#wernerfinck

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Heute vor 120 Jahren

Werner Finck

* 2. Mai 1902 † 31. Juli 1978

Harrys Regal
98-105 / ~2000 :)) #neverendingbookcoverchallenge

An meinen Sohn Hans Werner

Du brauchst dich deines Vaters nicht zu schämen,
Mein Sohn.
Und wenn Sie dich einmal beiseite nehmen
Und dann auf mancherlei zu sprechen kämen,
Sei stolz, mein Sohn.

Sie haben deinem Vater reichlich zugesetzt,
Mein Sohn. Ihn ein- und ausgesperrt und abgesetzt,
Sie haben manchen Hund auf ihn gehetzt
Paß auf, mein Sohn:

Dein Vater hat gestohlen nicht und nicht betrogen,
Er ist nur gern mit Pfeil und Bogen
Als Freischütz auf die Phrasenjagd gezogen -
Und so, mein Sohn,

Kannst du den Leuten ruhig in die Augen gucken,
Mein Sohn.
Brauchst, wenn sie fragen, nicht zusammenzucken.
Ich ließ mir ungern in die Suppe spucken,
Das war's, mein Sohn.

Wie vieles hat der Wind nun schon verweht,
Mein Sohn.
Der Wind, nach dem ich mich noch nie gedreht -
Daß dir mein Name einmal nicht im Wege steht,
Gib Gott, mein Sohn!

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Werner Finck - Silvesterrede 1945

(Alter Narr, was nun,1945)

Und dann kam der letzte Abend des Jahres 0.

Silvesterrede 1945

Ein Jahr ist wieder einmal unterm Hammer: »Tausendneunhundertfünfundvierzig zum ersten...« Keiner bietet mit. »Zum zweiten - und zum...«

»Neunzehnhundertsechsundvierzig!« ruft endlich einer. Und dann alle: »Neunzehnhundertsechsundvierzig!« Können wir Deutschen diesem fünfundvierzigsten Produkt des zwanzigsten Jahrhunderts eine Träne nachweinen? Nein, denn wir haben ja keine mehr.

Mit diesem Jahre, meine lieben Freunde, geht ja so sehr viell mehr zu Ende als ein Jahr. (Wer rief da eben Unsere Vorräte? Die gehen erst wohl im nächsten Jahr zu Ende.) Ich wollte sagen, nicht ein Jahr allein, sondern zweimal sechs Jahre sind abgelaufen. Sechs Jahre Frieden! (Ah, man hat vergessen Denkmäler zu errichten für die Gar-nicht-genug-Krieger dieser Friedensjahre, Kriecherdenkmäler...) Und sechs Jahre Krieg. Gegen Europa sind wir damals ausgezogen, für Europa werden wir jetzt ausgezogen.

Am Anfang dieses Jahres waren wir noch reich.. Ich buchstabiere jenes Reich: R wie Ruhmsucht, E wie Eitelkeit, I wie Irrtum, C wie Cäsarenwahn, H Heroeninflation. Jetzt am Ende sind wir das Gegenteil von reich. bEs ist längst Wirklichkeit geworden, was vor ein paar Jahren als Flüsterwitz kursierte : Daß ein Optimist gesagt: »Nach dem Kriege werden wir alle betteln gehen«, und ein Pessimist geantwortet hätte: »Bei wem denn?« O du traurige, o du armselige, schadenbringende Nachkriegszeit.

Unser Schicksal steht auf der Kippe, und vielen wird die Kippe zum Schicksal. Und wenn sie nur zu einem Zuge reicht, so ist das gleich ein Luxuszug, der durch die Lunge fährt wie durch die Riviera. (Ein neuer Opernfilmstoff für Leni Riefenstahl: »Tiefstand«)

Alles stockt. Unser Absatzmarkt ist hin. Das einzige was noch abgesetzt wird sind Pg's. Aber deren Devisen sind nun nichts mehr wert. (Wir kapitulieren nie! Der Sieg ist unser! Sieg oder Tod!) Nur die Schieber kommen voran, und nichts ist sicher vor ihnen. Sollten heuer nicht sogar die Wahlen verschoben werden?) Wie wollen wir unsere Schulden bezahlen?

