#selbstermächtigung

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Dipo Faloyin schreibt fundiert, persönlich und mit Humor über einen Kontinent, der zu oft über seine Probleme und nicht über seine Potenziale definiert wird. Eine Rezension

Dieses Buch plädiert fundiert und in Teilen auch humorvoll für eine differenzierte Betrachtung Afrikas jenseits von Stereotypen. Eine Rezension (Rezension zu Afrika ist kein Land von Dipo Faloyin)#Afrika #Apartheid #Ausbeutung #BlackHistory #Identität #Imperialismus #Kolonialismus #Menschenrechte #Rassimus #SchwarzerKontinent #Selbstermächtigung #Sklaverei #Unterdrückung #Bodenschätze #ErdeUmwelt #Kultur
»Afrika ist kein Land«: Afrika ist ein Kontinent

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

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Frankreich als Vorbild für Streiks in Deutschland

Ein Plädoyer für den politischen Streik von Olivier David

Der erste Streik, der in meiner Familie angezettelt worden ist, war der meines Vaters gegen das französische Schulsystem. Eines Morgens verschloss er als Jugendlicher mit einer Metallkette die Tore seines Gymnasiums in Rouen. Vor dem Tor agitierte er die anwesenden Schüler*innen und die verdutzten Lehrer (!), indem er ihnen die Vorteile des Anarchismus zu erklären versuchte. Es ist bekannt, dass er die politische Ordnung Frankreichs leider nicht überwinden konnte. Aber zumindest für ein paar Stunden, in denen er sich bockig weigerte, den Schlüssel herauszurücken, bestimmte er die Agenda.

Streiken, das liegt mir als Halbfranzose also ein bisschen im Blut, wenn man so will. So wundert es nicht, dass ich als Kind den Einsatz schwarzer Pädagogik vonseiten meiner Mutter (»Du kommst erst aus deinem Zimmer, wenn du aufgegessen hast.«) souverän bestreikte: Die Blumenkohlröschen, die wie Hirn aussahen und wie Erbrochenes schmeckten, landeten auf der Straße und in meiner Zahnspangendose, wo sie ein paar Monate die olfaktorische Erinnerung der Idee bildeten, dass das private immer auch politisch ist.

Die nächste Quasi-Streikepisode in meinem Leben hatte schon politischere Züge, die Sportart: Arbeitskampf. In meinem Volontariat bei einer Lokalzeitung protestierten wir Arbeiter*innen gegen den Verkauf unserer Zeitung, zeitweise war sogar das Aus unserer Zeitung eine reale Option. Niemals, und das meine ich ernst, hat sich eine fast zweistündige Mittagspause, die wir mit Schildern vor dem Hamburger Rathaus standen, so sinnvoll angefühlt. Selten habe ich mich Leuten je wieder so verbunden gefühlt, wie an dem Tag, an dem ich Seite an Seite mit Menschen stand, denen ich im Büro höchstens zunickte.

Das als kleine Einstimmung auf die Gegenwart, denn die besteht aus Streiks – und alles daran ist wundervoll! Die Post streikt, die Bahn ebenfalls, Krankenhäuser, Müllwerker. Mein kleines französisches Protestherzchen will sich besoffen machen von dem Geruch des liegengebliebenen Mülls und von der leeren Fahrplananzeige.

Diese Zeilen, so launig sie aufgeschrieben sein mögen, sollen nicht als Verkitschung sozialer Kämpfe gelesen werden. Angesichts der Inflation, der Aufrüstungsekstase, der Energiekrise und den im dritten Jahr in Folge sinkenden Reallöhnen sind Arbeitskämpfe das Mittel der Wahl für eine bessere Welt. Vielleicht ist es darüber hinaus auch sinnvoll, Arbeitskämpfe aus dem harmlosen Diskurs des Sozialen zu lösen, in einer Welt, in der Soziales als etwas Weiches angesehen wird, als etwas, um das sich gesorgt werden muss.

Wieder muss ich mir mit französischen Diskursen helfen: Der Autor Édouard Louis schlägt vor, »von linker Sicherheit zu sprechen im Sinne von sozialer Sicherheit, Sozialhilfen, dem Recht auf Arbeit und den Rechten von Minderheiten«. Dann nämlich würden Menschen in die Lage versetzt werden, auf Basis einer ökonomischen Sicherheit eine ganz andere Form des solidarischen Lebens miteinander zu teilen.

