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mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

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Vier tabuisierte Wahrheiten über den Ukrainekrieg

Wenn man in Talkshows oder Zeitungen die Eskalationsgefahr des Ukrainekrieges anspricht, wird man kaltgestellt. Das liegt auch daran, dass die Meinungsmacher in diesem Land linksliberal sind – ihnen geht es mehr um Moral als Realismus

Vier unbequeme Wahrheiten kennzeichnen den Krieg in der Ukraine von Anfang an.
Dazu gehört erstens: Wie jeder Krieg in der Geschichte hat auch der Ukrainekrieg eine Vorgeschichte, die nicht erst mit dem russischen Überfall auf das Nachbarland vor knapp einem Jahr beginnt, ja nicht einmal erst 2014 mit dem Anschluss der Krim an Russland.
Zweitens: Dem Krieg wohnt ein immenses Eskalationspotenzial inne. Und zwar sowohl innerhalb der Ukraine als auch über ihre Grenzen hinaus, weil er sich von einem Invasions- zu einem Stellvertreterkrieg mit internationaler Beteiligung auf beiden Seiten ausgeweitet hat, weil es sich um einen Krieg mit einer Atommacht handelt und weil sich abzeichnet, dass ohne direkte Beteiligung von NATO-Truppen der ukrainischen Seite die Soldaten ausgehen, die die aus den USA und auch aus Europa gelieferten Waffen bedienen können. Dass der Krieg seine Ursprünge in einem Bürgerkrieg hat, macht die Sachlage nur umso schwieriger.

Drittens: Dieser Krieg wird nicht mit einem Siegfrieden enden. Es gibt keinen primär militärischen Weg zu einem Ende des fürchterlichen Blutvergießens, zu einem Ende von Zerstörung, Verstümmelung, psychischer Zerrüttung, sexualisierter Gewalt und Flucht. Dies zeigt sich immer stärker jetzt, da der Krieg in eine Phase des Stellungs- und Abnutzungskriegs übergegangen ist, mit einem Blutzoll von annähernd 300.000 Toten insgesamt und bis zu 1.000 Todesopfern auf beiden Seiten jeden Tag.
Und viertens: Der Ukrainekrieg wird, so unerträglich man das findet, nicht ohne territoriale Zugeständnisse der ukrainischen Regierung enden.

Es ist bemerkenswert zu sehen, dass diese vier Wahrheiten nicht primär von Linken oder nicht zuerst oder am lautesten von Politiker:innen der Linken zu hören gewesen sind, sondern vielfach von kritischen liberal-konservativen Wissenschaftler:innen, von hohen Militärs und aus den Staatsapparaten selbst: Am Tabu der Vorgeschichte – dem ost-westlichen Zerren an der Ukraine, die das Land schließlich im Jahr 2014 zerriss – rührten in Deutschland etwa Wolfgang Ischinger, von 2008 bis 2022 Leiter der taktgebenden „Münchner Sicherheitskonferenz“, und Günther Verheugen, ehemaliger stellvertretender EU-Kommissionspräsident und EU-Kommissar für die Osterweiterung. Sie führten für den Ukrainekonflikt dabei ähnliche Ursachen an, wie dies vor ihnen bereits Henry Kissinger, der wohl einflussreichste Außenpolitik-Vordenker der USA im Kalten Krieg, der konservative Internationale-Beziehungs-Theoretiker und Politikwissenschaften-Professor an der University of Chicago, John Mearsheimer, und sogar der US-amerikanische Neocon und Vordenker des Irakkriegs, Robert Kagan, getan hatten.

Zu enger Schulterschluss mit den USA

Ischinger betonte in einem am Vorabend des Kriegs in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Beitrag, dass erst die aggressiven Versuche seitens der US-Regierung von George W. Bush, die ökonomisch, politisch, ethnisch-linguistisch gespaltene Ukraine in die NATO zu ziehen, die Entfremdung Russlands von Europa und die nationalitätenpolitische, russische Destabilisierungspolitik im Kaukasus, in der Ukraine und auch die russische Syrienpolitik begünstigt habe. Startpunkt für das westliche Gezerre an der Ukraine sei der NATO-Gipfel in Bukarest (2008) gewesen. Dabei wäre ein Eintritt des Landes in das Verteidigungsbündnis nicht nur gegen die damalige Verfassung der Ukraine gewesen, sondern entsprach auch nicht dem damaligen Mehrheitswillen in der Ukraine oder den Interessen der westeuropäischen NATO-Verbündeten.

