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Lateinamerika: »Brasilianischer Maidan«

Ultrarechte versuchen in Lateinamerika, Einflusssphären für die USA zu sichern. Putschversuch in Brasilien ist ein Beispiel dafür (Von Volker Hermsdorf)

Im ersten Anlauf ist es der rechten Opposition in Brasilien zwar nicht gelungen, die Regierung zu stürzen, doch der Sturm auf öffentliche Gebäude vom 8. Januar dürfte nur der Auftakt für weitere Versuche dazu gewesen sein. Im benachbarten Peru hatte es Monate gedauert, bis der am 6. Juni 2021 gewählte Präsident Pedro Castillo am 7. Dezember 2022 mit einem parlamentarischen Staatsstreich gestürzt wurde.

Nach und nach kommt ans Licht, dass der Putschversuch, den der investigative Journalist Pepe Escobar vor wenigen Tagen als einen von der CIA unterstützten »brasilianischen Maidan« bezeichnete, möglicherweise von Florida aus vorbereitet wurde und Unterstützer in Provinzregierungen, Polizei und Militär hatte. Am Sonnabend wurde der ehemalige Sicherheitschef der Hauptstadt, Bolsonaros früherer Justizminister Anderson Torres, nach Rückkehr aus den USA verhaftet. In seinem Haus war ein Dokument mit Plänen für eine »Korrektur des Wahlergebnisses« gefunden worden. Laut Staatsanwaltschaft ist das »ein Beweis dafür, dass der Putschversuch geplant war« und Torres die gewalttätigen Ausschreitungen unterstützt habe. Auch gegen den Gouverneur von Brasilia, denBolsonaro-Vertrauten Ibaneis Rocha, der für 90 Tage seines Amtes enthoben wurde, ermitteln die Justizbehörden.

Am Wochenende genehmigte das Oberste Gericht schließlich einen Antrag der Staatsanwaltschaft, auch den Expräsidenten in die Ermittlungen gegen die Drahtzieher der Terroranschläge in Brasilia einzubeziehen. Staatsanwalt Lucas Rocha Fortado forderte, seine Konten einzufrieren. Bolsonaro, der sich Ende Dezember nach Florida abgesetzt hatte, könnte wegen Aufwiegelung, Anstiftung und Unterstützung von Verwüstungen und Plünderungen angeklagt werden. Die Ermittler berufen sich auf ein mittlerweile von Bolsonaro wieder gelöschtes Video, das dieser am 10. Januar bei Facebook veröffentlicht hatte. Darin war die Rechtmäßigkeit der Wahl von Luiz Inácio Lula da Silva erneut bestritten worden.
- Mehr: Diener ihrer Herren
https://www.jungewelt.de/artikel/442919.s%C3%BCdamerika-diener-ihrer-herren.html

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#politik #putschversuch #polizei #gewalt #brasilien #solidarität #sem-anistia

Putschversuch in Brasilien: Polizei unterstützte Sturm auf den Kongress

Polizei unterstützte, die Agrarindustrie finanzierte den Sturm auf den Kongress – und CSP-Conlutas ruft alle ArbeiterInnen auf, den Putschisten der extremen Rechten entgegenzutreten

