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Ukraine-Krieg: "Ist es auch Wahnsinn, so hat es Methode"

Versuch einer alternativen Erzählung des in eine mörderische Sackgasse geratenen Konfliktes um die Ukraine (von Wolfgang Herzberg)

Während weltweit Wälder und Felder vertrocknen und lichterloh brennen, Starkregen Städte und Dörfer verwüsten, Hurrikans Landschaften zerstören, Pole und Gletscher abschmelzen und Millionen Menschen aus Armuts- und Kriegsgebieten in westlichen Ländern Zuflucht suchen, halten die Falken in den USA und in der Nato sowie in der Ukraine und in den westlichen Leitmedien an einer längst gescheiterten Strategie der Blockkonfrontation fest, wie man sie aus der Zeit vor 1990 kennt. Diese Ideologie ist interessengesteuert, um ein profitgelenktes Gesellschaftssystem, in dem insbesondere Rüstungskonzerne immense Gewinne einstreichen, nicht infrage stellen zu müssen und es mit einer globalisierten militärischen Vorwärts-Strategie weiter zu behaupten und am Leben zu erhalten.

Wieder wird gleichsam wahnhaft eine russische und chinesische »Gefahr« für die »freiheitlich demokratische Grundordnung« des Westens, des »Wertewestens« beschworen. Und dies trotz der längst erkannten »Grenzen des Wachstums« des eigenen Wirtschaftssystems, zu der die Menschheit dringend eine solidarische Alternative bräuchte, um das Gemeinwohl für alle in Nord und Süd, West und Ost zu sichern und nicht nur für einige wohlhabende Schichten.

Der Kapitalismus beruht auf einer jahrhundertealten patriarchalischen DNA europäisch-amerikanischer Kolonialgeschichte: imperiale, militärische Landnahme, Ausbeutung globaler Boden- und Meeresschätze, Völkerversklavung und ethnische Säuberungen. Die koloniale Eroberung aller Erdteile mit Waffen und angeblich »christlichen Werten« war die Blaupause für Stellvertreterkriege und Putsche nach 1945 in Korea, Indonesien, Angola, Chile, Jugoslawien, Irak, Libyen, Syrien und Afghanistan bis hin zum blutigen Ukraine-Krieg.

Tausende Ukrainer und Russen sterben sinnlos durch moderne Waffen, ob durch Drohnen, Streubomben, Marschflugkörper; weite Landstriche werden zerstört. Die Folgen sind erneut global: weltweite Lebenshaltungskosten steigen; Lieferketten werden zerrissen; Sozialsysteme kollabieren; die Schere zwischen Arm und Reich wächst; Millionen Migranten flüchten; Staatshaushalte verschulden sich immer stärker zugunsten der Waffenprofiteure; der ökologische Irrsinn eskaliert immer schneller, auch durch diesen Krieg. Schließlich droht die Welt irreparabel in Scherben zu fallen, sei es durch die galoppierende ökologische Krise, sei es durch einen Dritten Weltkrieg – womöglich mit Atomwaffen.

Zugleich wird dadurch rechtsradikalen nationalistischen Kräften und dem internationalen Terrorismus massiv Zulauf beschert, was die bürgerlichen Demokratien gefährdet, unter anderem durch ungeheure finanzielle Militäraufwendungen, statt die Gelder zur Humanisierung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen im In- und Ausland einzusetzen.

Bereits im Februar 1990 kündigte der US-Präsident Georg Bush sen. gegenüber dem deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl de facto eine Fortsetzung der Strategie des Kalten Krieges an: »Wir haben gesiegt und sie nicht. Wir können nicht zulassen, dass die Sowjets ihre Niederlage in einen Sieg verwandeln … Wir werden das Spiel gewinnen, aber wir müssen uns dabei clever anstellen.« Und US-Außenminister James Baker formulierte: »Die KSZE ist die eigentliche Gefahr für die Nato.«

Während man gegenüber Michail Gorbatschow so tat, als werde die Nato nicht nach Osten erweitert, dachte man schon vor Auflösung des Warschauer Paktes über die Nato-Osterweiterung nach. Ohne die expansive Nato-Osterweiterung und spätere Ukraine-Politik der USA, ohne den in Kiew unterstützten Regimewechsel und die radikal-feindliche Separierung von Russland wäre es nicht zu diesem Krieg gekommen, hätte die Entwicklung nicht in diese irrationale friedenspolitische Sackgasse münden müssen.