Ähnlich kritisierte Verheugen (FDP, später SPD) vor allem die Politik seiner Nachfolger. Das 2002 vom damaligen EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi erklärte Ziel, der EU einen „Ring von Freunden“ zu schaffen, sei gescheitert, weil man auf Russlands Bestrebungen, einer engen Partnerschaft auf Augenhöhe – mit Perspektive gar eines russischen NATO-Beitritts oder, wie damals unter dem Jubel der Europäer von Putin vorgeschlagen, gemeinsamen eurasischen Wirtschaftsraums „von Lissabon bis Wladiwostok“ – nicht eingegangen sei, sondern „die östliche Partnerschaft der EU nach 2007 ohne Beteiligung Russlands in Gang gesetzt“ habe. Und das, während sich die NATO – gegen die explizite Warnung seitens der russischen Regierung – osterweiterte.

Die Europäer hätten damit in viel zu engem Schulterschluss mit den USA agiert und letztlich gegen ihre eigenen ökonomischen, politischen und friedens- und sicherheitspolitischen Ziele verstoßen. Stattdessen hätte es einer viel unabhängigeren Position im Verhältnis zu den USA bedürft. Es sei „zwingend notwendig, die gesamte Vorgeschichte des Ukraine-Krieges zu verstehen und richtig einzuordnen“, so Verheugen. Die EU werde dann „auch bereit sein müssen, eigene Fehler aufzuarbeiten.“ Bei der Analyse der „Vorgeschichte“ des Kriegs müssten „zwei Fragen genau unter die Lupe“ genommen werden: „An wem ist das Minsker Abkommen gescheitert, und wer oder was hat die EU dazu getrieben, sich im Jahr 2013 an einer Regimechange-Operation in der Ukraine zu beteiligen?“

Dabei sprach sich Verheugen auch gegen die Tabuisierung der Vorgeschichte des Ukrainekriegs aus, die zu benennen, stets als Relativierung der russischen Kriegsschuld ausgelegt worden ist. Das Versagen aber, die „ganze Vorgeschichte (…) wirklich ernsthaft aufzuarbeiten“, würde bedeuten, „dieselben Fehler zu wiederholen.“ Es sei schon „merkwürdig, dass über Ursachen und Entwicklungen, die zum Ersten und zum Zweiten Weltkrieg führten, ganze Bibliotheken geschrieben wurden.“

Enormes Eskalationspotenzial

Die Tatsache, dass dieser Krieg ein enormes Eskalationspotenzial hat, wurde von hohen, aber von der Gehorsamspflicht befreiten Ex-Militärs benannt: darunter Brigadegeneral a.D. Helmut W. Ganser, Erich Vad, Bundeswehrgeneral a.D. und ehedem Sicherheitsberater der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel, und Harald Kujat, General a.D. der Luftwaffe, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Es kann nicht nur in der Ukraine selbst eskalieren, wie die russischen Kriegsverbrechen mitten im kontinentalen Winter und bei einer sehr vulnerablen Bevölkerung zeigen. Auch ein Schlafwandel in einen Dritten Weltkrieg ist denkbar.

Während Kujat die Politik der Offensiv-Waffenlieferungen als hochgradig eskalativ kritisierte, hat Vad immer wieder gewarnt, dass Russland die Eskalationsdominanz besitze. Er kritisiert, dass die Waffenlieferungen ohne erkennbare Diskussion der damit verbundenen militärstrategischen Ziele erfolgten. Im vergangenen Monat trat Vad auch als politischer Akteur in Erscheinung, im Rahmen des von Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer und ihm selbst initiierten „Manifests für den Frieden“, das bis heute über eine Dreiviertelmillion Menschen in Deutschland unterzeichnet haben.

Ganser wiederum sah in der Politik der Bundesregierung und der Vereinigten Staaten eine „unfassbare Nonchalance“ im Umgang mit der realen Aussicht auf einen Atomkrieg. Der UN-Generalsekretär António Guterres wiederum sorgte für Aufsehen, als er vor einem Monat vor der UN-Generalversammlung vor der Ausweitung des Ukrainekriegs warnte: „Die Aussichten auf Frieden werden immer geringer, die Aussicht auf weitere Eskalation und Blutvergießen wachsen stetig.“ Seine Angst sei nicht, dass die Welt in einen größeren Krieg schlafwandle. „Meine Angst ist, dass sie dies mit offenen Augen tut.“
Einfach Lenin lesen

Der Krieg wird nicht militärisch und nicht mit einem „Siegfrieden“ enden, wie von der herrschenden Politik – von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bis zur deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) – viel zu lange angenommen und immer noch angestrebt. Stattdessen wird es eine Verhandlungslösung geben. Diese Tatsache wurde wiederum von Personen ausgesprochen wie dem erzkonservativen Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski, der zugleich ebenfalls vor einer Eskalation des Kriegs durch eine ideologisch getriebene und gefährlich naive „westliche“ Außenpolitik warnte. Oder dem außenpolitischen Realisten und Professor der Politikwissenschaften an der Universität Halle-Wittenberg, Johannes Varwick. Auch von Kujat, der davor warnt, dass der Krieg in eine Pattsituation eingetreten sei und Waffenlieferungen Krieg und Blutvergießen jetzt ohne ein erkennbares Ziel nur verlängern würden.

