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»Unser Gesangsstil wird ›weißer Klang‹ genannt. [...] Wir wollen nicht gegen die Traditionen unserer Eltern kämpfen, sondern gegen ihren ›Sowjetismus‹. Wir sind die Krieger der Gegenkultur, die das, was wichtig ist, hochhalten und den Leuten den Sowok (Schimpfwort für den Sowjetmenschen) aus der Seele fegen müssen.« (Dakh Daughter Solomia Melnyk)
»Wir sind Banderistinnen« (Dakh Dauters, 2017)
Faschistische Retroavantgarde mit den Dakh Daughters auf dem Augsburger Brecht-Festival (Von Susann Witt-Stahl)
Die schillernden Auftritte des ukrainischen Musiktheaterseptetts werden seit Jahren auf den großen Bühnen der westlichen Welt als intellektuelle Offenbarung gefeiert. Das deutsche Feuilleton überschlägt sich vor Begeisterung für die »Gothic Girls«, wie die Taz die bei ihren Auftritten stets weiß geschminkten Dakh Daughters nennt. Kommenden Sonntag werden sie beim Brecht-Festival in Augsburg ihr szenisches Konzertprogramm »Ukraine Fire« gegen »den imperialistischen Feldzug Putins« präsentieren.
Mit ihren schrillen Kostümierungen, Debütantinnenballkleidern, Ballettröckchen und Netzstrümpfen oder huzulischen Schafwollmänteln bieten die Dakh Daughters jungen Frauen allerlei Identifikationsmodelle an – von der hellenischen Göttin bis zum Riot Grrrl. Theaterregisseur Wlad Troizkij, der sie 2012 in Kiew als »Freak Cabaret« ins Leben gerufen hat, wollte eine ukrainische Antwort auf »Pussy Riot mit guter Musik« – einer Mixtur aus Ethnofolk, Punk, Chamber Pop und Martial Industrial – schaffen. Vor allem geht es aber offenbar darum, die rund 30 Jahre nach Ende des Realsozialismus verbliebenen Restbestände von Klassen- durch Rassenbewusstsein zu ersetzen: »Unser Gesangsstil wird ›weißer Klang‹ genannt«, sagte Dakh Daughter Solomia Melnyk in einem Interview. »Wir wollen nicht gegen die Traditionen unserer Eltern kämpfen, sondern gegen ihren ›Sowjetismus‹. Wir sind die Krieger der Gegenkultur, die das, was wichtig ist, hochhalten und den Leuten den Sowok (Schimpfwort für den Sowjetmenschen) aus der Seele fegen müssen.«
Und so dienen die Performances, in denen die Dakh Daughters grell überzeichnete, mal archaisch, mal mondän anmutende Frauenfiguren verkörpern, die stets soviel menschliche Wärme ausstrahlen wie Magda Goebbels, besonders einem Ziel: der Verwirklichung eines Retroavantgardekonzepts, mit dem das durch die Oktoberrevolution und die Sowjetherrschaft gezeitigte »Trauma« der lange verhinderten Nationenbildung überwunden werden soll. Den Fluchtpunkt suchen und finden die Dakh Daughters in der dunkelsten Vergangenheit des ukrainischen Nationalismus: »Wir sind Banderistinnen«, bekannten sie sich 2017 zur ukrainischen Version des Nazismus, benannt nach dem Volkshelden der extremen Rechten in ihrem Land, Stepan Bandera. Seine Horden hatten in den 1940er-Jahren unter der Losung »Tod der moskowitisch-jüdischen Kommune!« als Ukrainische Aufständische Armee (UPA) und Hilfstruppe Hitlerdeutschlands Hunderttausende Menschen ermordet.
2013 inszenierten sich die Dakh Daughters als Megären der Maidan-Revolte gegen »das absolut Böse«. Auf der großen Bühne füllten sie die Pausen zwischen den Hasstiraden von Rednern des Rechten Sektors und der nazistischen Swoboda-Partei mit künstlerischen Darbietungen für den von ihnen erklärten Krieg »um den Frieden und die richtige Mythenbildung«.
»Frieden« heißt für die Dakh Daughters natürlich Sieg über den Todfeind. Folglich tingeln sie seit der Eskalation des Stellvertreterkonflikts zwischen Russland und der NATO nicht nur durch den Westen, um »das Schlechte kulturell wegzukodieren«. Völlig »unverschlüsselt« fordern sie auch mehr Waffen für die Ukraine und die Durchsetzung einer Flugverbotszone – den totalen Krieg. Schließlich sei heute durch den »Terrorismus« Russlands wie damals, »vom sowjetischen Imperium speziell gegen die Ukraine organisiert«, ein »schrecklicher Völkermord« in Gange, verlautbarten sie anlässlich des »Holodomor«-Gedenktags zur Hungerkatastrophe von 1932. »Die Ukraine verteidigt die Welt!« meinen sie und huldigen dem Militär, den »mächtigsten, stärksten und klügsten Menschen unseres Landes – unseren Kriegern des Lichts«. Und so begrüßte die Gruppe die Freilassung einiger Kommandeure des Naziregiments Asow im Zuge eines Gefangenenaustauschs mit überbordender Freude: »Möge Gott ihnen Kraft geben!«
Dakh Daughters begnügten sich schon früh nicht mit der Rolle der Femme Fatales des ukrainischen Faschismus. Als sie bei ihrem ersten eigenen Konzert im April 2013 im Michailowski-Operntheater in St. Petersburg ihren »prophetischen« und mit allerlei Herrenmenschengesten aufgeladenen Hit »Rosen/Donbass« vortrugen, hob die Keyboarderin dramaturgisch unvermittelt und ohne erkennbare Ironie den rechten Arm zum Hitlergruß.
Was das Publikum in New York, London, Paris und im März auch im Deutschen Theater in Berlin noch schweigend genießt – der Führer der Asow-Bewegung, zu der auch SA-ähnliche Schlägertrupps, die Partei Nationales Korps sowie ein Kulturindustrie- und Propagandaapparat gehören, weiß es längst öffentlich zu würdigen: 2016 verlieh Andrej Biletski den Dakh Daughters für ihren »hervorragenden Beitrag« zum Aufbau einer vereinten Ukraine eine Urkunde, natürlich mit dem von ehemaligen SS-Insignien entlehnten Asow-Wolfsangel-Emblem.
Die Schändung des Vermächtnisses von Bertolt Brecht – ausgerechnet zu seinem 125. Geburtstag –, zu der die bizarren Bandera-Bräute nun nach Augsburg eingeladen sind, ist »von der Kunstfreiheit gedeckt«. Noch mehr aber vom kulturbeflissenen Bürger, der selbst dann noch Brechts in den 1930er-Jahren ausgesprochene Warnungen vor dem Kapitalismus verhöhnt, wenn dieser wieder in »brutalster Feigheit, eben in faschistischer Form«, auftritt. Denn er wird dessen »Kampfplatz« auch im finstersten Moment der Zeitenwende nicht verlassen, »bevor er seine allerdreckigste Erscheinungsform angenommen hat« (»Kapitalismus und Faschismus«).
- https://www.jungewelt.de/artikel/444624.theater-bizarre-bandera-br%C3%A4ute.html