn sie heulen und sich zieren,
Zeig auf ihr Parteiprogramm.

Und nach München lenk die Schritte,
Wo der Hitler wohnen soll.
Hau dem Guten, bitte, bitte,
Den Germanenhintern voll!

Komm, erlös uns von der Plage,
Weil ein Mensch das gar nicht kann.
Ach, das wären Feiertage!
Lieber, guter Weihnachtsmann …

https://www.hofgeismar.de/museum-hofgeismar/ausstellungsarchiv/advents-und-veranstaltungskalender/brief-an-den-weihnachtsmann/

#HauptstadtDerNWO? #LinksGrünVersifftesDornröschen? #ChemtrailsÜberHessen? #GesellschaftGeheimerGutmenschen?

nebukadnezar@sechat.org

#illustration #gmic #gimp #mywork

Erich Kästner - Der August

Wieso Warum? | Ausgewählte Gedichte 1928 - 1955 | Aufbau-Verlag 1965

Nun hebt das Jahr die Sense hoch
und mäht die Sommertage wie ein Bauer.
Wer sät, muß mähen.
Und wer mäht, muß säen.
Nichts bleibt, mein Herz. Und alles ist von Dauer.

Stockrosen stehen hinterm Zaun
in ihren alten, brüchigseidnen Trachten.
Die Sonnenblumen, üppig, blond und braun,
mit Schleiern vorm Gesicht, schaun aus wie Fraun,
die eine Reise in die Hauptstadt machten.

Wann reisten sie? Bei Tage kaum.
Stets leuchteten sie golden am Stakete.
Wann reisten sie? Vielleicht im Traum?
Nachts, als der Duft vom Lindenbaum
an ihnen abschiedssüß vorüberwehte?

In Büchern liest man groß und breit,
selbst das Unendliche sei nicht unendlich.
Man dreht und wendet Raum und Zeit.
Man ist gescheiter als gescheit -
das Unverständliche bleibt unverständlich.

Ein Erntewagen schwankt durchs Feld.
Im Garten riecht' s nach Minze und Kamille.
Man sieht die Hitze. Und man hört die Stille.
Wie klein ist heut die ganze Welt!
Wie groß und grenzenlos ist die Idylle ...

Nichts bleibt, mein Herz. Bald sagt der Tag Gute Nacht.
Sternschnuppen fallen dann, silbern und sacht,
ins Irgendwo, wie Tränen ohne Trauer.
Dann wünsche deinen Wunsch, doch gib gut acht!
Nichts bleibt, mein Herz. Und alles ist von Dauer.

#ErichKästner #Lyrik #Poesie #Gedichte

francoisvillon@societas.online

Erich Kästner - Ganz rechts zu singen

(Gesammelte Schriften für Erwachsene,1930)

Stoßt auf mit hellem hohem Klang!

Nun kommt das Dritte Reich!

Ein Prosit unserm Stimmenfang!

Das war der erste Streich!

Der Wind schlug um. Nun pfeift ein Wind

von griechisch-nordischer Prägung.

Bei Wotans Donner, jetzt beginnt

die Dummheit als Volksbewegung.

Wir haben das Herz auf dem rechten Fleck,

weil sie uns sonst nichts ließen.

Die Köpfe haben ja doch keinen Zweck.

Damit kann der Deutsche nicht schießen.

Kein schönrer Tod ist auf der Welt

als gleich millionenweise.

Die Industrie gibt uns neues Geld

und Waffen zum Selbstkostenpreise.

Wir brauchen kein Brot, und nur eins ist not:

Die nationale Ehre!

Wir brauchen mal wieder den Heldentod

und schwere Maschinengewehre.

Und deshalb müssen die Juden raus!

Sie müssen hinaus in die Ferne.

Wir wollen nicht sterben fürs Ullsteinhaus,

aber für Kirdorf sehr gerne.*

Die Deutsche Welle, sie wächst heran

als wie ein Eichenbaum.

Und Hitler ist der richtige Mann.

Der schlägt auf der Welle den Schaum.

Der Reichstag ist ein Schweinestall,

wo sich kein Schwein auskennt.

Es braust ein Ruf wie Donnerhall:

Kreuzhimmelparlament!

Wir brauchen eine Diktatur

viel eher als einen Staat.

Die deutschen Männer kapieren nur,

wenn überhaupt, nach Diktat.

Ihr Mannen, wie man es auch dreht,

wir brauchen zunächst einen Putsch!

Und falls Deutschland daran zugrunde geht,

juvivallera, juvivallera,

dann ist es eben futsch.

*Emil Kirdorf

https://www.youtube.com/watch?v=rQgIK11c_EE

#ErichKästner #FritzStavenhagen #peace #love #NoWar #NoHate

francoisvillon@societas.online

Erich Kästner - Das letzte Kapitel (1930)

Am 12. Juli des Jahres 2003

lief folgender Funkspruch rund um die Erde:

daß ein Bombengeschwader der Luftpolizei

die gesamte Menschheit ausrotten werde.

Die Weltregierung, so wurde erklärt, stelle fest,

daß der Plan, endgültig Frieden zu stiften,

sich gar nicht anders verwirklichen läßt,

als alle Beteiligten zu vergiften.

Zu fliehen, wurde erklärt, habe keinen Zweck.

Nicht eine Seele dürfe am Leben bleiben.

Das neue Giftgas krieche in jedes Versteck.

Man habe nicht einmal nötig, sich selbst zu entleiben.

Am 13. Juli flogen von Boston eintausend

mit Gas und Bazillen beladene Flugzeuge fort

und vollbrachten, rund um den Globus sausend,

den von der Weltregierung befohlenen Mord.

Die Menschen krochen winselnd unter die Betten.

Sie stürzten in ihre Keller und in den Wald.

Das Gift hing gelb wie Wolken über den Städten.

Millionen Leichen lagen auf dem Asphalt.

Jeder dachte, er könne dem Tod entgehen.

Keiner entging dem Tod, und die Welt wurde leer.

Das Gift war überall. Es schlich wie auf Zehen.

Es lief die Wüsten entlang. Und es schwamm übers Meer.

Die Menschen lagen gebündelt wie faulende Garben.

Andre hingen wie Puppen zum Fenster heraus.

Die Tiere im Zoo schrien schrecklich, bevor sie starben.

Und langsam löschten die großen Hochöfen aus.

Dampfer schwankten im Meer, beladen mit Toten.

Und weder Weinen noch Lachen war mehr auf der Welt.

Die Flugzeuge irrten, mit tausend toten Piloten,

unter dem Himmel und sanken brennend ins Feld.

Jetzt hatte die Menschheit endlich erreicht, was sie wollte.

Zwar war die Methode nicht ausgesprochen human.

Die Erde war aber endlich still und zufrieden und rollte,

völlig beruhigt, ihre bekannte elliptische Bahn.

#ErichKästner #peace #love #NoWar #NoHate