- Voranmerkung: Wozu dieses Statement?
Als kritische Kommunist:innen, die in der #internationalen #radikalen Linken aktiv und Teil von BĂŒndnissen und Kampagnen sind, sehen wir die Notwendigkeit, uns zur gegenwĂ€rtigen antisemitischen Hochstimmung in der deutschen und globalen #Linken zu verhalten. Die innerlinke #Antisemitismuskritik, die Anfang des Jahrhunderts noch deutlich prĂ€senter war, scheint verhallt zu sein. Dies wollen wir als Anlass nehmen, diese aktuellen Entwicklungen innerhalb der Linken zu kritisieren und darzulegen, warum wir eine #ideologiekritische, #antiautoritĂ€re und #antinationale #Linke fĂŒr notwendig erachten.
Wir erleben zugleich eine vermeintliche Form von #AntisemitismusbekĂ€mpfung und #IsraelsolidaritĂ€t durch staatliche Organe und Teile der âMehrheitsgesellschaftââ, die voller Instrumentalisierungen bis hin zu offenem #Rassismus sind. Auch dazu möchten wir uns hiermit verhalten.
Es ist uns aber in diesem Statement kein Anliegen, innerhalb der aktuellen Situation einzelne islamistische Strukturen zu untersuchen, militĂ€rtaktische RatschlĂ€ge zu geben oder eine adĂ€quate Lösung des Konflikts vorzuschlagen. Uns ist bewusst, dass der Raum, in dem sich die gegenwĂ€rtige antisemitische Hochstimmung breitmacht, auch eine Reaktion auf die #KriegsfĂŒhrung durch die israelische Armee in #Gaza ist. Diese hat zehntausende Menschen, darunter viele Zivilist:innen, das Leben gekostet und groĂe Teile der Region zerstört. Wir trauern um die Toten und sind solidarisch mit der notleidenden Bevölkerung Gazas. FĂŒr eine emanzipatorische Linke gilt es auch jene Strukturen zu unterstĂŒtzen, die in Gaza fĂŒr eine Perspektive auf ein gutes und selbstbestimmtes Leben und gegen die Schreckensherrschaft der #Hamas und reaktionĂ€re Gesellschaftsbilder kĂ€mpfen, etwa indem sie sich fĂŒr ihre #Rechte als Arbeiter:innen, als #Frauen oder als #Queers einsetzen.
Ebenso sind uns die Konflikte und Auseinandersetzungen innerhalb Israels, insbesondere mit den rechtsextremen Teilen der Regierung bewusst. Wir möchten dennoch betonen, dass der aktuelle Krieg in Gaza durch das terroristische Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 ausgelöst wurde, bei dem ĂŒber 1200 Menschen aus antisemitischen Motiven brutal vergewaltigt und ermordet wurden, und bei dem 239 Menschen als Geiseln entfĂŒhrt wurden, von denen viele bis heute festgehalten werden. Mit unserer Kritik möchten wir nicht das Recht auf Trauer und Protest absprechen und auch nicht Leid gegeneinander aufwiegen, sondern auf ein allgemeines Problem der globalen Linken eingehen.
2. Die ZĂ€sur vom 7. Oktober
Der 7. Oktober 2023 markiert eine ZĂ€sur. Die AusmaĂe und Details der GrĂ€uel schockieren: Systematische Folter, VerstĂŒmmelungen, EntfĂŒhrungen und systematisch eingesetzte sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Diese wurden bewusst eingesetzt, um antisemitische Gewalt zu entfalten und Angst vor Vernichtung auszulösen. Die Massaker sollten JĂŒdinnen:Juden als solche treffen, die Erinnerung an eine Jahrhunderte lange Geschichte der Pogrome und Vernichtungsandrohungen aktivieren und damit auch das SelbstverstĂ€ndnis des Staates Israels, Schutzraum fĂŒr JĂŒdinnen:Juden gegen antisemitische Verfolgung zu sein, angreifen.
Die einschneidenden Ereignisse des 7. Oktober wurden in der globalen Linken erstaunlich wenig reflektiert. Stattdessen entzĂŒndete sich eine massive Explosion antisemitischer Angriffe. GroĂe Teile der globalen Linken sind dabei tragischerweise Plattform fĂŒr diesen Antisemitismus und liefern den Treibstoff dafĂŒr.