„Bislang über 1.500 Festnahmen. Suche nach Hinterleuten. Bolsonaro verurteilt Ausschreitungen. Landesweite Großdemonstrationen für Demokratie (…) Demnach ermöglichte erst das Nicht-Einschreiten der Polizei den Angriff auf den Kongress, den Präsidentenpalast und den Obersten Gerichtshof. Berichten zufolge hätten sich Polizeikräfte bewusst zurückzogen und die Anhänger:innen des früheren Präsidenten Jair Bolsonaro gewähren lassen. In den Sozialen Medien kursieren Dutzende Videos von Polizist:innen des Bundesdistrikts Brasília (PM), die während des Sturms am vergangenen Sonntag teilnahmslos blieben oder sich entfernten – beispielsweise, um sich „Erfrischungsgetränke zu besorgen“, berichtet die Zeitung Estadão. Das Nachrichtenportal UOL hat Videos von Polizist:innen zusammengestellt, die sie dabei zeigen, wie sie den Angreifenden den Weg zu den Regierungsgebäuden weisen oder mit ihnen Selfies machen. (…) Für die neue Regierung ist die Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörden und rechten Putschisten ein größeres Dilemma, als wenn einige Hunderte ein ungeschütztes Parlamentsgebäude stürmen. Insofern kritisierte Lula am Montag die Polizei der Bundeshauptstadt und die Oberkommandierenden der Streitkräfte, angesichts der Verwüstungen untätig geblieben zu sein. „Kein General hat sich gerührt, um zu sagen, ‚das geht nicht‘ oder ‚das ist verboten'“, so Lula. Gleichzeitig dankte Lula den 27 Gouverneur:innen, die zu einem Sondergipfel angereist waren, für ihre „Solidarität mit dem Land und der Demokratie“. Zu den Ausschreitungen erklärte er: „Sie wollen den Putsch, doch den bekommen sie nicht!“. (…) Zeitgleich begann die Suche nach den Verantwortlichen im Hintergrund. Die Auswertung von Telegram-Gruppen mit mehr als 188.000 Nutzer:innen deutet auf eine koordinierte Aktion hin. Es soll zentral gesteuerte Befehle an einige rechte Aktivist:innen vor Ort gegeben haben. Demnach war es das Ziel, die Sitze der drei Gewalten in der Hauptstadt und landesweit kritische Infrastruktur wie Straßen oder Tankstellen zu besetzen und mit terroristischen Aktionen einen Aufstand anzustacheln. Hiervon wurde das erste Ziel zeitweilig erreicht. Versuche, wie die Raffinerie in Rio de Janeiro oder eine Autobahnkreuz in São Paulo zu besetzen, wurden von Behörden unterbunden. (…) Währenddessen protestierten am Montag im ganzen Land Tausende gegen den rechten Putschversuch. „Sem Anistia!“ – „Keine Strafffreiheit“, forderten die Demonstrant:innen. Außerdem sicherten Mitarbeiter:innen des staatlichen Erdölkonzerns Petrobras, den Lula wieder zum Schwerpunkt der Industriepolitik machen möchte, Raffinerien gegen mögliche weitere Angriffe…“
- Bericht von Mario Schenk vom 11.01.2023 in amerika21
https://amerika21.de/2023/01/262118/brasilia-sturm-kongress-polizei

mehr @ https://www.labournet.de/internationales/brasilien/soziale_konflikte-brasilien/sturm-der-bolsonaristen-auf-den-kongress-als-neuer-hoehepunkt-des-kampfes-um-die-demokratie-in-brasilien/

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#politik #putschversuch #rechte-agenda #staat #militär #linke #brasilien

"Die Linke wird gezwungen, Institutionen zu verteidigen, in denen sie nichts zu melden hat, die aber immer noch besser sind als ein Staatsstreich von rechts."

Ansage der Ultrarechten bei den Exzessen in Brasilia: Wir bestimmen die Agenda!

Nach den Chaostagen in Brasilien: Die Sicherheitskräfte von der Armee bis zur Polizei haben die Zerstörung demokratischer Institutionen eher unterstützt als unterbunden. Die Gefahren für die Regierung Lula da Silvas sind enorm (von Raul Zelik)

In der Berichterstattung der vergangenen Tage ist der Sturm eines ultrarechten Mobs auf Parlament, Gerichtshof und Regierungssitz in Brasilia durchgängig als Angriff auf die liberale Gesellschaft gedeutet worden. Was in einer Hinsicht durchaus stimmt: Diese Massenbewegung, die sich um den abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro formiert hat, trägt faschistoide Züge. Die Bolsonaristas fordern die Armee zum Putsch auf, propagieren einen Staat, in dem die Sicherheitskräfte bei der Kriminalitätsbekämpfung freie Hand haben, und hetzen gegen LGBTQ-Menschen.

Doch schon auf den zweiten Blick stimmt die Erzählung nicht mehr so recht: Bolsonaro ist Mitglied der Liberalen Partei. Zugleich sind andere etablierte Parteien der bürgerlichen Rechten Teil seiner Bewegung. Ähnlich wie in den Vereinigten Staaten haben sich auch in Brasilien Wirtschaftsliberalismus, Autoritarismus und evangelikale Kirchen zu einer unheilvollen Allianz zusammengeschlossen. Und noch aus einem anderen Grund lässt sich das Brasilien-Bild dieser Woche hinterfragen: Für die meisten Medien steht der ultrarechte Mob im Mittelpunkt. Schließlich hat er Regierungsgebäude gestürmt. Ob jedoch die Hauptgefahr für Präsident Lula da Silva und seine Regierung wirklich von dieser diffusen Meute ausgeht, ist zweifelhaft.

