24.05.2023 Es gibt nur eine Menschenwürde
Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!
Es war für Geflüchtete schon unter dem rot-grün-roten Senat schwierig in der Stadt menschenwürdig anzukommen. Mit der neuen schwarz-rötlichen Regierung wird es sicher nicht einfacher. Trotzdem appelliert der Flüchtlingsrat Berlin an diesen Senat, sich beim Bund für die Abschaffung des diskriminierenden Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) und des für viele Geflüchtete geltenden Arbeitsverbots einzusetzen. Es ist ein Hohn, wenn Menschen, die arbeiten wollen, dies verweigert wird und gleichzeitig über einen Mangel an Arbeitskräften lamentiert wird.
In seiner gestrigen Pressemitteilung vom 23. Mai 2023 fordert der Flüchtlingsrat Berlin:
"Es gibt nur eine Menschenwürde - Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!"
In Berlin muss Selbstversorgung wieder Vorrang vor Vollverpflegung, der Zugang zu Wohnungen wieder Vorrang vor Sammelunterbringung haben und der Zugang neu ankommender Asylsuchender zu medizinischer Versorgung wieder hergestellt werden.
Vor 30 Jahren wurde in Deutschland als Teil des „Asylkompromisses“ das diskriminierende AsylbLG als Instrument der Abschreckung eingeführt. Asylsuchende und geduldete Geflüchtete werden dadurch bis heute aus dem regulären System der Existenzsicherungsleistungen (Hartz IV bzw. „Bürgergeld“) und der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Viele unterliegen zudem einem Arbeitsverbot und sind damit gezwungenermaßen auf staatliche Fürsorgeleistungen angewiesen.
Das AsylbLG ist ein Sondergesetz, das Geflüchtete zu Menschen zweiter Klasse macht. Die Leistungen sind wesentlich geringer als das offizielle menschenwürdige Existenzminimum nach dem Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe und Bürgergeld). ABER: Die Länder haben bei der Umsetzung des AsylbLG erhebliche Spielräume. Berlin muss diese Spielräume nutzen!
Erster Spielraum: Selbstversorgung anstatt entmündigender „Vollverpflegung“
In Berlin erhalten immer mehr Geflüchtete „Vollverpflegung“, denn in immer mehr Unterkünften fehlen Kochmöglichkeiten für die Bewohnerinnen. „Für Menschen bedeutet es einen großen Verlust ihrer Autonomie und Selbstwirksamkeit, wenn sie nicht selbst entscheiden können, was sie wann essen wollen. Für das Land Berlin ist diese Form der Bevormundung zudem sehr kostspielig,“ sagt Sina Stach, Sprecherin des Flüchtlingsrats Berlin.
In vielen neuen Unterkünften wie z. B. in Tempelhof ist Selbstversorgung gar nicht erst vorgesehen. In einigen Containerunterkünften wurden die vorhandenen Herde und Kühlschränke sogar demontiert. Geflüchtete erhalten dort nur noch ein geringes Taschengeld für den „persönlichen Bedarf“.
Zweiter Spielraum: Gesundheitskarte anstelle diskriminierender Papierkrankenscheine
Berlin ist 2016 mit positivem Beispiel voran gegangen und hat eine Gesundheitskarte für alle Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG eingeführt. Dadurch wurde Bürokratie beim Zugang zu ärztlicher Versorgung abgebaut und Geflüchtete konnten direkt nach ihrer Ankunft medizinisch versorgt werden.
Leider funktioniert in Berlin die Ausstellung der Gesundheitskarten seit Herbst 2021 nicht mehr. Neu ankommende Asylsuchende müssen seitdem bis zu sechs Monate auf ihre Karte warten. Der Zugang zu ambulanter Versorgung, den viele neu Ankommende dringend brauchen, wird dadurch stark eingeschränkt. Im Ergebnis müssen häufig die Rettungsstellen der Krankenhäuser in Anspruch genommen werden, die jedoch weder Kapazitäten noch die Möglichkeit für eine ambulante ärztliche Versorgung haben.