Douglas Macgregor, ein bekannter Militärexperte, Autor sowie Regierungsberater in den USA, der bereits frühzeitig für die Beendigung des gescheiterten Afghanistan-Krieges plädiert hatte, schrieb über das jetzige Desaster in der Ukraine: »Der amerikanische Stellvertreterkrieg mit Russland hat die Ukraine in einen Friedhof verwandelt … Trotz der beispiellosen Versorgung der ukrainischen Streitkräfte mit modernen Waffen, Geld, ausländischen Kämpfern und wichtigen Geheimdienstinformationen ist Washingtons Stellvertreter am Boden zerstört. Die Krankenhäuser sind voll mit gebrochenen Menschen, und ukrainische Tote liegen auf den Schlachtfeldern. Kiew ist ein Herzpatient auf der Intensivstation.« Und am Schluss folgt der vor einem Weltkrieg warnende Satz:

»Schließt endlich Frieden, ihr Narren, bevor es zu spät ist.«

Auch ich frage mich schon lange, ob der Terminus vom »russischen Angriff« den Charakter dieses Konfliktes zutreffend beschreibt oder überwiegend der Legitimierung der gesamten westlich-ukrainischen Kriegsideologie entspringt. War es nicht so, dass die Zeitenwende von 1989/90, wie die Zitate von Bush und Baker nahelegen, die Nato-Osterweiterung, der von Anbeginn von russischer Seite widersprochen wurde, den jahrzehntelangen KSZE-Prozess, der die Konfrontationspolitik des Kalten Krieges überwunden hatte, fundamental infrage stellte und die kalte Kriegspolitik wieder aufleben ließ?

War es nicht so, dass die ein Regime-Wechsel in der Ukraine (seit dem Maidan) mit Unterstützung der USA zu einer zusätzlichen radikalen Konfrontationspolitik mit Russland führte und eine friedliche und sinnvolle Koexistenzpolitik zwischen beiden Ländern, mit ihrer jahrtausendelangen, gemeinsamen Geschichte, unmöglich machte? War es nicht so, dass die überwiegend russische Bevölkerung in der Ostukraine von einer solchen radikalen Kappung aller Bindungen zu Russland überrascht wurde, sich daher wehrte und von ukrainischer Seite unter Beschuss genommen wurde, wodurch laut OSZE, der Nachfolgeorganisation der KSZE, über 14 000 Russen getötet wurden?

War es nicht so, wie die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel später eingestand, dass das auch von ihr und Steinmeier ausgehandelte Minsker Abkommen nur dazu diente, die Ukraine mehr und mehr auf einen Krieg gegen die russische Seite vorzubereiten und zu bewaffnen, um die Ostukraine zurückzuerobern? Und war und ist es nicht so, dass die tonangebenden Kräfte in den USA und der Nato, trotz gegenteiliger Behauptungen, von Anfang an eindeutig Kriegspartei aufseiten der ukrainischen Regierungen waren und sind?

Ist es nicht so, dass diese Allianz dazu führt, dass die Ukraine in Schutt und Asche versinkt und auf Jahrzehnte, in jeder Beziehung, völlig am Tropf des Westens hängt, anstatt »selbstbestimmt« das Land friedlich weiterzuentwickeln, mit Hilfe und als Brücke zwischen der russischen und westlichen Seite? Und hat der Afghanistan-Krieg der unlängst für den Westen verloren ging, nicht bewiesen, dass selbst mit modernsten Waffen ausgerüstete militärische Einheiten aus annähernd 100 Staaten gegen einen viel schlechter bewaffneten Gegner unterlegen waren?

Anstatt sich diesen Fragen, die viele Menschen beschäftigen, zu stellen und die äußeren und inneren Ursachen dieses Konfliktes ernsthaft zu diskutieren und präventiv die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, dominiert in der öffentlichen Debatte eine verlogene Doppelmoral. Öffentliches Nachdenken findet allenfalls in einigen linken und sozialen Medien sowie in der leider viel zu schwachen Friedensbewegung statt. Absurderweise auch bei nationalistischen Rechtsradikalen, weil diese damit auf Stimmenfang hoffen und nicht, um das kapitalistische westliche Gesellschaftssystem in Gänze infrage zu stellen.

Die westliche Ideologie lebt im Irrglauben, die sozialen, demokratischen und ökologischen Grundprobleme unseres Planeten am besten lösen zu können. Aber auch diese Ideologie basiert letztlich auf einem konfrontativen Nationalismus und hat schon immer die Völker zum Kanonenfutter der Mächtigen gemacht und wahre Demokratisierung verhindert.

Es bleibt zu hoffen, dass immer größere Teile des Globalen Südens dieser westlich-imperialen Konfrontationspolitik wie die BRICS-Staaten entgegenwirken und auf eine diplomatische Lösung drängen, weil sie ihre eigene blutige Kolonialgeschichte nicht vergessen haben, die immer noch anhält. Es bleibt zu hoffen, dass der friedenspolitische Widerstand gegen diese sinnlose und kostspielige Kriegspolitik in den USA und Europa weiter wächst, angesichts der sich zuspitzenden ökologischen und sozialen Globalkrisen, weil auch die innenpolitischen sozialen Widersprüche und ökologischen Folgen sich in den westlichen Ländern immer schmerzhafter bemerkbar machen.

