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Eine sehr gute Einlassung dazu, dass man sich in diesem Krieg nicht eindeutig auf eine Seite stellen kann und das der "Hauptfeind" (immer noch) im eigenen Land steht. Daran hat sich vom WK1 bis heute nichts geändert. Die Erfahrungen der Generation die das "Totrüsten" der SU erlebt, die Kriege in Jugoslawien, den "Krieg gegen den Terror" mit all seinen Lügen mit Protesten und Widerstand begleitet haben, könnten nützlich sein. Wenn diese nicht einem neuen Patriotismus, aufgebaut auf jahrzehntejahrealtem Russlandhass und moralischer Selbstüberschätzung (warum auch immer?) geopfert werden.
"Es gibt (für uns/mich) nicht einen Grund, sich auf die eine oder andere Seite zu stellen. Ganz im Gegenteil: Es geht darum, das zur Sprache zu bringen, was zwischen diesen Kriegsparteien zerrieben wird, was von beiden Seiten gar nicht erwünscht ist. Eine Vorstellung, eine Vision jenseits dieses dystopische Kapitalismus. Und wenn man ganz unerschrocken und optimistisch ist: Gerade „ihre“ Kriege sind doch ein geradezu tödlicher Beweis dafür, dass es etwas jenseits dieser Kapitalismen geben muss."
„Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst.“
Dieser Satz wird gerne aufgerufen, wenn man nicht die richtige Wahrheit vertritt. Wenn man sich die Kriege und die Wege dorthin (die dann als unvermeidbar beschrieben werden) anschaut, dann wird man feststellen: Die Wahrheit stirbt, bevor der Krieg anfängt. Was hat die russische Regierung tatsächlich getan, um den Konflikt politisch zu lösen? Was sind die wirklichen Gründe für diesen Angriffskrieg? Hat sich die Ukraine an die Abmachungen und Verträge gehalten oder hat die ukrainische Regierung alles darangesetzt, sie mit militärischer Stärke ad acta zu legen? Wer ist welchen Kriegsabsichten zuvorgekommen?
Mitten im Krieg wird es darauf keine Antworten geben.
All das hat uns gelehrt, nicht im Krieg die Wahrheit zu suchen, sondern in den Bedingungen davor. Dazu gehört das Wissen, das wir heute über den Vietnam-Krieg (1960er bis 1970er Jahre), über den Jugoslawien-Krieg (1999) über den Irak-Krieg (2002) haben.
Und es gibt noch eine recht bittere Erkenntnis, die man bei dem, was ich heute sage, vorausschicken muss: In den 1970er und in den 1980er Jahren konnten wir uns auf eine Seite stellen, wenn es um den Krieg in Vietnam ging, wenn es um Befreiungsbewegungen ging, die die Diktaturen bekämpften, die mit westlicher Hilfe an der Macht gehalten wurden.
All das ist mehr oder weniger Staub der Vergangenheit. Grob gesagt, geht es im 21. Jahrhundert nur und vor allem um Kriege zwischen kapitalistischen Staaten. Es gibt (für uns/mich) nicht einen Grund, sich auf die eine oder andere Seite zu stellen. Ganz im Gegenteil: Es geht darum, das zur Sprache zu bringen, was zwischen diesen Kriegsparteien zerrieben wird, was von beiden Seiten gar nicht erwünscht ist. Eine Vorstellung, eine Vision jenseits dieses dystopische Kapitalismus. Und wenn man ganz unerschrocken und optimistisch ist: Gerade „ihre“ Kriege sind doch ein geradezu tödlicher Beweis dafür, dass es etwas jenseits dieser Kapitalismen geben muss.
Jenseits ihrer Kriegslogik
Ich möchte ein paar Ereignisse kurz beschreiben, die man in Erinnerung rufen muss, wenn man nach Koordinaten sucht. Denn die Selbstnötigung und der Zwang, sich jetzt für die eine der beiden Seiten entscheiden zu müssen, hat eine längere Geschichte.
In den 1980er Jahren, als es noch die „Systemkonkurrenz“ (Ostblock-Westen) gab, fand ein mörderisches „Wettrüsten“ statt, das sich ganz nahe an einem Atomkrieg herangearbeitet hatte. In Deutschland sollen atomare Pershing II Raketen stationiert werden, also an die Grenze zum Ostblock.
Dazu gehört die erfundene „Raketenlücke“, die suggerieren sollte, dass der Westen bedroht sei. Das Gegenteil war der Fall: Man wollte die Sowjetunion „totrüsten“, um das System zum Kollabieren zu bringen. All das geben die Gewinner dieses „Kalten Krieges“ gerne zu.