So erleben wir bei etlichen Linken Abwehr bis zur Leugnung und klammheimlicher Freude. Andere verharren angesichts des aufbrausenden Antisemitismus in politischer LĂ€hmung, anstatt dass sie zu einer solidarischen Praxis ĂŒbergehen.
Dies verwundert nicht, enttĂ€uscht aber â ist Antisemitismus doch ein zentrales Moment der gegenwĂ€rtigen HerrschaftsverhĂ€ltnisse und Kritik an diesem daher Grundvoraussetzung fĂŒr jegliche gesellschaftliche Emanzipationsbestrebung.
3. Eine neue globale Welle des Antisemitismus
WĂ€hrend linke SolidaritĂ€t mit den Opfern des 7.10. fast komplett ausblieb, fanden noch vor Beginn der militĂ€rischen Operationen der IDF meist pro-palĂ€stinensische Massendemonstrationen statt, deren Skript eindeutig und bekannt war: Israel ist eine koloniale Besatzungsmacht, die verschwinden sollte; Israel ziele auf die Vernichtung aller PalĂ€stinenser:innen ab; Israel sei das Böse, das beseitigt werden soll. Auf den StraĂen wurde dabei nicht einfach SolidaritĂ€t mit den PalĂ€stinenser:innen geteilt, sondern zu oft etwas, was in seinem Wesen virulenter Israelhass ist. Es zeigte sich eine Ăberidentifizierung mit der âpalĂ€stinensischen Sacheâ, die in weiten Teilen der globalen Linken als IdentitĂ€tsbaustein, Erkennungsmerkmal, Ersatzkampf und als kollektives Ritual dient.
Die grausamen Taten der Hamas wurden dabei als Akt der #Dekolonisierung, als âAusbruch aus dem GefĂ€ngnisâ oder als âAkt des Widerstandesâ gefeiert und umgedeutet. Mit den lauthalsen Rufen nach âKontextualisierungâ des 7. Oktobers wird eine Rechtfertigung oder zumindest Relativierung der GrĂ€uel eingefordert. Es ist absurd, mit welcher Vehemenz Parolen, Taten und Denkmuster vom Anklang des Antisemitismus freigesprochen werden. Ein groĂer Teil der weltweiten Linken bemĂŒhte sich darum, das #Massaker als vielleicht etwas ĂŒbertriebene Notwehr zu erklĂ€ren und zu entschuldigen â wenn es nicht gleich als antikolonialer Befreiungsschlag gefeiert wurde. Auch in Deutschland hatte ein Teil der Linken, von pro-palĂ€stinensischen Gruppen und deren âinternationalistischenâ UnterstĂŒtzer:innen, ĂŒber stalinistische und trotzkistische Organisationen, queerfeministische Kreise bis hin zu autonomen Hausbesetzer:innen in #Berlin und anderswo kein Problem damit, islamistischen und antisemitischen Terror in Befreiung umzudeuten. Die sonst in linken Kreisen gepredigte Betroffenenzentriertheit scheint es fĂŒr #Israelis, noch dazu fĂŒr jĂŒdische, nicht zu geben.
Kein Zweifel: Die LebensumstĂ€nde der knapp 2 Millionen Menschen im Gazastreifen sind durch den Krieg entsetzlich. Bereits vor den jĂŒngsten Kriegshandlungen waren VerhĂ€ltnisse in Gaza extrem prekĂ€r. Jedoch gibt es horrende Doppelstands fĂŒr die Bemessung der menschenrechtlichen Situation in den palĂ€stinensischen Gebieten und andernorts. Auch das Leid der PalĂ€stinenser:innen scheint viele Kritiker:innen nur dann zu interessieren, wenn als vermeintliche TĂ€ter:innen JĂŒdinnen:Juden ausgemacht werden können: Sie schweigen besonnen zur Zerschlagung der Gewerkschaften, Ermordung von LGBTIQ*, der Geiselhaft, in die die palĂ€stinensische Zivilbevölkerung seitens der Hamas und ihrer Mitstreiter:innen aktuell genommen wird, und zu den menschenunwĂŒrdigen Bedingungen, unter denen die arabischen Nachbarstaaten geflĂŒchtete PalĂ€stinenser:innen akzeptieren. Sie schweigen zur Grenzfestigung Ăgyptens, das keine palĂ€stinensischen GeflĂŒchteten aufnehmen will, und zu den auĂenpolitischen Interessen des Iran, der die PalĂ€stinenser:innen zum Spielball seiner Machtinteressen macht. Sie schweigen auch zu den fortwĂ€hrenden Raketenangriffen der Hamas und Hisbollah auf Israel.