Ja, selbst der höchstrangige Militär der USA, US-Generalstabschef Mark A. Milley, ein belesener, sogar die militärstrategischen Schriften von Engels, Lenin und Mao konsultierender, außenpolitischer Realist, äußerte sich so. Im November begründete er in einer Presskonferenz des Pentagon seine Zweifel an der „Wahrscheinlichkeit eines ukrainischen militärischen Sieges, definiert als die Vertreibung der Russen aus der ganzen Ukraine, einschließlich der von ihr beanspruchten Krim.“ Diese Wahrscheinlichkeit sei, „militärisch betrachtet, nicht besonders hoch.“ Und er fügte hinzu: „Politisch betrachtet, könnte es eine politische Lösung geben, bei der – politisch – die Russen sich zurückziehen.“ Das sei denkbar.

Und in einem Mitte Februar erschienenen Interview in der Financial Times sagte Milley: „Es sei im Grunde ausgeschlossen, dass Russland seine politischen Ziele mit militärischen Mitteln durchsetzen“ könne. Es sei „unwahrscheinlich, dass Russland die Ukraine überrennt. Es wird einfach nicht passieren.“ Es sei aber genauso umgekehrt der Fall und könne eigentlich nur bei einem „faktischen Kollaps des gesamten russischen Militärs“ passieren. Und auf die Frage, ob „der Moment für Diplomatie zwischen Moskau und Kiew“ vorbei sei, antwortete Milley: „Bis zum Beginn des Frühlings“, das heißt möglicher Offensiven, seien es „nur noch Wochen“, aber es gebe ein „flexibles Möglichkeitsfenster“. Für Friedensverhandlungen gebe es „zu jeder Zeit Möglichkeiten“, auch wenn beide Seiten sich „stark eingegraben“ hätten in Bezug auf „ihre Kriegsziele und den Unwillen zu verhandeln.“

Weltkriegerischer Wahnsinn

Die vierte, besonders unbequeme, Wahrheit folgt nun aus der Einsicht, dass die bisherigen ukrainischen und US-amerikanischen Kriegsziele einer „Rückeroberung“ des gesamten Donbass und auch der Krim-Halbinsel völlig unrealistisch sind. Die einzige Alternative hierzu wäre, weil der ukrainischen Regierung langsam das kriegsverwendungsfähige Personal zur Bedienung der gelieferten Waffen ausgeht, die NATO-Truppen direkt zu involvieren. Diesen weltkriegerischen Wahnsinn hat außer dem deutschen Kanzler in Wartestellung Friedrich Merz und irren WELT-Journalistinnen sowie den grünliberalen Hobby-Außenpolitiker:innen auf Twitter glücklicherweise noch niemand ernsthaft in Erwägung gezogen.

Und auch Annalena Baerbocks Aussage, der zufolge „wir“ Europäer „einen Krieg gegen Russland kämpfen“, lässt sicherlich tief blicken, aber war doch ein Versprecher, unbedacht und gefährlich, und doch wohl bloß dem Eifer des Gefechts geschuldet. Wenn die militärische Lage aber nun so ist, dann wirft das die Frage auf, ob in den an Verdun und den Ersten Weltkrieg erinnernden Abnutzungsschlachten bei Bachmut erst noch weitere Hunderttausende oder womöglich Millionen ukrainische und russische Arme verheizt werden müssen, bis diese Wahrheit den handelnden Staatschefs klar wird. Oder ob ein solches Gemetzel noch verhindert werden kann.

