Einmal mehr ist es so weit: Deutschlehrer stöhnen und Freunde der Dudenrechtschreibung weinen leise in ihr Kuschelkissen, denn ich bringe einmal mehr völlig unbearbeitet einen Text aus meinem kleinen Rotzeblögchen in der dort gepflegten und von mir als »rechte Gutschreibung« verklärten Orthografie. Wer allergisch auf kreative Schreibungen und teilweise derbe, an der Umgangssprache orientierte Ausdrucksweisen reagiert, sollte genau jetzt mit dem Weiterlesen aufhören.
Endlich! Außerirdisches leben… ähm… entdeckt!
Gut festhalten! 🎢️👽️🤡️
Es mehren sich die Andeutungen, dass das Weltraumteleskop James Webb einen Beweis für außerirdisches Leben entdeckt hat. Die NASA widerspricht nicht definitiv
Versteht mich bitte nicht falsch, wenn ich da selbst bei erhärtung dieser andeutungen von möglichkeiten noch eine lange zeit sehr skeptisch bleibe, denn ich erlebe auf meinem zuschauerplatz so einen „beweis“ wahrlich nicht zum ersten mal. Den ersten derartigen „beweis“ habe ich mitte der siebziger jahre erlebt, als das viking-marsprogramm der NASA mit seinem alles in allem ziemlich gut entworfenen roboterlabor fotosyntese und die verstoffwexlung von gasen „nachgewiesen“ hatte, was ich schon ziemlich faszinierend fand, was sich dann aber als nicht halb so klar wie anfangs vermeldet herausstellte. Da haben sich recht schnell andere mögliche erklärungen für die messungen gefunden. (Der fund außerirdischen lebens ist eine sehr weitreichende behauptung, die schon „etwas stärkere“ belege benötigt.) Und so ging es mit jeder anderen entdeckung „außerirdischen lebens“ weiter — wohlgemerkt, nicht irgendwelcher technischer zivilisazjonen, von denen wir keine belastbaren spuren haben, sondern eher so etwas wie „einfacher“ einzelliger formen. Mein ganzes leben lang. Bis hin zu seltsamen strukturen in einem auf die erde gefallenen und deshalb einer genauen untersuchung zugänglichen meteoriten, der vom mars stammte. Die strukturen sollten primitive lebensformen im elektronenmikroskop zeigen, konnten aber genau so gut artefakte der probenbehandlung und ein bisschen gute, altmodische chemie sein. Da wird man dann schon ein kleines bisschen skeptisch, wenn jornalisten in ihrer contentindustriellen anriss- und überschrift-klickbäjht auf grundlage eines NASA-nichtvolldementis von „beweisen“ faseln (ohne in einem längeren text auch nur anzudeuten, was da überhaupt gemessen wurde), während die NASA nach dem vorläufigen fehlschlag ihrer mondlandeambizjonen dringend mal irgendeine halbwegs nach erfolg klingende meldung braucht und deshalb ganz froh über diese aufmerksamkeit ist. Das ist alles schon einmal dagewesen.
Wenns ums glauben geht: ich bin mir sicher, dass es außerirdisches leben gibt. Aber diese sicherheit ist leider kein wissen. Die bei der lebensentstehung auf der erde herrschenden bedingungen werden auch an anderen orten im kosmos vorhanden gewesen sein, und ist erstmal auf chemischem wege ein evoluzjonärer prozess gestartet, braucht es nur noch ein paar jährchen, bis eine erstaunliche komplexität wie aus dem nichts da ist. „Ein paar“ meint hier die ungefähre größenordung von milljarde, was selbst in astronomischen maßstäben schon eine menge ist. Das problem ist halt nur, dass man so etwas schwierig nachweisen kann. Vor allem aus der ferne ist es schwierig. Aber auch aus der nähe sieht es nicht viel besser aus, so dass uns nicht einmal raumfahrt wirklich helfen würde. Wir kennen ja nur ein beispiel für das, was wir „leben“ nennen, und das ist das beispiel auf unserer erde. So leicht es uns scheinbar fällt, leben zu erkennen, so schwierig ist es, dafür angesichts von grenzfällen eine halbwegs belastbare definizjon zu finden. Ist so ein virus eine lebensform, obwohl es keinerlei eigenen stoffwexel hat? Das ist tatsächlich eine ziemlich knifflige frage, die ziemlich schwierig mit etwas anderem und besserem als einer willkürlichen definizjon nach unserem menschengeschmack zu beantworten ist. Am besten ist es vermutlich, nach biosfären mit komplexem, raumgreifenden, auf einem planeten beinahe allgegenwärtigen wexelwirkungsgeflechten zu suchen. Das fällt dem in seiner scheinbaren individualität und in seinem dummen narzissmus gefangenen menschen allerdings nicht so leicht. Menschen in ihrer angemaßten göttlichkeit halten in ihrer blödheit ja sogar das, was sie tun, für irgendwie übernatürlich, obwohl es ohne den als „natur“ empfundenen rest gar nicht getan werden könnte.