Wenn die Kriegshandlungen der israelischen Armee und das Leiden der Bevölkerung in Gaza durch Linke mit historisch spezifisch konnotierten Begriffen bezeichnet werden, zeigt sich darin hĂ€ufig eine regelrechte Sehnsucht danach, JĂŒdinnen:Juden als TĂ€ter:innen ausmachen zu können â auf eine Weise, die sie oft implizit und manchmal explizit den NationalsozialistInnen gleichstellen. Wenn das bei Deutschen auftritt, handelt es sich um eine bekannte Schuldabwehrstrategie. HĂ€ufig geht dieser Vorwurf mit der ErzĂ€hlung einher, Israel bzw. JĂŒdinnen:Juden wĂŒrden sich gezielt durch den Verweis auf die #Shoah vor jeglicher Kritik immunisieren. Bei beidem muss klar benannt werden, dass hier Muster des sekundĂ€ren bzw. Schuldabwehr-Antisemitismus deutlich werden. FĂŒr viele scheint folgendes zu gelten: JĂŒdinnen:Juden waren in Vergangenheit höchstens, wenn sie von Rechten angegriffen werden, Opfer â jetzt können sie nur als TĂ€ter:innen gedacht werden. Diese Auffassung deckt sich mit der antisemitischen Sichtweise, nach der JĂŒdinnen:Juden grundsĂ€tzlich als ĂŒberlegen, mĂ€chtig und tĂ€terhaft imaginiert werden.
4. Zur ideologischen Funktion des #Antisemitismus
Antisemitismus funktioniert als eine WelterklĂ€rung, die in der Gedanken- und Affektwelt der Antisemit:innen fuĂt. Komplexe gesellschaftliche PhĂ€nomene, Krisen und Ambivalenzen werden in der antisemitischen Logik widerspruchsfrei aufgehoben. #Verschwörungsideologien ermöglichen Antisemit:innen, simple ErklĂ€rungsmuster fĂŒr komplexe und verunsichernde individuelle und strukturelle PhĂ€nomene zu finden. In der antisemitischen Logik gilt es, das Bild des âJuden als ĂŒbermĂ€chtige Figur der herrschenden #Klasseâ aufrecht zu erhalten und je nach aktueller gesellschaftlicher Krise JĂŒdinnen: #Juden als âSchuldigeâ fĂŒr selbige auszumachen.
Antisemitismus ist aus kritisch-materialistischer Perspektive auch immer als die umfassende soziale Pathologie bĂŒrgerlich-kapitalistischer Gesellschaft und als Produkt von #HerrschaftsverhĂ€ltnissen zu betrachten. Im Antisemitismus bricht die WidersprĂŒchlichkeit bĂŒrgerlicher Vergesellschaftung als offener Wahn heraus. Antisemitismus ist dabei auch Moment der unzureichenden oder verdrehten Versuche, die gegebenen HerrschaftsverhĂ€ltnisse zu begreifen und zu ĂŒberwinden. Dabei lĂ€sst sich Antisemitismus nicht als ein Moment von Herrschaft selbst erklĂ€ren, ganz nach dem Schema einer direkten UnterdrĂŒckung. Antisemitismus hat auĂerdem immer einen eliminatorischen Fluchtpunkt: Antisemit:innen wollen nicht JĂŒdinnen:Juden âeinfachâ unterdrĂŒcken oder abschieben, sondern vernichten. Antisemitische Weltbilder haben die Funktion, dass diejenigen, die sie reproduzieren, sich als Opfer der âĂŒbermĂ€chtigen jĂŒdischen Weltherrschaftâ stilisieren können. Das ermöglicht ihnen, sich nicht mit gesellschaftlichen und eigenen WidersprĂŒchlichkeiten auseinandersetzen zu mĂŒssen und keine Verantwortung fĂŒr das eigene (politische) Handeln und Denken zu ĂŒbernehmen.