Sogar Stoltenberg weiß es

Die vierte Wahrheit aber, dass der Krieg nicht ohne territoriale Zugeständnisse seitens der Regierung in Kiew vonstattengehen wird, wurde von niemand anderem und dazu noch so früh ausgesprochen, wie von Jens Stoltenberg selbst. Während Annalena Baerbock dies bis heute ausschließt und sich vehement dagegen ausspricht, erinnerte der NATO-Generalsekretär schon im Juni vergangenen Jahres an den sowjetisch-finnischen Krieg (November 1939 bis März 1940) und die territorialen Konzessionen seitens der damaligen finnischen Regierungen, die aber für das Land im Ergebnis noch die beste Lösung gewesen seien: „Die Frage“ sei, so Stoltenberg, „welchen Preis ist man bereit für den Frieden zu zahlen? Wie viel Territorium? Wieviel Unabhängigkeit? Wie viel Souveränität?“ Dies sei moralisch sicherlich ein „Dilemma“, und natürlich müsse am Ende „die Ukraine“ selbst entscheiden, welche Antwort sie darauf gebe. Aber durch Stoltenbergs Äußerungen war die Frage der territorialen Zugeständnisse freilich auf dem Tisch.

Dass im Übrigen auch die Frage im Raum steht, welche Kriegsverbrechen zum Beispiel an den „Kollaborateuren“ begangen werden, sollte es der Regierung in Kiew gelingen, die abtrünnigen Gebiete in der Ostukraine und die Krim zurückzuerobern, gehört dabei zu den besonders stark tabuisierten Fragen in dieser Hinsicht. Und das, obwohl es bereits Erfahrungswerte aus den von der Regierung in Kiew zurückeroberten Cherson und Charkiw diesseits der Kontaktlinie gibt, wo im Anschluss viele Tausende Menschen aus Angst nach Russland flüchteten und andere auf der Grundlage eines Anti-Kollaborationsgesetzes vom März 2022 drastischen Verhören ausgesetzt waren. Dennoch erntete der einflussreiche Jurist und emeritierte Professor Reinhard Merkel, als er es in der FAZ wagte, infrage zu stellen, dass die Bevölkerung der Krim-Halbinsel sich militärisch „zurückerobern“ lassen wolle. Daraus leitete er eine Verpflichtung für die Ukraine ab, in – im Oktober von der Selenskyj-Regierung per Dekret verbotenen – Verhandlungen mit Russland zu treten, sofern Russland ebenfalls zu solchen gedrängt werden kann. Bereits 2014 hatte Merkel, ebenfalls in der FAZ, die Krim-Abspaltung völkerrechtlich als eine „Sezession“ (in Folge des Maidan-Regime-Changes in Kiew) und eben nicht als Annexion beurteilt und sich damit einen veritablen Shitstorm im deutschen Blätterwald eingehandelt.

Die vier unbequemen Wahrheiten über den Ukrainekrieg auszusprechen gilt nun, mit Franz Josef Degenhardt gesprochen, „als äußerst unfein in diesem Land“, ja im gesamten westlichen Teil dieser Welt. Bis heute markieren sie ein Tabu, an dem zu rühren, Ächtung in den Medien der bürgerlichen Öffentlichkeit nach sich zieht – oder einen grünliberalen Shitstorm in den sozialen Medien. Wer „sich zu weit vom Mainstream entfernt“, hat kürzlich der – medial als einer der wenigen Kritiker mit regelmäßiger medialer Präsenz – Johannes Varwick bemerkt, „der wird kaltgestellt“, zumindest ins Jenseits des engen Korridors rechtmäßiger Meinungen. Denn während der Krieg in der Ukraine nun in einen grausamen Abnutzungskrieg mit täglich bis zu tausend toten Soldaten auf beiden Seiten, die auf beiden Seiten selbst zunehmend den Sinn dieses Krieges hinterfragen, sind hierzulande Kritiker:innen, die mit der Mehrheit der Bevölkerung im Rücken die einseitige Fokussierung auf die Logik des Militärischen hinterfragen und Verhandlungen fordern, als „gewissenlose Unterwerfungspazifisten“, „Lumpenpazifisten“, „Friedensschwurbler“ und sogar – aus dem ideologischen Arsenal des Kalten Kriegs schöpfend – als „fünfte Kolonne Putins“ diffamiert worden.

Linksliberaler Krieg

Auf sie wirkte und wirkt bis heute die ganze Macht einer herrschend-liberalen „Cancel Culture“. Sie findet sich in den Redaktionen der großen, meinungsmachenden Zeitungen und Zeitschriften und der Fernsehtalkshows, in denen ihre Position allenfalls vorkommt, damit drei weitere Gäste zusammen mit dem Moderator den Gegner der herrschenden Politik am Nasenring durch die Manege ziehen können. Dass die Politik im Westen dabei nicht weniger propagandistisch (und dazu doppelmoralisch mit zweierlei Maß messend) ist, darauf hat ein anderer konservativer Publizist mehrfach hingewiesen: der Rechtswissenschaftler und frühere Vorsitzende Richter des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, Thomas Fischer.

