Neulich im Internet entdeckt (der Text kann frei heruntergeladen werden):
Katja Salomo, Marcel Helbig & Susanne Marquardt (28 Jul 2023): Radical right-wing support among urban voters in Germany: Disentangling the roles of immigration, immigration history, segregation, and poverty in the neighborhood, Journal of Urban Affairs.
[Im Folgenden wird für die Bezeichung 'Migrantenanteil in der Bevölkerung' aus Gründen der Platzersparnis 'Migrantenanteil verwendet.]
Die Autoren machen die Feststellung, daß AfD-Unterstützer typisch von der Gesellschaft enttäuscht sind, um ihren Status fürchten und skeptisch gegenüber der Demokratie eingestellt sind. Vor allem aber haben sie einen Groll gegenüber der Migration.
Auffällig auch die ausgeprägte Zustimmung zur AfD in Ostdeutschland. Die Autoren weisen auf Mängel in der Infrastuktur, öffentlichen Dienstleistungen und der Institutionen hin.
Die Parlamentswahl in Deutschland von 2017 zeigte, daß die AfD besonders erfolgreich war in Wahlkreisen mit hoher Arbeitslosigkeit, einem großen Migrantenanteil an der Bevölkerung, sowie in Gegenden mit viel Abwanderung und einer alternden Bevölkerung, wie es für Ostdeutschland typisch ist.
Allerdings zeigen einige Studien aus anderen europäischen Ländern die Bedeutung von lokalen Merkmalen wie Migrantenanteil oder Segregation Einheimische - Migranten auf. Positive soziale Kontakte und die Nähe zwischen Einheimischen und Migranten führen zu einem entspannten Verhältnis, was sich in einer negativen Korrelation Migrantenanteil - AfD-Zustimmung ausdrückt (Kontaktthese).
Dagegen wird von Einheimischen Migration auf der Ebene einer ganzen Stadt, Region oder auf Landesebene anders wahrgenommen. Durch Medien und die Politik wird ein Bild von der Migration vermittelt, das nicht immer konsistent mit den Erfahrungen in der eigenen Nachbarschaft ist.
In der Studie werden also Arbeitslosigkeit, Migrantenanteil, Armut, Segregation in Relation zu den Wahlergebnissen der AfD gesetzt; jeweils auf der Ebene von Wahlkreisen und Nachbarschaften. Mit der wahrgenommenen Migration sind oft auch Ängste verbunden, besonders bei steigenden Migrationszahlen.
Aus Literaturstudien ist bekannt, daß in nordeuropäischen Ländern mit einem ausgebauten Sozialstaat die Effekte von Arbeitslosigkeit auf die Zustimmung zu rechtsextemen Parteien nur minimal sind. Größeren Einfluß haben Armut - von Geringverdienern und Langzeitarbeitslosen - und die Angst vor Statusverlust.
Die Datenauswertung im Rahmen der Studie behandelt die folgenden Fragestellungen: unter welchen Bedingungen stellen lokale Armut, Segregation im Wohnumfeld und ein Mangel früherer Erfahrungen im Umgang mit Migranten die Kontaktthese in Frage?
Die Auswertung von 33 größeren Städten, von denen sowohl die Wahlergebnisse, also auch Daten über Armut, Arbeitlosigkeit zwischen 2013 und 2017 vorliegen, wird auf drei Hypothesen getestet:
H1: Führt ein Anstieg des Migrantenanteils in der lokalen Nachbarschft zu besseren Wahlergebnissen der AfD?
H2: Gibt es einen kritischen Werte für den Migrantenanteil in der Vergangenheit, bei dessen Unterschreitung der Zustrom von Migranten zu kulturellen Schocks bei der einheimischen Bevölkerung führt? Solche Effekte sind aus der internationalen Literatur bekannt.
H3: Beeinflußt die zunehmende Segregation in deutschen Städten, auch vor dem Hintergrung des verstärkten Zustroms von Migranten nach 2015, die Wahlergebnisse der AfD?
Segregation wird in der Literatur in verschiedenen Aspekten betrachtet:
framing: Bewohner wohlhabender Gegenden assozieren die häufig in ärmeren Gegenden lebenden Migranten negativ, mit Stereotypen, besonders bei Minoritäten,
Halo-Effekt: Bewohner wohlhabender Gegenden mit kleinen Migrantenanteilen in der Nähe ärmerer Nachbarschaften mit hohen Migrantenanteilen fürchten u.a. um die Qualität der Schulen und die Auswirkungen auf die Immobilienpreise,
Segregation erschwert die Kontakte zwischen nahegelegenen Nachbarschaften, wodurch bei unterschiedlichen Migrantenanteilen der soziale Austausch zwischen Einheimischen und Migranten erschwert wird. Diese Form des Halo-Effektes wird durch Diskriminierung und Mangelversorgung auf dem Wohnungsmarkt verstärkt.
Die genannten Hypothesen werden mit einem statistischen Modell geprüft, das auf Seite 6 der Veröffentlichung kurz beschrieben ist.
Als Ergebnis notieren die Autoren, daß mit steigendem Migrantenanteil auf der Ebene der Nachbarschaft die Zustimmung zur extremen Rechten abnimmt, entsprechend der Kontaktthese aufgrund vielfacher sozialer Kontakte.
Weiterhin bekräftigen die Ergebnisse, daß mit einem großen Migrantenanteil auf der Ebene der Gesamtstadt und gleichzeitig einem großen Zustrom von Migranten die Zustimmung zur AfD wächst. [Also im Widerspruch zur Kontakttghese.]
Den größten Einfluß auf die Zustimmung zu rechtsextremen Parteien hat jedoch die Armutsquote. Die Autoren können keinen kritischen Schwellenwert der Armutsquote finden, ab dem der beschriebene Effekt sichtbar wird. Die Auswirkungen von ökonomischer Deprivation und der Migration sind damit unabhängig.
Das ist umso bedeutender, als in armen Nachbarschaften der Migrantenanteil nicht nur viel höher ist als in wohlhabenden Nachbarschaften, sondern überdies viel schneller wächst.
Die Daten zeigen jedoch, daß in Nachbarschaften mit einem Migrantenanteil <5% bis 2017 das Anwachsen des Migrantenateils zu einer steigenden Zustimmung zu rechtsextremen Parteien führt. Erklärt wird das von den Autoren mit dem Akkulturierungs-Stress. Solche Nachbarschaften sind im Übrigen meistens wohlhabender.
Überdies ist in Städten mit einem geringen Migrantenanteil die Verteilung stärker segregiert, die Migranten leben häufiger in Nachbarschaften mit einem großen Migrantenanteil. Wohlhabende Nachbarschaften mit einem kleinen Ausgangsmigrantenanteil in segregierten Städten neigen also zu AfD-Zustimmung.
Generell fördert Segregation Einheimische - Migranten die Zustimmung zu rechtsextremen Parteien.
Die Autoren fassen zusammen, daß in ärmeren Nachbarschaften der Grad der Armut die hauptsächliche Erklärung für die Zustimmung zu rechtsextremen Parteien ist, in wohlhabenden Gegenden ist es dagegen typsch der geringe Ausgangs-Migrantenanteil, der für die dortigen Bewohner das Risiko von einem Akkulturierung-Stress mit sich bringt.
Damit folgern sie, daß es nachteilig ist, die Last der Integration von Migranten ärmeren Nachbarschaften aufzubürden.
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