Damals gab es eine breite und vielschichtige Bewegung, die sich gegen die Stationierung wehrte. Niemand, mit denen wir zusammen waren, hatten dabei die Sowjetunion, ihr Verhältnis zum „sozialistischen“ Ostblock also positiven „Fluchtpunkt“ vor Augen. Wir haben die Raketen nicht gezählt, wir haben nicht am „Gleichgewicht des Schreckens“ herumgerechnet. Wir hatten einzig und alleine die deutsche Bundesregierung im Blick, der wir vieles zutrauten, nur keine friedlichen Absichten. Es ging also um die Rolle der eigenen Regierung, um das, was mit dieser Kriegsgefahr in diesem Land gemacht und verändert werden soll. Es ging um deren eigene aktive Rolle, die sie versteckte, indem sich die deutsche Bundesregierung als „Opfer“ der Supermächte inszenierte.
Mitte der 1990er Jahre begannen die „Unabhängigkeitskriege“ in der Bundesrepublik Jugoslawien. Wir haben sie kaum wahrgenommen, wir waren vor allem mit den deutschen Verhältnissen beschäftigt: Das Wiedererstarken des Nationalismus, dieses Mal im Gewand eines „gesunden Nationalstolzes“, mit den Pogromen, mit dem Erstarken neofaschistischer Organisationen. Erst als uns dämmerte, dass ein Krieg gegen Jugoslawien bevorstand, unter aktiver Beteiligung der deutschen Bundesregierung, versuchten wir uns schlau zu machen. Das war wirklich sehr mühsam und wir hatten die Geschichte der einzelnen Abspaltungen nicht in petto. Und wie in allen anderen Kriegen auch konnten wir die einzelnen Vorwürfe, die den herbeigesehnten Krieg begründen sollten, nicht überprüfen. Ob es sich dabei um Massaker handelte oder um ein KZ in Pristina … wir mussten uns mit recht schwachen und wackligen Gegenbeweisen zufriedengeben. Wir wussten nur eines und das ganz sicher und diese Gewissheit lag vor dem Krieg: Deutschland tat viel dafür, wieder militärisch im Geschäft zu sein, als imperiale Macht aus dem Schatten der “Scheckheftdiplomatie“ herauszutreten. Das Ziel war klar und eigentlich deutlich artikuliert. Man wolle wieder „außenpolitische Normalität“ erlangen, wozu ein wenig schamvoll auch Kriege umschrieben wurden.
Es geht nicht um das Wohl der Menschen
Auch in diesem Fall war unser Widerstand gegen den NATO-Krieg in Jugoslawien 1999 mit der Rolle der deutschen Bundesregierung und der Rolle der NATO verknüpft. Wir haben also nicht für das politische System in Jugoslawien das Wort ergriffen, sondern gegen die deutsche Bundesregierung.
Dass wir in allen Annahmen und Mutmaßungen recht behalten sollten, dass der Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien mit ungeheuerlichen Kriegslügen gespickt war, dass die Verhandlungen für eine „friedliche Lösung“ eine Farce waren (Rambouillet), dass es sich um einen Angriffskrieg handelte, der nichts weiter als ein Kriegsverbrechen darstellt, all das erfuhren wir später, als die Kriegstreiber all ihre Ziele erreicht hatten.
Man könnte diese kurze Skizze erweitern, um den „Krieg gegen den Terror“ der nach 9/11 im Jahr 2001 in Gang gesetzt wurde, und der bis heute in Form von offenen und verdecken Kriegen weitergeht, von Afghanistan (2001), über den Irak (2003) bis nach Libyen (2010) und Syrien (2014).
Eine einzige Spur der Verwüstung, der Zerstörung, der Lügen. Nie, aber auch nie ging es um die Menschen, um die Befreiung von Unterdrückung und Armut, um die „Befreiung der Frauen“, um die Verteidigung von Menschenrechten.
All das ist bekannt. All das kann man – heute – sehr gut belegen und beweisen.
Es ist dieses Wissen, das mich heute sicher macht, wenn ich zu dem Krieg in der Ukraine Stellung beziehe. Dazu muss ich nicht in den Donbass reisen. Dazu muss ich nicht die zahllosen Kriegsdetails kennen und zuordnen. Ich muss auch nichts über die wahren Motive der russischen Regierung wissen. Es reicht, es reicht mehr denn je zu wissen: Russland ist ein kapitalistisches Land, die Ukraine ist ein kapitalistisches Land. In beiden Ländern geht es nicht um das Wohl der Menschen.
- Jenseits der Kriegslogik von Wolf Wetzel
https://overton-magazin.de/kolumnen/kohlhaas-unchained/jenseits-der-kriegslogik/