Nun stellt sich die Frage, wie es sich eigentlich erklärt, dass die vier unbequemen und tabuisierten Wahrheiten zwar immer mal wieder auch von Linken, aber eben genauso prononciert aus konservativ-liberalen Kreisen, aus den Staatsapparaten und dem Militär zu hören gewesen ist. Dies hat sicherlich damit zu tun, dass es niemals egal ist, wer etwas sagt und mit welcher Autorität. Es hat aber sicherlich auch damit zu tun, dass eine gefährlich abstrakt-moralische anstatt konkret-realistische Außenpolitik vor allem im (links-)liberalen Spektrum anschlussfähig ist beziehungsweise hier ihren Ursprung besitzt. Es ist nun einmal so, dass je weiter Politiker:innen, Journalist:innen, Twitter-Aktivist:innen vom realen Militär und auch der Verantwortung für ihr eigenes Reden entfernt sind, angesichts der schrecklichen Bilder von Tod, Leid und Zerstörung heute umso leichtfertiger in der Logik des Militärischen Zuflucht suchen, während man vor allem im Militär die Grenzen des Militärischen kennt – nicht zuletzt aus den Erfahrungen in Afghanistan, dem Irak und Mali.

Dies reicht als Erklärung aber zweifelsohne nicht aus. Zur Erklärung, warum das linksliberale Spektrum die herrschende Politik in dieser Weise unterstützt, gehört sicherlich auch, dass sie nicht von konservativen und rechten Regierungen getragen wird, sondern von den US-Demokraten und den Grünen. Zur Verunsicherung in der Linken in Bezug auf die herrschende Politik und den offensichtlichen inneren Spaltungslinien wiederum gehört, dass die russische Invasion in der Ukraine drei tief verankerte linke Gefühle anspricht: die Antikriegshaltung, den Antifaschismus und den Wunsch, mit den Schwachen und auch international solidarisch zu sein. In dieser Weise ist der Ukrainekrieg auch ein „linker“ beziehungsweise linksliberaler Krieg.

Die Suche nach Antworten, wie dieser fürchterliche Krieg und das Blutvergießen so schnell wie möglich beendet werden können, muss jedoch mit der Auseinandersetzung mit den realen Verhältnissen beginnen. Dazu gehört die Anerkennung und Enttabuisierung seiner vier unbequemen Wahrheiten. Dies sind wir denen schuldig, die diesen Krieg heute durchleiden: der ukrainischen Zivilbevölkerung, die von Russland mit diesem Krieg überzogen worden ist, den im Krieg vor allem auf russischer, aber auch ukrainischer Seite oft gegen ihren eigenen Willen verheizten Armen, den Menschen, die vor diesem Krieg fliehen mussten und Hilfe brauchen, den unteren Klassen im globalen Süden, vor allem in Afrika, die die Inflation völlig ungebremst trifft und deren Staaten in Folge dessen zu zerfallen drohen, und auch den arbeitenden Klassen in Europa und den USA, die diesen Krieg und seine Verlängerung mit massiven Realeinkommensverlusten bezahlen.

  • Ingar Solty ist Referent für Außen-, Friedens- und Sicherheitspolitik am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung und war Sachverständiger im Auswärtigen und im haushaltspolitischen Ausschuss des Deutschen Bundestags

Quelle: https://www.freitag.de/autoren/ingar-solty/vier-tabuisierte-wahrheiten-ueber-den-ukrainekrieg

Weitere Leseempfehlung: Der Ukrainekrieg und die Propaganda: Eingebettete Meinungen (Eine Kolumne von Thomas Fischer)
- https://www.spiegel.de/kultur/ukraine-krieg-und-propaganda-eingebettete-meinungen-kolumne-von-thomas-fischer-a-2af4cb6d-ca9d-4073-a8f5-2e30757a7492

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #krieg #frieden #ukraine #russland #nato #deutschland #friedensbewegung #diffarmierung #staat #medien #antifa #linksliberalala

"Niemand wäre in der KPD auf die Idee gekommen, wenn man einem nationalistisch verblendeten Arbeiter das eigene Programm erklärt, begebe man sich in eine Art „Querfront“. Niemand in der kurdischen Bewegung würde bis heute auf die Idee kommen, dass es eine Art Verbrechen wäre, genau die vom IS, dem türkischen Staat oder wem auch immer verblendeten Nachbarn durch mühevolle Debatten auf die eigene Seite zu ziehen. Eine „Querfront“ fängt da an, wo man entweder die eigenen Inhalte preisgibt, um sich „in der Mitte“ mit dem Gegner zu treffen, oder wo man organisatorische Bündnisse mit den Rechten eingeht. Nichts davon muss man tun, um an einer Kundgebung für Frieden teilzunehmen und dem Ruf nach Brot, Frieden und Sozialismus Gehör zu verschaffen. Nur so, nicht durch den Gleichklang mit den bürgerlichen Diffamierern, kann man Menschen überzeugen."

