#sozialchauvinismus

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #medien #sozialchauvinismus #echokammern #widerspruch

Schluss mit der Naivität!

In der vergangenen Woche hat ein Video des österreichischen Ministerpräsidenten Karl Nehammer für Aufregung gesorgt. Darin hetzt er in einem Weinlokal vor Parteikolleg*innen gegen Armutsbetroffene. Kinderarmut, das sei ja überhaupt kein Problem in Österreich, so der Vorsitzende der konservativen ÖVP. Und überhaupt, ein Cheeseburger mit Pommes würde bei Mc Donalds nur 3,50 Euro kosten.

Man kennt das: Die Linderns und Nehammers erklären dem Volk, wie dumm arme Menschen sind. In sozialen Medien und unter Journalist*innen waren die Rollen bei diesem gewohnheitsmäßig stattfindenden Aufregungsspektakel klar verteilt. Hier die Armutsaktivist*innen und Journalist*innen, die mit Faktenchecks und Widerspruch zu widerlegen versuchen, was eh allen klar ist: Nehammer ist eine Tröte.

Was jede Tröte aber gemein hat: Sie braucht einen Raum, in dem sie Hall erzeugen kann. Eine Art Echokammer: Foren und Timelines, Kommentarspalten und Instagram-Storys, in denen ein riesiges Empörungsspektakel einsetzt.

Die Folgen dieses Spektakels sind meist überschaubar. Am besten war das in den vergangenen Wochen am Beispiel von Hubert Aiwanger zu sehen, der Vize-Ministerpräsident von Bayern und Chef der Freien Wähler, der beschuldigt wurde, in seiner Schulzeit ein antisemitisches Flugblatt verteilt zu haben. Vor dem Skandal um den Nazitext von Hubert Aiwangers Bruder dümpelten die Freien Wähler bei elf Prozent; nun haben sie in Umfragen bis zu 17 Prozent. Das hat mit der Aufmerksamkeit durch die Medien zu tun. Wenn wir glauben, dass wir durch kritische Einordnungen AfD und Co. kleinkriegen oder gar armenfeindliche Narrative beseitigen können, dann haben wir uns geschnitten, denn die Welt funktioniert so nicht.

Dekonstruktion, also die kritische Auseinandersetzung mit einem Thema (in diesem Beispiel der Skandal um Aiwanger), ist zwar eine Aufgabe von Medien, in ihr aber die Lösung von sozialen Problemen zu suchen, ist politisch naiv. Faktenchecks ändern nichts zum Guten.

Wenn jemand in Ihre Stadt kommt und überall Scheiße verteilt und Sie die ganze Zeit damit beschäftigt sind, der Scheiße hinterherzuräumen, die jemand anderes auf die Straße gekübelt hat, dann verbringen Sie Ihre Zeit mit Scheiße. Das heißt auch, Sie arbeiten in der Zeit nicht an eigenen Projekten, die sich mit der Frage beschäftigen, wie die Welt eigentlich beschaffen sein sollte.

Ich glaube, dass die Narrative des Neoliberalismus – und mit solchen haben wir es im Beispiel des Videos zu Karl Nehammer zu tun – nicht besiegt werden können, indem man sich mit ihnen beschäftigt, sondern indem man möglichst starke Gegenprojekte aufbaut.

In Armuts- und Klassendiskursen wird viel Zeit aufgewendet, um zu beweisen, dass der Sozialchauvinismus – sprich: das Nachuntentreten – überflüssig ist. Es wird erklärt, dass wir in einer Erb*innengesellschaft und nicht in einer Leistungsgesellschaft leben. Es wird erklärt, dass arme Menschen nicht fauler sind als reiche. Es wird gerechtfertigt, warum Armutbetroffenen ein würdevolles Leben zusteht. Ich habe mich lange Zeit daran beteiligt und glaube jetzt, dass es ein Fehler war.

Reiche sind keine Arschlöcher, weil sie moralisch verkommene Einstellungen vertreten, ihre Position in unserer Gesellschaft lässt sie so argumentieren, wie sie es tun. Das nennt man Interessengegensatz. Karl Nehammer und seine Parteikolleg*innen erfüllen mit ihrem Sozialchauvinismus eine Funktion: Mit ihren Angriffen gegen arme Menschen liefern sie eine Rechtfertigung für die Ungleichverteilung von Gütern, Bildung, Geld und Produktionsmitteln.

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, ihnen das eben genannte wegzunehmen. Davon haben Sie und ich eindeutig mehr, als dieses flüchtige Gefühl der moralischen Überlegenheit zu genießen.
- von Olivier David
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1176700.kritik-am-sozialchauvinismus-der-reichen-schluss-mit-der-naivitaet.html

taschenlampe@despora.de

Was ist Sozialchauvinismus? - Lenin 1915

Sozialchauvinismus ist das Eintreten für die Idee der Vaterlandsverteidigung in diesem Kriege. Aus dieser Idee ergibt sich weiter der Verzicht auf den Klassenkampf während des Krieges, die Bewilligung der Kriegskredite usw. In Wirklichkeit treiben die Sozialchauvinisten eine antiproletarische, eine bürgerliche Politik, denn was sie verfechten, ist in Wirklichkeit nicht die 'Verteidigung des Vaterlandes' im Sinne des Kampfes gegen eine Fremdherrschaft, sondern das 'Recht' dieser oder jener 'Groß'mächte, Kolonien auszuplündern und fremde Völker zu unterdrücken. Die Sozialchauvinisten machen den Volksbetrug der Bourgeoisie mit, indem sie dieser nachsprechen, der Krieg werde geführt, um die Freiheit und Existenz der Nationen zu verteidigen, und damit gehen sie auf die Seite der Bourgeoisie über, wenden sie sich gegen das Proletariat. Zu den Sozialchauvinisten gehören sowohl diejenigen, die die Regierungen und die Bourgeoisie einer der kriegführenden Mächtegruppen rechtfertigen und ihre Politik beschönigen, als auch diejenigen, die wie Kautsky den Sozialisten aller kriegführenden Mächte gleichermaßen das Recht auf 'Vaterlandsverteidigung' zusprechen. Da der Sozialchauvinismus in Wirklichkeit die Privilegien, Machtpositionen, Raubzüge und Gewalttaten der 'eigenen' (oder überhaupt einer jeden) imperialistischen Bourgeoisie verteidigt, ist er gleichbedeutend mit völligem Verrat an allen sozialistischen Grundsätzen und an dem Beschluß des Internationalen Sozialistenkongresses von Basel.“