Wir suchen nach dem, was wir kennen, denn nach etwas anderem können wir gar nicht suchen. Wir könnten sogar vor ort auf fernen welten sein und ein vollbad in außerirdischem leben nehmen, ohne es überhaupt als solches zu bemerken.
So, und was kommt jetzt nach der reißerischen überschrift und dem nicht minder reißerischen anrisstext des contentindustriellen machwerkes „heise onlein“, das sich auch immer mehr zu einer bildzeitung mit schlips entwickelt? Richtig, es kommt die wirklichkeit:
Die NASA hat Gerüchte dementiert, denen zufolge das Weltraumteleskop James Webb Beweise für außerirdisches Leben gefunden hat. Gegenüber ArsTechnica erklärte die US-Weltraumagentur, das Instrument habe „keinen definitiven Beweis für Leben auf einem Exoplaneten gefunden“. Man gehe aber davon aus, dass Beobachtungen mit dem Gerät zum Nachweis möglicher Biosignaturen führen könnte. Das ist zwar keine Bestätigung, aber auch kein vollumfängliches Dementi und dürfte die Gerüchte eher weiter anfachen
Wie man aus „wir haben keine belege“ — ich übersetze in diesem kontext evidence lieber als „beleg“ denn als „beweis“, weil mir das auf deutsch viel klarer vorkommt — ein nichtdementi der ziemlich steilen gerüchte macht, dass belege vorlägen, bleibt das geheimnis eines drexjornalisten an der werbeplatzvermarktungsfront in der karl-wiechert-allee.
Vorstellbar ist also, dass etwas Spannendes entdeckt wurde und jetzt die – besonders gründliche Überprüfung läuft
So viel ist jedenfalls sicher: das james-webb-teleskop wird eine menge (zumindest für mich) sehr spannender, zuvor noch niemals einer messung zugänglicher dinge entdecken, die jedes für sich besonders gründlich überprüft werden. Man nennt diesen faszinierenden prozess übrigens „wissenschaft“. Im idealfall schafft er halbwegs und im laufe der zeit immer besser gesichertes wissen, das sich an die stelle von spekulazjon und glauben stellt. Wissen, mit dem man etwas anfangen kann. Gegen teils erhebliche widerstände der spekulierenden und glaubenden, versteht sich. 😁️
Und auch so viel ist sicher: der jornalismus in seinem eigentlichen geschäft, nämlich der vermarktung von werbeplätzen, verbreitet nicht wissenschaft und einsicht, sondern nur schwurbelei und dummes gefasel, und oft sogar klare lüge. Zu guhgell-optimierten klickbäjht-schlachtzeilen für die barbarei größtmöglicher aufmerksamkeit auf schitter, fratzenbuch und finstergram, versteht sich. Denn der jornalismus lebt nicht von informazjon, kontext und der ermächtigung seiner leser zum razjonalen, selbstbestimmten denken, sondern von der dummheit und lüge der reklame. Und dafür kann die dumme, kalte psyche gar nicht aufgekocht genug sein. Eine „wahrheitspresse“ ist es nicht und niemals.
Ach! 😕️
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