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Kampf um die Köpfe
Eine Massenbasis für den militärisch aufstrebenden deutschen Imperialismus wird nicht zuletzt in der Schule hergestellt. Krieg im Unterricht (Von Freya Pillardy)
Eine relevante Anzahl von Lehrkräften wünscht sich von der deutschen Politik im Ukraine-Krieg ernsthafte Anstrengungen für einen Waffenstillstand und spricht sich gegen Investitionen in die Bundeswehr aus. Das kam Ende März in einer qualitativen Teilstudie des Schulbarometers vom Institut für Bildungsmanagement und Bildungsökonomie der Pädagogischen Hochschule Zug und des World Education Leadership Symposium heraus. In der Trendstudie »Jugend in Deutschland« von Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann von Anfang Mai sprechen sich 43 Prozent der befragten Jugendlichen für die Erhöhung der Militärausgaben und nur 37 Prozent für Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Nur vier Prozent der unter 18jährigen können sich vorstellen, sich nach der Schule bei der Bundeswehr zu bewerben. Ergebnisse, die dem deutschen Imperialismus bei seinem Streben nach mehr Dominanz weltweit, die auch militärisch durchgesetzt werden muss, nicht passen.
Das dürfte ein nicht unerheblicher Grund dafür sein, dass der staatlich getragene Deutsche Bildungsserver für den Unterricht empfiehlt, sich mit Faktenchecks von Nachrichten zu beschäftigen und die Interessen hinter der Berichterstattung zum Krieg in der Ukraine zu hinterfragen. So weit, so gut. Als problematisch und manipulierend werden allerdings ausschließlich die russischen Staatsmedien – namentlich RT – gesehen, die ein direktes Interesse an einer bestimmten Berichterstattung hätten. Interessen hinter und Absender von verbreiteten Meldungen könne man gut mit dem ARD-Faktenfinder überprüfen. Also mit Hilfe der deutschen Staatsmedien. Weil das offenbar nicht ausgereicht hat, forderten nicht nur das Bundesbildungsministerium, sondern auch der Deutsche Lehrerverband im Zuge des Kriegs in der Ukraine den verstärkten Einsatz von Jugendoffizieren im Unterricht. Und in den letzten Wochen wurde öffentlich über die Einführung eines Wehrkundeunterrichts diskutiert.
Die Menschen sind so
Aktuell erlebt der Kampf um die Köpfe für den deutschen Imperialismus damit eine Zuspitzung. Aber auch der reguläre Schulunterricht ist voll von Bemühungen, die Massenbasis für einen militärisch aufstrebenden deutschen Imperialismus zu schaffen. Dazu ein paar Beispiele. Die geschilderten inhaltlichen Zielstellungen und die Argumentationsweisen sind in nahezu allen Klassenzimmern der BRD wiederzufinden.
Krieg wird als natürlich und in der menschlichen Natur liegend dargestellt. In Politik und Unterricht – Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung heißt es zu den Grundbegriffen rund um Krieg: »Krieg als Lösung staatlicher oder politischer Konflikte ist eine Konstante der Menschheitsgeschichte von der Ur- und Frühgeschichte bis zur Gegenwart«. Und weiter: »Umstritten ist jedoch die Frage, ob Kriege auch das Ergebnis einer anthropologischen Determination des Menschen zur Gewaltanwendung sind […].«
Von vornherein ausgeschlossen
Ursachen für Kriege sollen im Unterricht nicht deutlich werden. Als Erklärung werden die ideologischen Rechtfertigungen der ausführenden Politiker für bare Münze genommen. So werden in einem Kriegsgründequiz des Innenministeriums Baden-Württemberg der Nationalismus Kaiser Wilhelms für den Ersten Weltkrieg und der Antisemitismus Hitlers für den Zweiten Weltkrieg als die Gründe dargestellt.
Eine wichtige Rolle für die ideologische Kriegführung in Deutschlands Schulen spielen die Arbeitsblätter der Reihe »Frieden und Sicherheit«, die gemeinsam von der FDP-nahen Stiftung »Jugend und Bildung« und dem Bundesverteidigungsministerium (BMVG) herausgegeben werden. Die Materialien erreichen etwa 30 Prozent der jeweils altersspezifischen Zielgruppe der Schülerschaft. In einem Arbeitsblatt wird der Argumentationsstrang der »Responsibility to protect« aus den verteidigungspolitischen Richtlinien des BMVG vorgestellt: Demnach gehe es darum, »Regierungen in den Arm zu fallen, wenn sie die Menschenrechte missachten«. Das Konzept formuliere »eine Legitimation internationaler Einflussnahme« für den Fall, dass der betreffende Staat »nicht willens« ist und die Organe der internationalen Gemeinschaft sich als »nicht fähig erweisen«, die »menschenrechtlichen Belange der betroffenen Menschen zu schützen«. Damit wird an ein Unrechtsempfinden der Schüler angeknüpft. Der Gedanke, dass man Menschen in Not helfen muss, dient zur Rechtfertigung von Kriegen. Die Frage nach einer möglichen Instrumentalisierung dieser Kriegslegitimation für die Interessen der Herrschenden in diesem Land ist auf Grundlage des Unterrichtsmaterials nicht möglich.