– Lenin, Sozialismus und Krieg 1915

#sozialchauvinismus #zitat #lenin

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #sozialchauvinismus #klassenkampf-von-oben #ernährung #diegrünen

Woker Sozialchauvinismus – Gesünder Kochen mit Cem Özdemir

Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Agrarministers der Ampel-Regierung, Cem Özdemir, bestand in einem Interview. Der Berufsradler mit 5-stelligem Gehalt (monatlich) und 5-stelligem Vortragsnebenverdienst (jährlich) wandte sich im Gespräch mit der Bild am Sonntag gegen „Ramschpreise für Lebensmittel“. Diese „treiben Bauernhöfe in den Ruin, verhindern mehr Tierwohl, befördern das Artensterben und belasten das Klima“, so der schwäbische Grünen-Politiker. Woran das liege, dafür hat Özdemir auch eine Erklärung parat. Es ist die Wertschätzung, die fehlt: „Manchmal habe ich das Gefühl, ein gutes Motoröl ist uns wichtiger als ein gutes Salatöl“, so Özdemir.

Der Vorstoß zeitigte die vorhersehbaren Reaktionen. Diejenigen, die sich noch ein Körnchen Sympathie für die Habenichtse dieses Landes bewahrt haben, wünschten Özdemir zum Teufel. Dagegen warf sich eine Phalanx von im Yoga-Seminar zu Asketismus erzogenen Wirtschaftsredakteurinnen, umweltbewegten Anwaltssöhnen und Prenzlberger Lifecoach-Gestalten in die Bresche. Die Grünen-Wähler – wahre Helden unserer Zeit, die jetzt schon dem Salatöl den Vorzug vor dem Motoröl geben – sahen sich um den moralischen Mehrwert ihrer täglichen mühsamen Reisen mit dem Lastenrad zur Biocompany geprellt und fuhren die ganz schweren Geschütze auf: Die Kritiker Özdemirs seien gegen Tierwohl, wollen den Kampf um das Menschenrecht auf Billigschnitzel, würgen den Bauern zu Tode und verursachen den Klimawandel per Tiefkühlpizza.

Haben die Konrads und Ann-Kathrins recht? Letztlich hat Özdemir doch nichts falsches gesagt? Ein Auskommen für Bauern, gesundes, nachhaltiges und gutes Essen, dessen Wertschätzung sich im Preis spiegelt – wer könnte dagegen sein?...

....Setzt man die Äußerungen von Özdemir in den Kontext der Politik seiner Partei, weiß man, dass das durchaus so gewollt ist. Er und die Seinen wollen nicht darüber reden, dass Millionen Menschen in diesem Land sich gar nicht so recht aussuchen können, was sie essen und was nicht – sie haben ja anständig daran mitgewirkt. Hartz-IV – das ja die präzise Funktion erfüllt, nicht nur Erwerbslose zu knechten, sondern auch die Drohkulisse für die Erwerbstätigen abzugeben, auf dass sie ja nicht höhere Löhne fordern, mit denen sie was besseres essen könnten – ist eine rot-grüne Errungenschaft. Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt, die Zunahme von Leiharbeit und dergleichen ebenso. Und auch diese Regierung hat schon zur Genüge dargelegt, dass sie das genauso belassen möchte.

Wer das alles nicht ändern will und von höheren Preisen redet, kann noch fünfzig Mal hinten nachschieben, dass das ja alles schon irgendwie „sozial abgefedert“ werden müsse – es bleibt eine Lüge. Kein Cent von der Preiserhöhung kommt bei den Agrarsklaven in Andalusien oder den Cashew-Pflückern in Afrika an, kein Kind auf einer Kaffeeplantage bekommt eine neue Hose und kein bulgarischer Schlachter bei Tönnies holt sich davon den Tesla-Traumwagen. Die Profite bleiben da, wo sie immer bleiben, in den Taschen der Kapitalisten.

Özdemir weiß das, er steht fest hinter der „freien Marktwirtschaft“. Und die hilfsbereite Bastschuh-Mittelschicht, die jetzt irgendwelche Kochbücher postet, wie man sich mit 5 Euro Hartz-IV-Essensration am Tag trotzdem einen richtig geilen Kartoffelsalat zaubern kann, weiß das auch. Was die konsumbewusste Schickeria sagen will, ist der alte Satz der armenfeindlichen Rechten: “Die Armen strengen sich einfach nicht genug an”, nur ein klein wenig ergänzt, denn man will ja nur deren Bestes: “Die Armen strengen sich einfach nicht genug an, sich mal was ordentliches zu essen zu machen.” Es ist der alte Sozialchauvinismus, nur grün lackiert.
- vollständiger Artikel: https://lowerclassmag.com/2021/12/27/woker-sozialchauvinismus-gesuender-kochen-mit-cem-oezdemir/