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Propagandamythos Wertegemeinschaft

Coronapandemie und Ukraine-Krieg entlarven Heuchelei der EU in Südamerika. Ignoranz gegenüber Forderungen und Ansichten (Von Jörg Kronauer)

An hehren Begriffen mangelt es nicht, die in Deutschland und der EU so gerne genutzt werden, um die Beziehungen zu den Staaten Lateinamerikas und der Karibik zu preisen: »Gemeinsame Werte«, »Dialog auf Augenhöhe«, »strategische Partnerschaft«. Sie zielen immer auch auf das eigene Publikum, auf »die Europäer«, die sich etwa »den Chinesen« überlegen fühlen sollen. Haben die es nicht – das bekommt man hierzulande ja seit langen Jahren mit der Brechstange eingebläut – auch in Lateinamerika nie auf »Werte«, sondern immer nur auf Rohstoffe und Schuldenfallen abgesehen? Na also.

Die regierungsnahe Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) räumt in einer kürzlich publizierten Analyse dankenswerterweise ein wenig mit den kruden europäischen Propagandamythen auf. Dabei handle es sich um »eine von Wunschdenken bestimmte Rhetorik«, die aber »der Wirklichkeit im wechselseitigen Verhältnis immer weniger gerecht wird«, schreibt der Thinktank; vielmehr müsse man angesichts der Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika konstatieren: »Die gemeinsame Grundlage bröckelt.« Die SWP verdeutlicht das an gleich zwei einschneidenden Großereignissen – an der Covid-19-Pandemie und am Ukraine-Krieg.

Beispiel Pandemie: Von ihr war Lateinamerika – acht Prozent der Weltbevölkerung, 26 Prozent der Covid-19-Todesfälle weltweit – besonders stark betroffen. Impfstoffe bekam es aus der EU faktisch nicht. »Kostengünstige Vakzine aus Russland und China« dagegen konnten in zahlreichen Ländern der Region »besonders schnell in großem Umfang eingeführt und verabreicht werden«, hält die SWP fest. Die Reaktion der EU-Staaten darauf? Sie hätten »Moskaus und Pekings ›Impfdiplomatie‹ gegenüber dem Globalen Süden aufs schärfste« kritisiert, ruft die SWP in Erinnerung. Gleichzeitig hätten sie dafür gesorgt, dass lediglich Vakzine aus der EU, aus Großbritannien und den USA bei »Einreisen in die Union anerkannt wurden«. WHO-Appelle, dafür auch chinesische und russische Impfstoffe zuzulassen, seien zu Lasten einreisewilliger Lateinamerikaner ebenso ignoriert worden wie sämtliche Forderungen, Covid-19-Impfstoffe »als globale öffentliche Güter zu behandeln und entsprechende Patentrechte für eine befristete Zeit zu lockern«. Dass der »Egoismus Europas« doch »weit abfalle von seinen üblichen Solidaritätsbekundungen«, sei in Lateinamerika als schmerzhaft wahrgenommen worden, konstatiert die SWP.

Beispiel Ukraine-Krieg: Für viele Staaten Lateinamerikas und der Karibik habe in den vergangenen Jahren »der Ausbau ihrer (vor allem ökonomischen) Beziehungen zu Staaten wie China, Russland und dem Iran eine Chance auf außenpolitische wie außenwirtschaftliche Diversifizierung« geboten, hält die SWP fest. Dass die westlichen Mächte seit dem 24. Februar nun auch von den Staaten Lateinamerikas forderten, die »von EU und NATO gewählte Gegenstrategie der Stärke« mitzutragen, »die auf Isolierung, Sanktionen und Aufrüstung setzt«, habe weithin ablehnende Reaktionen ausgelöst. Aus lateinamerikanischer Perspektive werde damit »nur die europäische Sichtweise transportiert und ein auf Europa beschränktes Kriegsgeschehen zum Wendepunkt der internationalen Politik erklärt«, berichtet die SWP. Eine Politik der Isolierung werde auf dem Subkontinent ohnehin ebenso wenig für gut befunden wie die zahlreichen westlichen Sanktionskriege: »Exklusion wird als eine Strategie der Mächtigen bewertet, die sich in künftigen Fällen auch gegen das eigene Land richten könnte.« Entsprechend beteiligen sich alle souveränen Staaten der Region – Französisch-Guayana wird bis heute von Paris beherrscht – nicht an den Russland-Sanktionen.

Und es kommt hinzu: Der Ukraine-Krieg hat, resümiert die SWP, »die Annäherung zwischen der EU und Washington gefördert«. Die habe »aus lateinamerikanischer Perspektive« zur Folge, »dass Europa als ›dritte Option‹ neben den USA und China an Strahlkraft verliert«. Damit büßt aber auch das Bemühen um Kooperation mit ihr an Attraktivität ein.
- https://www.jungewelt.de/artikel/441115.politik-der-isolierung-propagandamythos-wertegemeinschaft.html

Von gemeinsamen Werten zu komplementären Interessen - Für eine Neukonzeption der Beziehungen Deutschlands und der EU mit Lateinamerika und der Karibik (SWP-Aktuell 2022/A 78, 15.12.2022)