Daraus folgt zum einen, dass sich Antisemitismus nicht einfach mit etwas mehr #AufklĂ€rung aus der Welt schaffen lieĂe. Damit geht einher: Antisemitismus lĂ€sst sich nicht durch ein bestimmtes Handeln der JĂŒdinnen:Juden auflösen, sondern nur durch die Ăberwindung der tiefen gesellschaftlichen Grundlagen des Antisemitismus. JĂŒdinnen:Juden steht nur die Möglichkeit offen â und sie sind vor die Notwendigkeit gesetzt â die Abwehr der Konsequenzen des Antisemitismus zu organisieren oder seine Folgen hinzunehmen.
Seit der Shoah lĂ€sst sich Antisemitismus weniger offen artikulieren. Eine Art und Weise, antisemitisch agieren zu können, ohne offenen Hass auf JĂŒdinnen:Juden zu artikulieren, besteht darin, den Hass auf Israel als jĂŒdischen Nationalstaat â und als eine Konsequenz aus der Shoah â zu projizieren, der nun fĂŒr alles Böse verantwortlich ist.
5. AnfĂ€lligkeit fĂŒr Antisemitismus innerhalb der Linken
Eine AnfĂ€lligkeit fĂŒr Formen von Antisemitismus wurzelt auch in spezifischen Merkmalen und ideologischen Momente einiger linker Strömungen, die wir im folgenden nĂ€her analysieren wollen.
5.1 Der autoritÀre (Neo-) #Leninismus
Einige antisemitische Denkmuster stammen aus einem autoritÀren (Neo-)Leninismus:
1.) Lenins These des Ăbergangs vom #Konkurrenzkapitalismus zu seinem Begriff von #Imperialismus geht einher mit einer verzerrten Auffassung kapitalistischer #Herrschaft. Diese wird nicht als eine subjektlose Herrschaft aufgefasst, die zwar durch Akteur:innen reproduziert wird, aber aus dem Prozess fortwĂ€hrender #Kapitalakkumulation besteht und einen âstummen Zwangâ der ökonomischen VerhĂ€ltnisse entfaltet. Stattdessen erscheint sie als direkte und willkĂŒrliche Herrschaft der Monopole und eines âparasitĂ€ren Finanzkapitalsâ. Diesem VerstĂ€ndnis wohnen eine Neigung zur Personifizierung von Herrschaft, eine AnfĂ€lligkeit fĂŒr Verschwörungsdenken und eine #Fetischisierung des âwerktĂ€tigen Volkesâ inne, die Ăberschneidungen mit Antisemitismus aufweisen. Zeitweise wurde ein solcher Antisemitismus von der #Sowjetunion und ihren Sympathisant:innen aktiv betrieben und ansonsten mindestens heruntergespielt.
2.) Statt einer Analyse der globalen kapitalistischen VerhĂ€ltnisse, Hierarchisierungen, und kolonialen KontinuitĂ€ten sowie einer Kritik der Form des Nationalstaates, findet eine vereinfachte Aufteilung der Welt in UnterdrĂŒckende und UnterdrĂŒckte statt. Damit wird die ânationale Befreiungâ â als Befreiung durch den Nationalstaat und als Nationalkollektiv â zum emanzipatorischen Ziel schlechthin gemacht. Diese Auffassung fuĂt wiederum im unkritisch positiven Bezug zur Nation, den Stalin und viele realsozialistische Projekte nach ihm mit der Vorstellung von â #Sozialismus in einem Landâ propagierten. Gleichzeitig werden âunterdrĂŒckte Völkerâ â auch durch die maoistische Fortbestimmung des Modells â zum stellvertretenden Subjekt der Revolution gemacht: PalĂ€stina wurde als das unterdrĂŒckte Volk schlechthin aufgefasst und der Kampf âfĂŒr die Befreiung PalĂ€stinasâ zum Symbol und Ersatz aller BefreiungskĂ€mpfe. Dabei spielte historisch auch die AuĂenpolitik der Sowjetunion eine Rolle, die im Kontext des Kalten Krieges den palĂ€stinensischen #Nationalismus gegen das von den USA unterstĂŒtzte #Israel stĂ€rkte.
3.) Ein weiterer Grund fĂŒr den positiven Bezug auf #Volk und #Nation liegt im populistischen Moment: Wessen Ziel primĂ€r die Eroberung staatlicher Macht ist, der muss nicht auf kollektive SelbstaufklĂ€rung und Emanzipation aller Menschen setzen, sondern will vor allem eine Masse mobilisieren. Wenn der Begriff der Klasse nicht mehr zieht, haben Leninist:innen deshalb oft kein Problem damit, diese Masse als Volk und Nation zu adressieren.
