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Die SPD zieht den Stahlhelm auf

80 Jahre Zurückhaltung: 2022 – 80 = 1942

Der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil legte vor Genossinnen und Genossen auf die »Zeitenwende« von Genosse Scholz noch was drauf: Deutschland habe »nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung heute eine neue Rolle im internationalen Koordinatensystem«. Schon das Wort »Zurückhaltung« ist eine Zumutung. Aber was ist mit den 80 Jahren? (von Wolf Wetzel)

Der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil hielt am 21. Juni 2022 auf der Tiergarten-Konferenz der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin eine Grundsatzrede vor Seinesgleichen, in der er die von seinem Kollegen Scholz ausgegebene »Zeitenwende« eine uralte Richtung gab:

Nach Herrn Klingbeil habe Deutschland »nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung heute eine neue Rolle im internationalen Koordinatensystem«. Man überliest das schnell, bis es einen frieren kann – wenn man bereit ist nach- bzw. zurückzurechnen: Knapp 80 Jahre habe sich Deutschland zurückgehalten, womit er nicht die sexuelle, sondern die militärische Zurückhaltung meinte. Wenn Herr Klingbeil im selben Jahr lebt wie wir alle, dann lag das letzte Jahr vor der »Zurückhaltung« so um das Jahr 1941/42.

1942 mordeten sich deutsche Soldaten bis nach Stalingrad durch. Dort begann dann der Anfang vom Ende des Dritten Reiches, das im Osten über Polen, Ukraine bis nach Russland reichen sollte. Dort kam die 6. Armee (plus Verbündete) mit etwa 300.000 Soldaten zum Stehen, wurde eingekesselt und musste schließlich aufgeben (1943). Der »Führer« verweigerte eine Kapitulation. Im Winter war es dort ziemlich kalt, so um die minus 30 bis 40 Grad. Meine Mutter, damals im »Bund deutscher Mädel« (BDM) aktiv und engagiert, strickte warme Socken und schickte Winterkleidung an die Front. Es nutzte alles nichts.

Seitdem gilt »Stalingrad« als die Schmach für deutsche soldatische Tugenden, die wohl Herr Klingbeil mitaufruft. Nach Stalingrad gab es eigentlich nur noch einen lang gezogenen Rückzug, der 1945 mit der umfassenden Kapitulation endete.

Wenn man sich diese Zeitspanne vor Augen hält, der dann fast 80 Jahre »Zurückhaltung« folgten, dann bekommt man eine gruselige Ahnung davon, wie der Zweite Weltkrieg, die Kapitulation und die eigentlich beabsichtige Demilitarisierung Deutschlands im Innersten verstanden wird. Nicht nur unter den »Ewiggestrigen«, den »Stahlhelmfraktionen« in den Parteien und auf der Straße, sondern gerade auch unter (führenden) Sozialdemokraten. Eine Zeit der erzwungenen »Zurückhaltung«, also eine maßlose Demütigung, die man den Siegern, vorne weg der Sowjetunion nie verzeihen wird.

Aber auch Klingbeils Blick auf die Zeit nach 1948, auf die Gründungsjahre der Bundesrepublik Deutschland ist an revanchistischem, reaktionären Gedankengut satt genährt. Was fällt nach Klingbeils Ansicht also alles unter diese »Zurückhaltung«?

Unter anderem die Proteste gegen den Aufbau der Bundeswehr, also ihre Wiederbewaffnung in den 1950er-Jahren, der Kampf gegen die »Notstandgesetze« in den 1960er Jahren, die es erlauben sollen, die Bundeswehr auch im Inneren einzusetzen, die Versöhnung mit Frankreich, der berühmte Kniefall von Willy Brandt, die Entspannungspolitik, die Friedensbewegung der 1980er-Jahre, als man eine »Raketenlücke« erfand, um die atomare Aufrüstung (Pershing I und II) auf die Spitze zu treiben, die »Gorbi, Gorbi-Rufe« bei der Wiedervereinigung, die zahlreichen Zusagen, dass man sich bei der NATO-Osterweiterung »zurückhalten« werde …

All das fällt in Klingbeils Weltbild letztlich unter eine »Zurückhaltung«, die man jetzt endlich abschütteln und aufgeben kann.
- https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/80-jahre-zurueckhaltung/

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