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Mehr als tausend Schädel aus Ostafrika liegen in deutschen Sammlungen. Darunter sind auch die Gebeine von getöteten Widerstandskämpfern gegen die Kolonialherrschaft. Ihre Familien möchten sie endlich bestatten. Eine Reise zu den Enkeln in Tansania. (Von Birte Mensing)
Seit vergangenem Jahr weiß der Tansanier Zablon Kiwelu, dass der Schädel seines Großvaters in Deutschland in der Sammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz liegt. Vor 124 Jahren wurde Sindato Kiwelu in der damaligen Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ hingerichtet, nun hat ein DNA-Test eine Übereinstimmung ergeben. Mehr als tausend Schädel schickten die Kolonialherren einst an Wissenschaftler in Deutschland, die sie vermessen und damit rassistische Theorien beweisen wollten. Was natürlich nicht gelang. Ungefähr 200 der Schädel stammen aus dem Gebiet, auf dem heute der Staat Tansania liegt. Die Nachfahren der Toten warten mehr als 100 Jahre später noch immer darauf, dass sie die Gebeine zurückerhalten – wie Zablon Kiwelu aus Moshi im Norden des Landes.
An diesem frühen Morgen zeigt sich der Kilimandscharo über Moshi. Normalerweise verhängen Wolken die schneebedeckte Spitze des höchsten Bergs auf dem afrikanischen Kontinent, doch es hat seit mehreren Tagen nicht geregnet. Der Himmel strahlt blau, der Berg strahlt Majestät und Kraft aus. Die Berghänge leuchten in unterschiedlichen Grüntönen. In dieser Gegend leben seit hunderten Jahren Menschen, die zum Volk der Chagga gehören.
Brutale Unterdrückung
Bis 1918 war die Gegend deutsche Kolonie, geherrscht wurde mit brutaler Unterdrückung und Gewalt. Vor etwa 135 Jahren kamen zum ersten Mal Deutsche in die Region, Missionare. Wenig später auch die kaiserliche Schutztruppe. Als sie ein Kolonialregime errichten wollte, stieß sie auf Widerstand. Die regierenden Chiefs hießen die Fremden erst willkommen, sahen es aber nicht ein, ihnen ohne Grund die Macht über ihr Reich zu übertragen.
1892 schlugen sie die Deutschen in die Flucht, angeführt von Mangi Meli. Mangi ist der Titel für Herrscher in der Region. Doch acht Jahre später wurden Mangi Meli und 18 weitere Chiefs und Berater wegen ihres Widerstands von den Deutschen gehängt – darunter auch Kiwelus Großvater Sindato Kiwelu. Ihre Schädel wurden nach Deutschland geschickt.
Gespräche und Briefwechsel – ohne Erfolg
Der 76-Jährige Kiwelu lebt auf dem Stück Land, auf dem schon sein Großvater lebte. Der war ein enger Berater von Mangi Meli, dem wohl bekanntesten Gegner der Deutschen im Norden Tansanias. Sein Großvater sei streng gewesen, weiß Kiwelu von seiner Großmutter. Und er war, wie Mangi Meli, erst um die 30 Jahre alt, als der deutsche Hauptmann Kurt Johannes befahl, die Männer töten zu lassen. Die Akazie, an der die Männer am 2. März 1900 gehängt wurden, steht noch immer am Straßenrand. Seit ein paar Jahren erinnert ein Mahnmal im Schatten des Baumes an die Toten.
Es listet die Namen von 10 der 19 Getöteten auf. Die anderen Namen sind unbekannt. Die Leichen wurden wahrscheinlich in der Nähe verscharrt. Wo genau, weiß keiner. „Gebt die Schädel unserer Großväter zurück“, fordert Kiwelu. Und spricht damit für mehrere Familien in der Gegend. Es gab Gespräche und Briefwechsel mit Botschaftern, Nachfahren von Mangi Meli besuchten Deutschland. All das brachte bisher keinen Erfolg, wie Kiwelu erzählt.
Erst sein Land und dann sein Leben
Das kleine Museum auf der anderen Straßenseite zeigt, wie der Vater von Mangi Meli einst seine Botschafter nach Deutschland schickte, um mit dem Kaiser zu verhandeln. Wie sie mit Geschenken zurückkehrten. Und wie der Sohn erst sein Gebiet verteidigte und sich dann geschlagen geben musste. Die Deutschen nahmen erst sein Land und dann sein Leben. Sein Enkelsohn Isaria Meli und der Tourguide Gabby Mzei haben die Geschichte zusammengetragen und das Museum mit Unterstützung des Vereins „Berlin Postkolonial aufgebaut.
Das Thema ist nach jahrzehntelangem Kampf auf der obersten politischen Ebene angekommen. Im vergangenen November war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Tansania zu Besuch und bat erstmals im Namen der deutschen Regierung um Entschuldigung für die Verbrechen, die Deutsche in der Kolonialzeit in Tansania begangen haben. Bei der Abschlusspressekonferenz der Reise sagte die tansanische Präsidentin Samia Suluhu Hassan, die Regierungen würden nun über Restitution und Reparationen beraten.
Nicht ohne Entschädigung
Das ist auch den Nachkommen wichtig. Die Schädel sollen zurückkehren. Aber nicht ohne Entschädigung, ergänzt Kiwelu. „Es ist schmerzhaft und brutal, was die Deutschen unseren Familien angetan haben. Unsere Herzen sind schwer.“ Die Hoffnungen sind groß, die mit einer Rückkehr der Schädel verbunden sind.
Mangi Molelia war einer der Verbündeten von Mangi Meli, auch er wurde am 2. März 1900 ermordet. Seine Nachfahren leben etwa 25 Kilometer entfernt von Old Moshi. In dieser Gegend wachsen die Bananen gut, die Häuser sind spartanisch eingerichtet. Auch Mangi Molelias 70-jähriger Enkelsohn Sirili Hamisi Molelia weiß seit ein paar Monaten, dass der Schädel seines Großvaters in Berlin im Archiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz liegt.
„Wir wurden arm gemacht.“
„Diejenigen, die damals mit der Kolonialmacht zusammengearbeitet haben, sind heute besser dran“, sagt Molelia. „Wir wurden arm gemacht.“ Die Geschichte seines Großvaters sei eine verlorene Geschichte. An sie werde nicht erinnert.
Er wünscht sich jetzt nur eines: Dass der Schädel seines Großvaters so schnell wie möglich zurückkommt und er ihn auf dem Familienland zwischen den Bananenstauden begraben kann. „Erst wenn der Schädel meines Großvaters bei unseren Ahnen ruht, kann unsere Familie Frieden finden.“ (epd/mig)
- https://www.migazin.de/2024/02/28/nachfahren-der-opfer-deutscher-kolonialgewalt-warten-auf-rueckgabe/