4.) Das Ziel der Machtergreifung fĂŒhrt auch zur Tendenz, falsche Mittel zu rechtfertigen. Das kann dann auch islamistischer Terror sein. Die Konzentration auf den Kampf gegen âImperialistenâ fĂŒhrt zu Allianzen mit explizit regressiven KrĂ€ften wie beispielsweise IslamistInnen.
5.2 Die #postmoderne #IdentitÀtspolitik
Eine zweite Quelle der AnfÀlligkeit stammt aus einigen Spielarten eines identitÀtsfokussierten Aktivismus postmoderner PrÀgung. Solche Positionen sind in einigen #queerfeministischen und #antirassistischen Kreisen, aber auch in Teilen der #Klimabewegung vertreten. Sie verbinden sich damit mit entscheidenden progressiven KÀmpfen der Gegenwart. Hier wirken die Ablehnung einer Kritik der gesellschaftlichen VerhÀltnisse in ihrer TotalitÀt mit einer exklusiven Fokussierung auf Betroffenheitserfahrung, Sprechorte und IdentitÀten zusammen.
1.) Die Unmöglichkeit der ReprĂ€sentation der eigenen Leid- und Diskriminierungserfahrung durch Andere wird zum alleinigen Ausgangspunkt der Kritik erklĂ€rt. Nur wer von einer UnterdrĂŒckungsform betroffen ist, kann die Wahrheit darĂŒber sprechen. Dessen Perspektive ist unmittelbar normativ und es braucht keine weitere Kritik der VerhĂ€ltnisse und keinen Streit um Begriffe und Analysen. Dabei wird ĂŒbersehen, dass jede Artikulation einer Erfahrung bereits durch Theorien und Begriffe vermittelt ist und dass gerade in diesen Strömungen hĂ€ufig schablonenhaftes Denken reproduziert wird. Um die eigene Leid- und UnterdrĂŒckungserfahrung zu artikulieren, muss man sich wiederum zu einer bestimmten IdentitĂ€t bekennen und sich als Teil eines Kollektivs verstehen. Die reine Fokussierung auf eigene IdentitĂ€tskonstruktionen und vermeintliche Fremdzuschreibungen und die damit einhergehende reine Argumentation auf die vermeintliche eigene Betroffenheit(en) verhindert nicht nur eine materialistische Kritik an den UrsprĂŒngen von Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus, sondern auch auch einen Diskurs, der ĂŒber den eigenen Erfahrungs- und Emotionshorizont hinaus geht. AuffĂ€llig ist wiederum dabei, dass die Erfahrungen von JĂŒdinnen:Juden mit einer gewissen Konsequenz ausgeblendet werden. Insbesondere fĂŒr sich als links verstehende JĂŒdinnen:Juden war die ausbleibende SolidaritĂ€t, das Schweigen zu den Massakern der Hamas bis hin zu offenen AusschlĂŒssen aus queeren und antirassistischen RĂ€umen ein Moment der #Entsolidarisierung vermeintlich VerbĂŒndeter.
