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Dachverband der Migrantinnenorganisationen, Damigra, fordert zur Jahreskonferenz »gelebte Solidarität« (Von Gitta Düperthal)
Selbst von der deutschen Frauenbewegung fühlen sie sich ignoriert. Die Anliegen von Migrantinnen und geflüchteten Frauen seien in gesellschaftspolitischen Diskursen oft nur eine Randnotiz, wird von ihren Interessenvertretungen konstatiert. Der Dachverband der Migrantinnenorganisationen (Damigra) kündigt seine Jahreskonferenz 2023 für diesen Freitag in Berlin mit dem Titel an: »Migrantische Selbstorganisierung und feministische Zivilgesellschaft auf Augenhöhe«. Ein großer Teil der deutschen feministischen Bewegung sei »herkunftsdeutsch, akademisch und weiß geprägt«, so die Kritik. Der Blick auf Intersektionalität, also ein Zusammenwirken mehrerer Unterdrückungsmechanismen, von denen Migrantinnen betroffen sind, fehle dort oft.
Auf die Frage von junge Welt, was genau zur Augenhöhe fehlt, antwortete Delal Atmaca, Geschäftsführerin von Damigra: Es gehe um »gelebte Solidarität«. Dazu zähle unter anderem die Anerkennung, dass, »auch wenn uns selbst etwas nicht betrifft, diese Ungerechtigkeit trotzdem bekämpft werden muss«. Atmaca zitiert dazu die schwarze US-Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde: »Ich bin nicht frei, solange irgendeine Frau unfrei ist, selbst wenn ihre Fesseln ganz anders sind als meine eigenen.« Ziel müsse sein, Machtverhältnisse zu erkennen und zu dekonstruieren. Ein weißgeprägter Feminismus aber reproduziere mit seinen Forderungen Strukturen, die nur einzelnen Veränderung bringe, nicht jedoch der Gesamtheit aller Frauen, so Atmaca. Hierfür aber gelte es, gemeinsam zu arbeiten.
Die Frauenbewegung in Deutschland ist nicht mehr, was sie in den 1970er Jahren mal war. Damals gingen in Westdeutschland Frauen für gleichen Lohn und gleiche Rechte im Beruf und in der Gesellschaft auf die Straße. In den Betrieben waren sie aktiv gegen die sogenannten Leichtlohngruppen; gegen schwere Arbeit zu leichtem Lohn. Für deren Abschaffung kämpfte eine betriebliche, gewerkschaftliche Frauenbewegung, vielfach auch migrantisch geprägt. Diese musste sich mit Frauenkonferenzen in der IG Metall etwa gegen männliche Vorgesetzte, Kollegen und eine sozialdemokratisch geführte Gewerkschaftsführung durchsetzen. In Krisenzeiten traf es Migrantinnen mit besonderer Wucht: Während der Entlassungswellen in den 1990er Jahren nach der »Wende« wurden Vertragsarbeiterinnen der DDR aus Vietnam, Angola und Mosambik zugleich zur Ausreise gedrängt; mit Abfindung von 3.000 D-Mark, Ausgleichszahlung von 70 Prozent der letzten drei Monatslöhne und Flugticket.
Atmacas aktuelle Kritik aber geht weiter. Wenn Feministinnen kollektiv gleichen Lohn für Frauen und Männer fordern, dürften sie nicht ausblenden, dass es ungleiche Bezahlung, genannt »Migration-Gender-Pay-Gap«, nicht nur zwischen Frauen und Männern gibt, sondern auch zwischen weißen Frauen und denen of Color. Es gehe vor allem aber um den Blickwinkel und die Voraussetzungen: »Wir brauchen mehr finanzielle Unterstützung, andere Strukturen und Initiativen, die uns mehr Beteiligung ermöglichen.« Bedürfnisse und Ziele der Dominanzgesellschaft seien stärker vertreten, da sie mehr Zugänge, Möglichkeiten und Ressourcen habe. Auch werde die Kompetenz von migrantischer Selbstorganisation in diversen Bereichen kaum geachtet, moniert die Mitbegründerin des Dachverbandes: »Lasst uns in Landtagen zum Beispiel Platz am runden Tisch für Kitafinanzierung einnehmen – warum immer nur zur ›Integration‹? Wir sind mehr als Aushängeplakate, leisten einen wichtigen Beitrag zur Demokratie und handeln die Grenzen etablierter Institutionen neu aus.«
Damit Migrantinnen, jüdische Frauen und Women of Color sich mit ihren eigenen Anliegen, Bedürfnissen und Interessen wiederfinden und gegen Sexismus, Rassismus und Antisemitismus aktiv werden können, müsse mehr Partizipation ermöglicht werden. Die Zusammenarbeit mit Kommunen und Bundespolitik bewerten Migrantinnenorganisationen oft als verbesserungswürdig. Maßnahmen zur interkulturellen Sensibilisierung im Alltagsgeschäft der Behörden müssten verankert und praktisch umgesetzt werden.
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