Dritter Spielraum: Wohnungen statt Lager
Privates Wohnen muss wieder Vorrang vor Sammelunterkünften haben. Seit 2003 ermöglicht Berlin nach dem AsylbLG die Übernahme der Miete für eine private Wohnung. Trotzdem leben immer mehr Geflüchtete in Sammelunterkünften. „Wir erkennen an, dass in Berlin Wohnungsnot herrscht. Dennoch könnte sehr viel mehr unternommen werden, um Geflüchteten die Anmietung von Wohnungen zu erleichtern – etwa durch gezielte Beratungsangebote, die Ausstellung von Wohnberechtigungsscheinen auch für Asylbewerberinnen oder die Unterstützung privater Wohnungsgeberinnen, die ihre Wohnung für Geflüchtete zur Verfügung stellen. Für das Land Berlin sind die Sammelunterkünfte auch wesentlich teurer als privates Wohnen,“ so Sina Stach, Sprecherin des Flüchtlingsrats Berlin.
Für die Abschaffung des AsylbLG und des Arbeitsverbots
Bereits 2012 urteilte das Bundesverfassungsgericht zum AsylbLG: „Die in Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“. Leider hält der Gesetzgeber dennoch bis heute am diskriminierenden AsylbLG fest.
„Die Würde geflüchteter Menschen ist unantastbar. Deutschland muss das Grundgesetz endlich ernst nehmen und darf beim menschenwürdigen Existenzminimum nicht mehr mit zweierlei Maß messen,“ sagt Georg Classen, Sprecher des Flüchtlingsrats. „Dass es auch anders gehen kann, zeigt der Umgang mit ukrainischen Geflüchteten. Sie erhalten normalerweise sofort Zugang zu regulären Sozialleistungen, zu Arbeit, zu Integrations- und Arbeitsförderung und zu privatem Wohnraum.“
Anlässlich der bundesweiten Aktionstage gegen das AsylbLG vom 20.05.bis 26.05.2023 ermutigen wir Berlins neue Senatorin für Soziales und Antidiskriminierung Cansel Kiziltepe, die dargestellten Spielräume auf Landesebene zu nutzen und sich beim Bund für die Abschaffung des diskriminierenden Asylbewerberleistungsgesetzes und für die - auch im Koalitionsvertrag der „Ampel“ vorgesehene - vollständige Abschaffung des Arbeitsverbots für asylsuchende und geduldete Geflüchtete einzusetzen.
Flüchtlingsrat Berlin, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Hinweis zum AsylbLG: Im Mai 1993 hat der Deutsche Bundestag mit der Einführung der Regelung der sicheren Drittstaaten das Asylgrundrecht de facto abgeschafft. Zugleich wurde das AsylbLG verabschiedet, das drastische Kürzungen der Leistungen, das Prinzip der Sachleistungen, die Unterbringung in Sammelunterkünften sowie eine eingeschränkte medizinische Versorgung vorsah. Die Maßnahmen basierten auf dem "Asylkompromiss", der nach den rassistischen Pogromen in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 zwischen der CDU-FPD-Regierung und der oppositionellen SPD vereinbart wurde.
Aktion Freiheit statt Angst ist seit Jahren im Flüchtlingsrat Berlin aktiv.
Mehr dazu bei http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/asylblg_abschaffen
und Bundesweiter Appell: 30 Jahre Asylbewerberleistungsgesetz - 200 Organisationen fordern seine Abschaffung
http://www.proasyl.de/asylbewerberleistungsgesetz
und Flüchtlingsrat Berlin und PRO ASYL, November 2022: Verfassungsrechtliche Stellungnahme zum AsylbLG
http://www.proasyl.de/material/stellungnahme-asylblg-2
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