Die Optimisten singen zwar: »Es geht Dalles vorüber, es geht Dalles vorbei.« Aber die Pessimisten singen: »Wien, Wien, nur du allein, willst einen Siebzigmilliardenschein.« - O jeggerl, das Weaner Herz schlägt eisern zu. Wir sollen's wieder golden machen.

Wenn uns dieser Phantasiepreis nur damals schon gesagt worden wäre - wahrhaftig, wir hätten ihnen ihren starken Mann aus Braunau nicht abgenommen!

»Aber wir kommen schon wieder hoch«, sagte der Steuermann des gestrandeten Luftschiffes, als es explodierte.

»Es wird schon gehen«, sagte der Draufgänger und ging drauf.

Es wird noch manches Kopfzerbrechen geben über diese Frage, und wir Teutonen sind nun mal daran gewöhnt, eher einander die Schädel als einen vernünftigen Weg einzuschlagen.

Nun kommen sie auch schon wieder mit Ränken und Listen. Hie Föderalisten, hie Zentralisten. (Im Hintergrund mit Blechbrust und Schienen erscheinen Guelfen und Ghibellinen.)

Wollen wir nicht rasch noch ein Silvesterspielchen machen? Ich schlage das Echospiel vor vom »Bürgermeister von Wesel!«

(Habt ihr's gehört: »Esel«.) Nunmehr soll uns dieses Echo ein paar Fragen beantworten:

»Was könnte uns ein Zentner Zigaretten?« (Hört ihr's? »Retten«)

»Was wäre Deutschland ohne Rosenberg und Streicher?« (»Reicher«)

Aber still, lärmt es nicht schon draußen? Wieviel ist jetzt die Uhr? Verzeihung, ich vergaß - wir haben ja kaum noch welche. Früher gingen uns allenfalls die Uhren nach, jetz gehen wir dafür den Uhren nach. Ei, so müssen wir eben aufpassen, was die Glocke geschlagen hat. Läuten sie nicht schon? nein. Dann ist noch Zeit für eine kurze innere Sammlung. Endlich mal wieder eine Sammlung, die Restlos dem Friedenswerk zugeführt werden kann. Seid ihr gesammelt? So lasset uns deklinieren: »Der Mut, des Mutes, Demut.« So schnell und leicht wandelt sich das Glanzstück des Heldenstücks zum Hauptstück des Christentums, wenn der Humor die kleine Beugung des Mutes vornimmt. Mit Demut wollen wir uns - fast hätte ich gesagt: erheben. Das ist aber hierzulande ein zu gefährliches Stichwort für unsere Massen. Laßt uns also lieber sanft aufstehen von unseren bescheidenen Plätzen und unsere Bezugsscheine feierlich in die Hand nehmen, unsere Berechtigungsscheine für ein Sektglas. Noch nie waren wir so vorbereitet, das neugeborene Jüngste des alten Chronos trockenzulegen, ja trocken wie Henkell.

(Wein, Wein, nur du allein, brächtest uns selig ins Neujahr hinnein.)

Das alte stürzt, und neues Leben - wollen wir hoffen. Aber wenn wir Pech haben, blühen uns neue Ruinen.

Hört, liebe Freunde, sie rufen es jetzt aus, das neue Jahr. Die Tore johlen und jubeln. Die Weisen lächeln und zittern.

Sei gegrüßt 1946! Du hast eine angenehme Lizenznummer. Mit einer geraden Quersumme. Deine Vorderbeinchen ergeben eine Zehn und deine Hinterbeinchen auch eine.)

Laß uns in Frieden! Wende unsre Not, gib uns neue Illusionen!

Du sollst leben: Neunzehnhundertsechsundvierzig! Wovon allerding, das wissen Gott allein und der Kontrollrat.

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