Kundgebung für Frieden: Beschimpfen, weglaufen oder einmischen?

Große Teile der Überreste der außerparlamentarischen Linken, so auch wir, hatten einen „heißen Herbst“ erwartet. Die Lebenserhaltungskosten erhöhten sich ins Unbezahlbare, die Reallöhne sanken, die Kriegsrhetorik und die Aktienkurse von Rüstungskonzernen lieferten sich ein Rennen um den steilsten Anstieg. Der „heiße Herbst“ blieb aus, die gut gemeinten Demonstrationen waren kaum mehr als Aufmärsche des verbliebenen Aktivist:innen-Bestands, ohne nennenswerte Beteiligung von Menschen, die sich neu oder wieder politisieren. Auch Ansätze von antimilitaristischen Mobilisierungen sozialistischer und kommunistischer Gruppen zogen kaum.

Monate später schreiben Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer ein „Manifest für den Frieden“; über eine halbe Million Menschen unterschreiben, ein paar Zehntausend – Polizei und Presse sprechen von 13 000, Veranstalter von bis zu 50 000, realistisch ist wohl wie stets das arithmetische Mittel aus beiden Zahlen – kommen. Ein Skandal. Den Anwesenden wird das gesamte Arsenal rot-grün-gelb-massenmedialer Diffamierung entgegen geschleudert: Putinversteher, Nazis, hängengebliebene Altlinke, Stalinisten, Russenknechte, moralisch verwahrlost, menschlich gescheitert. „Der Nationalsozialismus alter weißer Männer tarnt sich heute als Sozialnationalismus alter weißer Frauen“, schreibt ein offenbar besonders verwirrter Journalist und erntet knapp 6000 Likes.

Dass eine Demonstration, die sich gegen NATO und Regierung wendet, von der Regierung angegriffen wird – normal. Dass sie von gleichmütig den Slava-Patriotismus ins Land blasenden Massenmedien beschimpft wird – geschenkt.

Aber warum eigentlich wenden sich so viele von denen, die sich „Antifaschisten“, „Linksradikale“ oder „Linke“ nennen, gegen eine Demonstration, die inhaltlich noch vor wenigen Jahren als Ostermarsch der Friedensbewegung durchgegangen wäre? Die Antwort hat zwei Teile. Zum einen gibt es eine „Linke“, der längst das, was sie allen anderen in Sachen Russland vorwirft, mit dem „eigenen“ Imperialismus passiert ist: Man kann dessen Aggressivität gar nicht mehr erkennen, fühlt sich in einer Art unausweichlichen Notwendigkeit an NATO, Baerbock und Waffenexport gebunden, die in einer immer unübersichtlicheren Welt das „kleinere Übel“ darstellen. Man möchte „die Leoparden befreien“ und schäumt vor Wut über diejenigen, die immer noch nicht eingesehen haben, dass in der Ukraine Volk und Regierung eine homogene Volksgemeinschaft bilden, die ums Überleben gegen den neuen Hitler aus Moskau ringt. Die Grünen haben genau diese „linke“ 180-Grad-Wendung schon einmal für militärisches Engagement genutzt, nämlich als es galt, den Hitler vom Balkan durch die antifaschistischen Bombardements der NATO zu entmachten. Der Jugoslawienkrieg wurde zum ersten Bruch mit dem Schwur, dass von „deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen“ solle und die Grünen zur geeignetsten Partei von allen, um genau das zu betreiben, bis heute.

Der zweite Teil hat andere Gründe, und um diesen Teil, nicht um die schon vollends an das Kriegsgetrommel verlorenen, soll es in diesem Artikel gehen. Man will nicht auf Demonstrationen, Kundgebungen, Veranstaltungen gehen, auf denen zu erwarten ist, dass auch Rechte, russische Nationalisten oder Verschwörungstheoretiker teilnehmen.

Alles Nazis?