Die Erstürmung des US-Kapitols durch Trump-Anhänger vor zwei Jahren – sie diente der brasilianischen Rechten offenkundig als Blaupause – folgte insofern einer Logik, als sie sich gegen einen von den Demokraten kontrollierten Kongress richtete. Die Ereignisse von Brasilia ergeben – falls sie als Staatsstreich gedacht waren – sehr viel weniger Sinn: Die Rechtsparteien besitzen eine solide Mehrheit im brasilianischen Parlament.

Das Beunruhigendste der zurückliegenden Tage war daher nicht, dass Bolsonaro-Anhänger ein von Bolsonaro-Verbündeten dominiertes Parlament gestürmt haben, sondern das Verhalten der Sicherheitskräfte. Polizei und Armee reagierten auffallend lasch auf den Angriff von ultrarechts. Wenn man weiß, mit welcher Entschlossenheit der brasilianische Staat das Eigentum einiger Superreicher schützt und beispielsweise Großgrundbesitz gegen landlose Bauern verteidigt, ist klar, dass die Polizei nicht einfach „von den Ereignissen überfordert“ war oder einzelne Führungskräfte ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind. Die zentrale Erkenntnis von Brasilia besteht darin, dass eine Verteidigung der demokratischen Institutionen für die brasilianischen Sicherheitskräfte – und zwar von der Führungsebene bis hinunter zu den einfachen Polizisten – keine Priorität besitzt. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass nach einem Machtwort des Obersten Gerichtshofs gut 1.500 Aufrührer vorübergehend festgenommen wurden – dies geschah, als der Sturm auf die Institutionen bereits vorüber war.

Alles in allem spricht also eher weniger dafür, dass Krawall und Zerstörung tatsächlich einem Plan zur Machtübernahme folgten. Viel eher dürfte es sich um eine Ansage der Rechten gehandelt haben, dass man linke Reformen mit allen Mitteln verhindern wird. Paradoxerweise könnte Präsident Lula von diesen Manövern in einer Hinsicht profitieren: Ähnlich wie in den USA dürften sich „zivilisierte“ Teile der Rechten vom abgewählten Unruhestifter abwenden. Nur bedeutet das noch lange nicht, dass dadurch eine linke Regierung mehr Spielraum gewinnt.

Die Aussichten für eine progressive Reformagenda waren schon vor den Chaostagen von Brasilia schlecht. Lula hat nicht nur das Parlament, sondern auch die Unternehmerverbände, die mächtige Agrarlobby und die Medienkonzerne gegen sich. Nun wird er der bürgerlichen Rechten noch mehr Zugeständnisse machen müssen – zu Lasten eigener sozialer und ökologischer Ziele. Außerdem wird die extreme Rechte, auch wenn ihr Aufstand verpufft, weiter die politischen Debatten beherrschen. Ihr Kulturkampf zur Verteidigung evangelikaler Familienwerte oder des „Rechts“, rassistisch sein zu dürfen, verhindert, dass über soziale und ökonomische Fragen gesprochen wird.

Dabei wäre das in Brasilien dringlicher als anderswo. Mit einem Gini-Koeffizienten von 0,89 (bei einem Faktor 1 gehört einer einzigen Person der gesamte gesellschaftliche Reichtum) ist das Vermögen in dem südamerikanischen Land so ungleich verteilt wie kaum irgendwo sonst auf der Welt. Der Bolsonarismo erfüllt seine Funktion also auch dann, wenn er die Lula-Regierung nicht stürzt. Das rechtsextreme Spektakel blockiert Reformen, macht Klassenkonflikte unsichtbar und besetzt das Feld der Rebellion. Letzteres ist mutmaßlich der schlimmste Effekt der neuen rechten Bewegungen – nicht nur in Brasilien. Früher war der Protest gegen staatliche Institutionen ein Instrument der unteren Klassen, um soziale und demokratische Konzessionen zu erkämpfen.

Die neue extreme Rechte verstellt diesen Weg. Der radikale Massenprotest auf der Straße verkommt immer mehr zu einem Werkzeug, um genau jene Errungenschaften abzuräumen. Die Linke hingegen wird gezwungen, Institutionen zu verteidigen, in denen sie nichts zu melden hat, die aber immer noch besser sind als ein Staatsstreich von rechts.
- https://www.freitag.de/autoren/raul-zelik/ansage-der-ultrarechten-bei-den-exzessen-in-brasilia-wir-bestimmen-die-agenda