Vielleicht müssen Diskurse um Sicherheit aus den Händen der Reaktionäre gerissen werden, die die Ausschreitungen an Silvester als Chiffre für ein Migrationsproblem verstanden wissen wollten und nicht als Chiffre einer gescheiterten Sicherheitspolitik, die nicht für ökonomische Sicherheit der vielen sorgen kann.

Und weil der Text im französischen Rouen begonnen hat, so muss er auch dort enden. Oder besser, bei der Autorin Annie Ernaux, deren autosoziobiografische Romane teilweise in Rouen spielen. Am Ende eines Textes, den Ernaux über die aktuelle Streikwelle in Frankreich geschrieben hat, richtet sie das Wort an die Streikenden, und schreibt: »Ich möchte mich bei Ihnen bedanken. Beugen wir uns nicht.«
- https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171524.oeffentlicher-dienst-frankreich-als-vorbild-fuer-streiks-in-deutschland.html

Olivier David ist Autor und Journalist. 2022 erschien sein erstes Buch »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen reflektiert.

Mehr: Ihr streikt für uns mit - Erinnerungen an den großen französischen Ausstand im Winter 1995 (von Annie Ernaux)
- https://monde-diplomatique.de/artikel/!5896996

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #selbstermächtigung #protest #widerstand #peru

Unterbelichtet von den Medien der westlichen Profiteure der Massaker im Auftrag von Peru's Eliten geht der Aufstand weiter

In Peru steht die Macht der Straße gegen die Macht überlebter Institutionen

Die Regierung in Peru von Präsidentin Boluarte greift inzwischen auf ein Ausmaß an Repressionen zurück, dass es an die Zeit des autoritären Staatschefs Alberto Fujimori nach 1990 erinnert

Seit Dezember nun schon wird Peru von nicht abreißendem Massenprotest erschüttert. Mehr als 50 Menschen sind gestorben, mehrheitlich Opfer von Polizeigewalt. Doch das Aufbegehren gegen die vom rechtsgerichteten Kongress eingesetzte Regierung unter Dina Boluarte bleibt ungebrochen. Jüngster Höhepunkt war ein Sternmarsch auf die Hauptstadt. Es kamen Zehntausende, teilweise aus abgelegenen Provinzen, um dem Motto „Einnahme von Lima“ zu folgen. Das führte zu Straßenschlachten, bei denen die Sicherheitskräfte auf Tränengas und Gummigeschosse zurückgriffen. Ein Gebäude ging in Flammen auf, zahlreiche Menschen wurden schwer verletzt.
Die eigene Stimme

Zugleich wurde am vergangenen Wochenende auf brutale Weise die staatliche Universität San Marcos geräumt. Studenten hatten sie als Zeichen des Widerstands besetzt und wollten Tausenden der Demonstranten eine Unterkunft verschaffen. Die Polizei rückte mit gepanzerten Fahrzeugen an, setzte in menschenverachtender Weise Tränengas ein und misshandelte besonders indigene Frauen. Gut 200 Aktivisten blieben tagelang ohne Rechtsgrundlage in Haft. Die Polizei rechtfertigt das mit dem zuvor ausgerufenen Ausnahmezustand.

Zwar begann der Aufruhr mit der Absetzung des linksgerichteten Präsidenten Pedro Castillo, doch geht es nur oberflächlich um seine Person. Klar ist, dass Boluarte und die jetzige Besetzung des Kongresses nicht tragbar sind. Ebenso wenig würde freilich eine Rückkehr Castillos ins Präsidentenamt die politische Krise lösen. Im Vorjahr wurde er immer unbeliebter, war in Korruption verstrickt und schien zunehmend ohne politische Agenda. Dennoch hat er der verarmten und verachteten Landbevölkerung, die sich mehrheitlich als indigen versteht, eine Stimme gegeben. Nicht zuletzt deshalb war er bei den Eliten der Hauptstadt so verhasst. Plötzlich treten nun diejenigen, die seit Jahrhunderten keine Stimme und kaum Rechte haben, selbst ins Rampenlicht. Sie tun es mit Märschen, Straßensperren, Besetzungen und ungebrochenem Kampfesmut. Der Widerstand begann dort, wo die Zustimmung für Castillo stets am größten war und die fatalen Auswirkungen des Bergbaus – Motor der peruanischen Ökonomie – am schmerzhaftesten spürbar sind. Die Wut der marginalisierten Provinzen erreicht unerbittlich das noble Lima.

