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...Um es kurz zu machen: Es ist schwer, einen Jahreswechsel ohne Randale und Angriffe auf Polizisten zu finden. Und das trotz fehlender Smartphones und Dauerempörung auf Meinungsplattformen im Internet. Nur: anders als heute waren die Angriffe ohne nennenswerte migrantische Beteiligung wenige Tage später oft schon wieder vergessen. Nicht selten fiel sogar der beschwichtigende Hinweis, dass es trotz dieser oder jener Vorfälle doch ein „friedliches“ oder zumindest „normales“ Silvester gewesen sei.
Der entspannte Umgang mit den eigene Jahresendexzessen änderte sich erst, als auch Menschen mit Migrationshintergrund das Kulturgut der deutschen Silvesterrandale übernahmen. Die Diskussion über Gewalt zu Silvester hat damit eben jene rassistische Abzweigung genommen, die uns von anderen Debatten (Antisemitismus, Sexismus, Homophobie, Neutralität) schon vertraut ist: Ein gesellschaftliches Problem ist erst dann ein Problem, wenn man es Ausländern, Migrantinnen oder Muslimen zuschieben kann. Alles andere ist Kultur.
Dieses Muster lässt sich übrigens sogar ganz ohne historische Rückschau erkennen. Oder haben Sie etwas von den Debatten über gescheiterte Integration gehört, nachdem 200 junge Männer in der diesjährigen Neujahrsnacht unter „Sieg-Heil“-Rufen im sächsischen Borna randalierten und eintreffende Polizisten mit Böllern und Raketen angriffen? Oder etwas von den Forderungen nach schärferen Gesetzen, nachdem in einem bayerischen Dorf 300 Partygänger Polizisten mit Flaschen und Böllern so massiv angegriffen hatten, dass diese sogar Unterstützung aus angrenzen Bundesländern holen musste? Nein? Gab es auch nicht. Also die Forderungen und Debatten. Die Gewalt gab es schon.
Und auch in meiner alten Heimat Erfurt pflegt man weiterhin einen entspannten Umgang mit der Gewalt autochthoner Randalierer: 50.000 Euro Böller-Schaden an der Glasfassade des Stadttheaters, mehrere zerstörte Türen und Fenster auf dem Krankenhausgelände, 40 abgebrannte Autos auf einem Parkplatz am Rand der Stadt, Angriffe mit Messer und Schreckschusspistolen. Oder wie es die Lokalzeitung formulierte: eine „weitgehend ruhige Nacht“. Auch der Müll sei von der Stadtreinigung schon entsorgt worden. Nur der rassistische Müll, den uns der Jahreswechsel 2022/2023 hinterlassen hat, wird uns noch lange beschäftigen.
- https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/neukoelln-die-gelungene-integration-in-die-kultur-deutscher-silvesterrandale