Bevor man sich entscheidet, ob man als politische Organisation an etwas teilnimmt oder nicht, empfiehlt es sich, die Frage zu stellen, was man da will und wen man erreichen will. Was war das am vergangenen Samstag also für eine Demonstration? Was ist ihr Charakter? Die üblichen Kreise linksliberaler bis antideutscher und anarchistischer Provenienz sowie diejenigen Teile der Linken, die seit langem mit einer transatlantischen Ausrichtung der eigenen Außenpolitik liebäugeln, haben eine simple Antwort: Es war eine rechte Demonstration. Der Schluss geht so: Es waren unbestreitbar Faschisten da, es haben im Vorfeld auch welche dazu aufgerufen, das hat die Leute, die hingegangen sind, nicht vom Hingehen abgehalten, also sind auch sie „rechtsoffen“, womit der Charakter der Demonstration abschließend geklärt wäre. Weitere politische Unterscheidungen braucht es nicht, alle, die das leugnen, sind nun ihrerseits als „rechtsoffen“ oder zumindest „Verharmloser“ der so diagnostizierten „Querfront“ einzustufen und so weiter und so fort, bis als künftige Bündnispartner nur noch das linksliberale Spektrum bleibt, das zwar gegen Azov nichts hat, Erdogan gern die Hand schüttelt, Waffen auch nach Saudi-Arabien verschiebt, aber nie als „Querfront“ zählt, sondern als eben den Sachnotwendigkeiten deutscher Staatsräson unterworfene arme Gutmeinende.

Die Position enthebt jeder Analyse. Man muss sich nicht fragen, was die Interessen der jeweiligen Beteiligten sind, man hat einfach einen Pulk an Schmuddelkindern, mit denen man nicht spielt. Man bleibt lieber unter sich und findet das Fußvolk recht ekelhaft.

Was aber wäre sinnvoller?

Ein Vorschlag: Wir schauen uns die Organisator:innen, die rechten Vereinnahmer und die normalen Teilnehmer:innen mal getrennt an. Sarah Wagenknecht hat nicht einfach dieselbe Position wie Jürgen Elsässer. Sie hat nicht einmal dieselbe Position wie der tatsächliche Querfrontler Dieter Dehm, dem sie kürzlich nach seinem Interview mit Compact attestierte, „nicht mehr alle Taschen im Schrank“ zu haben. Hinsichtlich der Ukraine hat sie die Position der „alten“ Friedensbewegung, gemischt mit einigen Fehleinschätzungen zum Charakter der russischen Regierung.

Die Position Wagenknechts ist aber zugleich keine sozialistische. Das reale Interesse dürfte sein, entlang des Themas „Frieden“ die Gründung einer eigenen Partei voranzutreiben, die in wesentlichen Punkten mit der Programmatik der bestehenden Linkspartei identisch, etwas „populistischer“ und weniger transatlantisch als etwa die Klaus Lederers ist. Ihre Position ist die einer klassischen Sozialdemokratin, gerade auch da, wo sie das Geschick des deutschen Arbeiters mit dem Geschick des deutschen Standorts vermengt und klingt wie jeder SPD-Politiker von vor 30 Jahren. Lenin nannte eine solche Position „sozialchauvinistisch“ und „opportunistisch“ und das bleibt bis heute die korrekte Bezeichnung. „Faschistin“ oder „Querfrontlerin“ ist sie schlichtweg keine.

Die gibt es auch – und auch sie waren auf der Kundgebung vereinzelt zu sehen. Gestalten wie „der Volkslehrer“ oder Jürgen Elsässer machen Politik damit, irgendwo aufzutauchen, medial aufgepumpt und dann herumgereicht zu werden, also wie in aller Welt sollten sie nicht versuchen, ihre 5 Minuten Gesichtsvideo auf einer Kundgebung von ein paar Zehntausend Menschen abzugreifen? Es waren ein paar Dutzend solcher Gestalten, eine kleine Zahl, die eine entschlossene Linke in kürzester Zeit nachhause schicken könnte, die aber in der Berichterstattung vor allem der an „Recherche“ gewohnten linken Medienteams, aber auch der Massenmedien fast die gesamte Aufmerksamkeit genießen.

Zuletzt der größte und wichtigste Part: Das Gros der vielleicht 20 000 Menschen dort waren ältere Linke, Sozialist:innen, Menschen aus der Friedensbewegung, diffus Unzufriedene mit allen möglichen Privatmeinungen. Sicher auch Deutsch-Russen mit nationalistischen Überzeugungen, ein paar mit Verschwörungstheorien im Kopf und dergleichen. Aber vor allem: Leute, die unorganisiert sind, und die zwei Positionen eint: Der Wunsch nach einem Ende des Kriegs und eine gehörige Portion Ablehnung gegen die deutsche Regierung, die NATO und die USA.

Keine Alternative zur Einmischung

Ja und was macht man jetzt? Sich im Reptilienkostüm daneben stellen und mit infantilen Beschimpfungen alle über einen Kamm scheren – oder deutlich verbreiteter, dasselbe aus dem Homeoffice via Social Media zu betreiben, mag irgendeine persönliche Befriedigung schwer nachvollziehbarer Art bieten, eine politische Strategie ist es nicht.