Dabei steht außer Frage, dass die Absetzung und Verhaftung Castillos sicherlich Katalysatoren für die Wut der Unzufriedenen waren, doch die latente politische Krise begann bereits 2018 mit dem Korruptionsskandal um den Baukonzern Odebrecht. Der damals amtierende Präsident Kuczynski trat zurück, ein Vorgänger erschoss sich, ein anderer floh in die USA. Die Korruption erfasst alle politischen Lager, dass es einleuchtet, wenn die Protestierenden immer wieder aufgebracht skandieren: „Alle sollen abhauen.“ Vorgezogene Neuwahlen sind unter diesen Umständen unabdingbar, um die Eskalation zu beenden, aber sie werden die rumorenden Konflikte nicht lösen.

Seit über 30 Jahren hat Peru statt eines stabilen Parteiensystems kurzlebige Wahlallianzen, bei denen oft die persönliche Bereicherung im Vordergrund steht. Institutionen wie die Verfassung sind durch den neoliberalen Zeitgeist der Fujimori-Ära (1990 – 2000) geprägt und verhindern Reformen in Richtung Umverteilung und Partizipation. Eine neue Magna Charta könnte den Status quo ändern und zumindest die Aussicht auf materielle Verbesserungen bringen. Auch deshalb war es die Forderung nach einer verfassunggebenden Versammlung, mit der Pedro Castillo 2021 angetreten ist. Dass es die geben muss, ist nun ständig auf den Straßen zu hören. Das Establishment hat viel zu verlieren.

Auch der Blick auf die Nachbarländer dürfte da nicht beruhigend wirken. In Bolivien haben 2019 von Indigenen-Verbänden getragene Proteste zur Absetzung der rechten Putschregierung von Jeanine Áñez geführt. In Kolumbien und Chile, bis dato Bollwerke des Neoliberalismus in Lateinamerika, haben 2022 nach monatelangen, teils gewaltsamen Massenprotesten linke Präsidenten die Regierung übernommen. In Chile wurde gar eine progressive Verfassung entworfen, die dann aber bei einem Referendum scheiterte.

Ein weiterer Faktor, der die Gewalt in Peru erklärt, sind die Verhaltensweisen bei Militär und Polizei, die bei den Strategien der Aufstandsbekämpfung aus den 1990er Jahren verharren, als die maoistische Guerilla „Leuchtender Pfad“ in Peru operierte. Wohl nicht zufällig ist gerade auf Internetvideos zu sehen, wie Polizisten bei der Räumung der Universität San Marcos verkünden: „Wir haben es geschafft. Wir haben alle Terroristen verhaftet.“ Dieses Narrativ dominiert die Titelseiten der großen Tageszeitungen, die sich in der Hand einiger weniger oligarchischer Familien befinden.

Schließlich steht Peru wirtschaftlich vor relevanten Entscheidungen, da viele Konzessionsverträge zur Ausbeutung seiner Bodenschätze 2023 oder in den Jahren danach erneuert werden müssen. Unter dem Staatschef Alberto Fujimori erhielten nach 1990 Privatunternehmen höchst attraktive Verträge, für die es eine „juristische Stabilitätsklausel“ gab. Nachfolgenden Regierungen war es per Verfassung untersagt, daran etwas zu ändern. Nun werden die politischen Kräfteverhältnisse in Regierung und Kongress entscheidend dafür sein, wie neue Übereinkünfte aussehen. Wird die Rohstoffförderung zu mehr Wohlstand beitragen oder kann sich eine kleine Elite bereichern, die Rohstoffe zu günstigen Preisen nicht zuletzt nach Europa liefert?
- https://www.freitag.de/autoren/axel-anlauf/in-peru-steht-die-macht-der-strasse-gegen-die-macht-ueberlebter-institutionen