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»Durch Waffenlieferungen wird Konflikt noch blutiger«
Friedenslösungen im Ukraine-Krieg werden in BRD torpediert. Berlin sollte auf Moskau zugehen.
- Ein Gespräch mit Johannes Varwick (Lehrstuhlinhaber für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg)
Der Bundestag hat am Donnerstag der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine zugestimmt. Warum ist das ein Fehler?
Es gibt zwei große Gegenargumente: Das Erste ist: Wir werden durch Waffenlieferungen sukzessive Kriegspartei, und es fällt vermutlich eines Tages schwer, die Grenze vor einem aktiven Kriegseintritt aufrechtzuerhalten. Zweitens hat Russland die Eskalationsdominanz, die durch Waffenlieferungen an die Ukraine nicht geändert werden wird. Insofern ist zu erwarten, dass dieser Konflikt mit Waffenlieferungen nur blutiger und länger wird, sie aber am Ausgang nichts ändern.
Sie haben im Dezember letzten Jahres in einem öffentlichkeitswirksamen Aufruf vor einer Eskalation mit Russland gewarnt. Wie nehmen Sie die Debatte in führenden Kreisen in Deutschland war?
Die Bundesregierung hat einen Interessenausgleich mit Russland leider nicht zustande bekommen. Ich sage nicht, dass das einfach gewesen wäre. Aber sie hat es versäumt, die diplomatischen Verhandlungsspielräume seriös auszuloten. Insofern trägt sie eine Mitschuld an diesem Krieg.
Ich nehme eine Stimmung wahr, als ob der Krieg wieder der Vater aller Dinge ist. Das ist eine falsche Tonalität. Wir müssen auch rhetorisch wieder abrüsten und nicht so tun, als ob man mit Krieg Probleme lösen könnte.
Befürchten Sie, dass es zu einem Dritten Weltkrieg kommen könnte, wenn der Westen den Krieg in der Ukraine weiter anheizt?
Das ist leider nicht mehr ausgeschlossen. Allein der Gedanke daran ist bei Lichte betrachtet ein absoluter Wahnsinn. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass man solche Gedanken wieder durchspielt, sondern müssen mehr Energie darauf verwenden, einen großen Krieg abzuwenden.
Personen des öffentlichen Interesses wie Sie, die sich für eine Verhandlungslösung einsetzen, werden hart angegangen. Springers Bild titelte: »Über diese deutschen Experten freut sich Putin«. Tragen die Medien zum verschärften deutschen Kriegskurs bei?
Ja. Es ist Teil der Radikalisierung, dass der Diskursraum sehr verengt wird und jeder, der nicht auf Linie ist, gewissermaßen entweder als Putin-Freund oder als Naivling dargestellt wird. Ein völlig falscher Ton in der Debatte.
Wie kann eine Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg aussehen?
Das Erste, was wir jetzt brauchen, ist der Abschied von der Vorstellung, dass die Bundesregierung diesen Konflikt lösen kann. Berlin muss kluge Realpolitik machen. Dazu gehört, zu akzeptieren, dass die Ukraine ein neutraler, demilitarisierter Staat sein wird. Und dazu gehört auch, anzuerkennen, dass die Ukraine nicht die volle Souveränität über ihr Staatsgebiet behält. Das heißt, dass die Bundesregierung die Krim- und die Donbass-Frage pragmatisch angehen müssen wird. Und zwar nicht, weil es eine gute Lösung ist, sondern weil es das Einfrieren des Konfliktes bedeutet. Später kann über eine Friedenslösung nachgedacht werden. Eine solche wird nur umzusetzen sein, wenn sich die Position in Moskau verändert.
Sie waren in Beratergremien der NATO und der Bundesregierung tätig. Hat man in diesen Kreisen Verständnis für Ihre Position?
Hinter den Kulissen hört man Selbstkritik, das Russland nicht genügend eingebunden wurde. Gleichzeitig ist es zunehmend so, dass solche Stimmen aus dem Diskurs ausgeschlossen werden und im Prinzip eine Gruppendynamik einsetzt, in der Gegenpositionen nicht mehr wahrgenommen werden wollen.
Schätzen Sie, dass die Bundesregierung noch ein Einsehen haben und auf Deeskalation setzen wird?
Wir haben jetzt leider die Situation, dass jeden Tag aufs neue Tabus verletzt werden. Insofern kann ich nicht sagen, wo das endet. Ich hoffe, bei einem Frieden mit Russland.
- Johannes Varwick ist Lehrstuhlinhaber für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg. Von 2008 bis 2011 war er Mitglied des Advisory Panels des NATO Committee for Science for Peace and Security. Er ist Mitglied der Deutsch- Atlantischen Gesellschaft, Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und war 2016 an der Erarbeitung des »Weißbuchs zur Sicherheit und zur Zukunft der Bundeswehr« beteiligt. Ende 2021 initiierte Varwick mit Dutzenden Militärs, Sicherheits- und Friedensforschern sowie Diplomaten einen Appell zur »verstärkten Deeskalation im Verhältnis zu Russland«: