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Der Streik der Krankenhausbewegung sendet ein Signal, das weit über Berlin hinausgeht. Es ist eine Kampfansage (von Ulrike Baureithel)
Hundert Tage Ultimatum, 31 Tage Streik, begleitet von dem Vorwurf, das Patientenwohl zu vernachlässigen: Man sollte sparsam mit dem Begriff „heroisch“ umgehen, doch was die Berliner Krankenhausbewegung seit Mai auf die Beine gestellt hat, verdient diese Auszeichnung. Lange gab es keinen so solidarischen Arbeitskampf mehr in diesem Bereich, ließen sich Beschäftigte trotz Lohneinbußen während der Streiktage und trotz aller Drohungen so wenig beirren.
Mit dem moralischen Recht auf ihrer Seite haben sie sich nun bei einem der Berliner Arbeitgeber in wichtigen Punkten durchgesetzt, der Charité. Der lange geforderte Entlastungstarifvertrag kommt, die Situation auf den Krankenstationen wird sich, wenn der Vertrag unterschrieben ist, spürbar verbessern, und in den nächsten drei Jahren sollen 700 neue Mitarbeiter:innen angeworben werden. So unwahrscheinlich ist das gar nicht, denn wenn sich die Arbeitsbedingungen verbessern, werden viele, die ausgestiegen sind, bereit sein, wieder zurückzukehren. Frei arbeitende Hebammen haben dies bereits angekündigt.
Der erfolgreiche Ausstand dürfte Signalwirkung weit über Berlin hinaus haben. Er kündigt ein neues Selbstbewusstsein an, in einem Bereich, in dem die Geißel des Dienstgedankens und die Vorstellung des Liebesdienstes lange Zeit gewerkschaftliche Regungen unterdrückten, egal ob es sich um Alte, Kranke oder kleine Kinder handelte. Wenn die Corona-Pandemie die Systemrelevanz der Gesundheitsversorgung erhellt hat, so unterstreichen Aktionen wie die jetzt in Berlin, dass sich die Beschäftigten nicht mehr mit symbolischer Anerkennung zufriedengeben. Sie zeigen sich solidarisch gegenüber denen, die der Privatisierungswahn ins wirtschaftliche Abseits gedrängt hat.
Der zweite Berliner Klinikverbund, Vivantes, hat jetzt überraschend eingelenkt und Eckpunkte für den Entlastungstarif der Beschäftigten festgeklopft. Ob die outgesourcten Betriebe – von der Reinigung bis zu den Laboren – zurückzuholen sind unter das sicherere Dach des Öffentlichen Dienstes, wird demnächst weiter verhandelt. Das war im Koalitionsvertrag des rot-grün-roten Senats eigentlich vereinbart, wurde aber nie umgesetzt.
Erfolgreich war der Streik aber auch, weil er nicht von oben organisiert worden war, sondern die Aktiven sich von Anfang an bemühten, das Gros der Beschäftigten, anstatt sie nur an die Urabstimmungsurne zu locken, demokratisch einzubeziehen. Selten haben sich Vertreter:innen so vieler unterschiedlicher Berufsgruppen – von der unter der Armutsgrenze verdienenden Reinemachefrau bis hin zu hochqualifizierten Intensivpflegekräften – fortlaufend der medialen Öffentlichkeit gestellt. Ein Empowerment, dessen Energie von der Basis kam. Auch das hat den Streikenden viel Sympathie eingebracht.
Am Ende handelt es sich bei der Auseinandersetzung aber auch um eine an die Politik adressierte Kampfansage. Denn es war die Haltung des Senats – Lippenbekenntnisse der Solidarität und harte Linie in der Sache –, die den Beschäftigten so viel abforderte. Die Bundesländer haben in den vergangenen Jahrzehnten viel zur Misere der Krankenhäuser und der dort Tätigen und Gesundenden beigetragen, indem notwendige Investitionen nicht vorgenommen wurden und stattdessen über die laufenden Budgets finanziert werden mussten. „Wir retten euch – wer rettet uns?“, so lautete das Motto der Demonstration am vergangenen Samstag. Die hier sprechen, fragen aber nicht als Opfer und Bittsteller.