In einem Arbeitsblatt zum 70. Jahrestag der NATO (auch aus der Reihe »Frieden und Sicherheit«) wird als Ziel der NATO die Sicherung von Frieden und Freiheit dargestellt. Eine große Herausforderung für die NATO sei das Agieren Russlands wegen der Annexion der Krim, der Intervention in Syrien und der Unterstützung des Machthabers Assad sowie der Militärmanöver an den NATO-Außengrenzen. Eine weitere Bedrohung sei China als aufstrebende Macht. Kein Wort von den Manövern der NATO oder ihrem Agieren in Syrien, der Ukraine oder im Pazifischen Ozean.
Einerseits, andererseits
Ein beliebtes Mittel, um im Schulunterricht Objektivität vorzugaukeln, ist die Arbeit mit Pro- und Contra-Listen. Wie objektiv das ist, sieht man an einem weiteren Arbeitsblatt von »Frieden und Sicherheit« zum Thema Aufrüstung, die auf Grundlage vorgegebener Argumente diskutiert werden soll. Auf der Pro-Seite stehen Abschreckung, Sicherheit, Vorsorge und Arbeitsplätze. Auf der Contra-Seite wird eingewendet, dass das aggressiv wirken kann und das Geld für andere Zwecke fehlt. Eine ernsthafte Meinungsbildung im Interesse der Schülerschaft ist auf der Grundlage nicht möglich.
Die aktuelle Unterrichtspraxis widerspricht dabei zwei offiziellen Vereinbarungen. Zum einen der UN-Kinderrechtskonvention. Sie legt in Artikel 29 d fest, dass Kinder zum Frieden erzogen werden sollen. Zum anderen dem Beutelsbacher Konsens aus dem Jahr 1976, der ein paar Grundsätze für die politische Bildung festlegt. Demnach dürfen Schüler nicht an der Gewinnung eines selbständigen Urteils gehindert werden (Überwältigungsverbot). Zweitens muss, was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, auch im Unterricht kontrovers dargestellt werden. Alternativen müssen erörtert werden. Und drittens muss der Schüler in die Lage versetzt werden, seine Interessen im Hinblick auf eine politische Situation zu analysieren und Mittel zu finden, diese Situation im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen.
Politisches Handeln lernen
Eine Alternative bietet die Friedenspädagogik. Wobei man auch hier unterscheiden muss: Es gibt eine in diese Gesellschaft integrierende Friedenspädagogik, deren Vertreter sich abstrakt für Frieden aussprechen und meinen, dass es für den Frieden individuelle Friedfertigkeit und gewaltfreie Kommunikation in der Schule braucht. Auf der anderen Seite ist da die kritische Friedenspädagogik, die sich Ende der 1960er Jahre herausbildete. Sie setzt nicht auf individuelle Friedfertigkeit und Konfliktvermeidung, sondern auf die Bewusstseinsveränderung der Menschen. Ziel ist es, durch politisches Handeln die gesellschaftlichen Strukturen, die Kriege hervorbringen, zu verändern. Die Verursacher und Profiteure von Kriegen sollen entlarvt werden. Die Legitimationsmuster für konkrete Kriege werden widerlegt. Dazu müssen die Interessen hinter den Feindbildern aufgezeigt werden, die ein differenziertes Urteilsvermögen verhindern. Um die Gründe für Kriege erkennen zu können und gegen Kriegspropaganda immun zu werden, wird hier die Entwicklung mündiger und widerstandsfähiger Subjekte angestrebt, indem das Denken in ökonomischen, geostrategischen und geopolitischen Zusammenhängen gefördert wird. Ein wichtiges Prinzip der kritischen Friedenspädagogik ist das der Handlungsorientierung. Handlungsoptionen werden aufgezeigt und eingeübt. Das Wissen um die Veränderbarkeit der Welt durch eigenes Handeln kann so zum Instrument gegen Angst und Ohnmachtsgefühle angesichts einer Kriegsgefahr werden.
Aber die kritische Friedenspädagogik passt nicht zu einer Schule, deren Aufgabe es ist, die nachwachsenden Generationen entsprechend der ideologischen und beruflich-praktischen Erfordernisse der herrschenden Klasse zu formen. In besonderem Maße passt sie nicht in eine Schule, die seit einigen Jahren auf Kompetenzorientierung setzt. Eine Aufgabe zu lösen, das heißt hier, eine Anforderung lesen zu lernen, das Problem zu formulieren und vorgegebene konkrete operationalisierbare Schritte zu deren Lösung durchzuführen – quasi wie in einem Algorithmus. Was da nicht reinpasst, ist die mögliche Erkenntnis, dass die Grundsituation und die Rahmenbedingungen geändert werden müssen. Nach dem Muster ist auch ein Arbeitsblatt (aus der Reihe »Frieden und Sicherheit«) gestaltet, auf dem fast rhetorisch gefragt wird, ob die Bundeswehr in ein Land einmarschieren sollte, um die Menschen vor Ort vor einem Völkermord zu bewahren.