Es könnte sich bei der Kundgebung um den Beginn einer Massenbewegung gegen den Krieg handeln. Umfragen – wie immer mit Vorsicht zu genießen – zeigen, dass die Kriegsbegeisterung kippt, eine halbe Million Unterschriften und ein paar Zehntausend real Demonstrierende sind nicht nichts. Massenbewegungen aber sind häufig bis immer heterogen, das dürfte die deutsche Linke vielleicht vergessen haben, weil sie sie nur aus dem Ausland kennt und dann ordentlich Projektionen über die Realität legt.

Der Gezi-Aufstand in der Türkei – in seiner Gesamtstoßrichtung sicher und zweifellos „links“ und „progressiv“ – bestand zu einem nicht kleinen Teil aus Nationalisten, die ihrerseits genug von Erdogan hatten. Haben die linken und kurdischen Kräfte deshalb gesagt, wir gehen nachhause? Nein, es war ja ihr Aufstand. Bei den Gelbwestenprotesten in Frankreich mussten Antifaschisten den Konsens gegen die faschistische Rechte mit Fäusten durchsetzen, auch in den Krisenprotesten in Griechenland gab es Auseinandersetzungen mit Nationalisten. Generell wird man vielleicht sagen können: Je unorganisierter die progressiven Kräfte, desto diffuser werden Massenproteste ihren Ausdruck finden, weil wenn Menschen ein Bedürfnis haben, auf die Straße zu gehen, werden sie nicht warten, bis die Linke ihren Kram geregelt hat. Und wo sollten die progressiven Kräfte unorganisierter sein als hierzulande?

Das Reinheitsgebot, nur an politischen Bewegungen teilzunehmen, die schon von vornherein dem eigenen Gusto entsprechen, trifft in Deutschland auf die Unfähigkeit, solche zu organisieren. Hätte man, wie etwa in Griechenland oder Portugal, eine viele Zehntausend Mitglieder umfassende Kommunistische Partei, die sich weder auf die Seite Putins, noch die der NATO schlägt, könnte man auf Massendemos gehen, bei denen man sich nicht sorgen muss, dass Dieter Dehm einem die Trikolore auf die Stirn klebt. Haben wir aber nicht. Und werden wir nie haben, wenn wir nicht lernen, dass es keine Alternative zur Einmischung gibt.

Gegen die Faulheit

Weite Teile der deutschen Linken hätten gerne eine andere Bevölkerung. Diese gefällt ihnen nicht, man hält sie für nicht geeignet. Man schaut auf die Leute und ihre Überzeugungen, die man akademisch vermessen und für verkürzt bis reaktionär befunden hat, herab. Man hat sich eine Reihe Schutzmechanismen zurecht gelegt, um sich am besten mit gar nichts mehr beschäftigen zu müssen, was Unwohlsein auslösen könnte. Jede kommunistische und anarchistische Bewegung der Geschichte versuchte, genau die zu agitieren, die eben (noch) nicht derselben Meinung waren, wie man selber. Niemand wäre in der KPD auf die Idee gekommen, wenn man einem nationalistisch verblendeten Arbeiter das eigene Programm erklärt, begebe man sich in eine Art „Querfront“. Niemand in der kurdischen Bewegung würde bis heute auf die Idee kommen, dass es eine Art Verbrechen wäre, genau die vom IS, dem türkischen Staat oder wem auch immer verblendeten Nachbarn durch mühevolle Debatten auf die eigene Seite zu ziehen.

Eine „Querfront“ fängt da an, wo man entweder die eigenen Inhalte preisgibt, um sich „in der Mitte“ mit dem Gegner zu treffen, oder wo man organisatorische Bündnisse mit den Rechten eingeht. Nichts davon muss man tun, um an einer Kundgebung für Frieden teilzunehmen und dem Ruf nach Brot, Frieden und Sozialismus Gehör zu verschaffen. Nur so, nicht durch den Gleichklang mit den bürgerlichen Diffamierern, kann man Menschen überzeugen. Alles andere ist schlichtweg ein Davonlaufen, das als moralische Reinheit vermarktet wird. Es ist Faulheit und da wo es sich gegen diejenigen richtet, die sich diese Arbeit nicht ersparen, ist es eine direkte Hilfeleistung für die Faschisten.
- https://lowerclassmag.com/2023/02/27/kundgebung-fuer-frieden-beschimpfen-weglaufen-oder-einmischen/