Es bleibt zu hoffen, dass in der Ukraine und Russland die Kriegsmüdigkeit überhandnimmt, weil die Opfer und Zerstörungen auf beiden Seiten viel zu hoch sind, Lebenschancen und -perspektiven zunichtegemacht werden, wie es im 20. Jahrhundert schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg geschah. Es bleibt zu hoffen, dass gerade in Deutschland ein Umdenken in der politischen Klasse und der Leitmedien um sich greift, angesichts dieser unsagbar leidvollen Geschichte, die zwei Mal von deutschem Boden ausging und erst durch die Entspannungspolitik, insbesondere ab 1989/90, für kurze Zeit überwunden wurde.

Es darf doch nicht sein, dass die Manipulation der Weltöffentlichkeit durch westliche Interessenpolitik so umfassend ist, dass es erst zu einer apokalyptischen Globalkatastrophe kommen muss, ehe eventuell eine solidarische Umkehr auf Grundlage der friedenspolitischen UN-Charta möglich wird, die zurzeit weitgehend außer Kraft gesetzt ist. Einseitige Schuldzuweisungen führen jedenfalls völlig in die Irre. Frei nach Shakespeare: Das ist Wahnsinn und das hat Methode.
- https://www.nd-aktuell.de/artikel/1175716.ukraine-krieg-ist-es-auch-wahnsinn-so-hat-es-methode.html

amina@pod.dapor.net

Dieser Krieg läuft anders als erwartet.

  1. März 2022 um 14:13 Ein Artikel von Jürgen Todenhöfer

Es gibt für diesen Krieg keine Entschuldigung. Er ist völkerrechtswidrig. Jeder einzelne getötete Zivilist ist eine Tragödie. Egal ob 900 oder 900.000. Dieser Krieg muss gestoppt werden. Ein sofortiger Waffenstillstand ist das Mindeste.
Aber auch in diesen Stunden des Zorns müssen wir in die Zukunft blicken. Zumindest wenn wir wirklich nachhaltigen Frieden wollen. Dazu brauchen wir Russland. Ohne Russland wird es nie dauerhaften Frieden in Europa geben.
Es ist daher jetzt erst recht im vitalen Interesse aller Europäer, eine gerechte Friedensordnung zu finden, in der Russland seine Nachbarn respektiert, aber auch die USA Russland respektieren. Den Ukrainekrieg Russlands braucht niemand, Russland brauchen wir alle. Rechtsstaatlich und demokratisch.
Langfristig gehört nicht nur die Ukraine, sondern auch Russland in die EU und in die Nato. Diese langfristige Vision wird realisiert werden oder Europa wird zerfallen.
https://www.nachdenkseiten.de/?p=82278

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mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

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Alle Welt zeigt nun mit dem Finger auf Russland. Dazu besteht durchaus Grund. Wir sollten bei dieser Geste allerdings bemerken, dass dabei stets auch drei Finger auf einen selbst zurückweisen. Der Hauptfeind steht im eigenen Land, wusste schon Liebknecht. Was haben die Friedensbewegung, was die Zivilgesellschaft, was linke Parteien unternommen, damit ein System kollektiver Sicherheit auf dem Kontinent – wie es mit der KSZE vor einem halben Jahrhundert angedacht war – entstehen konnte? Wie dringlich eine stabile Sicherheitsarchitektur war und ist, unterstreichen die Forderungen der Russen nach Sicherheitsgarantien, mehr aber noch die Kriege auf dem Balkan, am Golf, in Afghanistan, in Syrien und jetzt in der Ukraine. Wo ist der Widerstand gegen den nationalistischen Taumel, der den Kontinent erfasst hat und dafür sorgt, dass die erklärten Russenfeinde, die Stahlhelmer und Apologeten von Freedom and Democracy daran gehindert werden, in Parlamenten, Redaktionen und auf den Straßen den Durchmarsch zu machen?

Ja, der Krieg in der Ukraine ist barbarisch und grausam, er muss gestoppt werden – aber nicht mit Auf- und Wettrüsten und einer vollständigen Militarisierung der Außen-, Wirtschafts- und Finanzpolitik. Am Ende des Zweiten Weltkriegs stand die Gründung der Uno. Wir dürfen beim Frieden nicht auf das Ende eines Dritten Weltkrieges setzen. Dann wird es uns vermutlich nicht mehr geben.