2.) Statt einer #Kritik der herrschaftsgeladenen, gesellschaftlichen Vermittlung einer in sich widersprĂŒchlichen #TotalitĂ€t, die sich ĂŒber Antagonismen konstituiert und #Zwangskollektive hervorbringt, wird sich an âStrukturenâ abgearbeitet, die vermeintlich authentische IdentitĂ€ten ĂŒberlagern wĂŒrden. Dem entspricht oft ein machtanalytischer Ansatz, in dem die Konsequenz zur Ursache gemacht wird: Gewiss fĂŒhrt die gegebene Vergesellschaftung dazu, dass Gruppen aufgrund ihrer unterschiedlichen gesellschaftlichen Verortung ĂŒber mehr Macht und damit verbundene Privilegien verfĂŒgen. Ausgeblendet werden aber sowohl die VerhĂ€ltnisse, die Ursache dieses MachtgefĂ€lles sind, als auch die Tatsache, dass die grundlegende Form von Herrschaft eben die der VerhĂ€ltnisse selbst ist. Dies fĂŒhrt auch zur falschen Annahme, dass Herrschaft bloĂ als binĂ€res und lineares MachtverhĂ€ltnis zu verstehen sei, als direkte UnterdrĂŒckung einer Gruppe durch eine andere mĂ€chtigere Gruppe und ausschlieĂlich als binĂ€rer Kampf der UnterdrĂŒckten gegen das genau identifizierbare UnterdrĂŒckende. Daraus folgt ein klare Aufteilung der Welt in UnterdrĂŒckte und UnterdrĂŒcker, Ă€hnlich wie im (Neo-)Leninismus. Anstelle einer Analyse von (Neo-)Kolonialismus, Imperialismus und Hierarchisierungen auf dem Weltmarkt tritt eine schlichte Einteilung in den bösen Globalen Norden und den guten, weil unterdrĂŒckten, Globalen SĂŒden. WidersprĂŒche und Konflikte innerhalb der LĂ€nder und Regionen des Globalen SĂŒdens finden wenig BerĂŒcksichtigung. Antisemitismus wird oft komplett ausgeklammert, jĂŒdische Menschen gelten, solange sie helle Haut haben, schlichtweg als WeiĂe, und damit als Profiteur:innen des Rassismus. Damit wird zum einen geleugnet, dass alle JĂŒdinnen:Juden ebenfalls als âAndereâ rassifiziert werden. Zum anderen ĂŒbersieht es die geographisch diversen UrsprĂŒnge des Judentums und die Tatsache, dass viele JĂŒdinnen:Juden zugleich zusĂ€tzlich auch von Rassismen betroffen sein können. Antisemitismus kann gerade deshalb nicht begriffen werden, da es sich nicht als lineare UnterdrĂŒckung auffassen lĂ€sst, sondern Folge der in sich widersprĂŒchlich vermittelten HerrschaftsverhĂ€ltnisse und der UnfĂ€higkeit, diese zu begreifen, ist. Wenn nun von Rassismus Betroffene Ă€uĂern, dass das Massaker der Hamas ein antikolonialer Befreiungsschlag war, dann muss und darf das nach dieser postmodern-identitĂ€tspolitischen Logik nicht hinterfragt werden. Dass aus feministischer und antisemitismuskritischer Sicht die Opfer des Massakers SolidaritĂ€t und Emphatie verdienen wĂŒrden, wird ausgeklammert, weil sie Israelis sind und Israel in dieser binĂ€ren Logik nur als weiĂer, kolonialer #Staat und Teil des Globalen Nordens betrachtet wird. Mit dieser linearen Auffassung von UnterdrĂŒckung geht wiederum ein positiver Bezug auf die Zwangskollektive einher, die diese HerrschaftverhĂ€ltnisse hervorbringen, es kommt damit auch zur Affirmation regressiver Ideologien und Gruppierungen, wenn diese von Subalternen getragen werden.
3.) UnterdrĂŒckungsformen werden dabei als formal analog aufgefasst und bestehen nebeneinander â eine Gruppe mit Macht unterdrĂŒckt eine Gruppe ohne #Macht. Damit bleibt das jeweilig spezifische unterbelichtet,was insbesondere im Fall von Antisemitismus auffĂ€llig ist. Anderseits wird ihr reales und differenziertes Zusammenwirken innerhalb der gegebenen HerrschaftsverhĂ€ltnisse nicht begriffen. Der Versuch, irgendwie Rechenschaft dafĂŒr zu tragen, vollzieht sich dann hĂ€ufig als eine Aneinanderreihung innerhalb von SolidaritĂ€tsbekundungen: Jede Kundgebung muss alle weiteren UnterdrĂŒckungsformen erwĂ€hnen. Wenn aber alle UnterdrĂŒckungsformen analog sind, liegt es nahe, nach einem Grundmodell und einer alles zusammenfassenden UnterdrĂŒckungsform zu suchen: Dazu wird gerne (ohne realen Grund) die âpalĂ€stinensische Sacheâ gemacht. In der âSolidaritĂ€t mit #PalĂ€stinaâ wird jede andere SolidaritĂ€t mitvertreten: Jede Kundgebung muss also eine âfree Palestineâ Kundgebung sein.
4.) Gerade weil die Kritik der realen VerhÀltnisse verpasst wird, vollzieht sich Aktivismus dabei oft als Bekundung der eigenen guten Gesinnung, als Bekenntnis der Zugehörigkeit zur Gruppe der Guten und als selbstreferentieller Gestus der vermeintlichen Auflehnung und RadikalitÀt. Reflexion und Kritik werden durch Mobilisierung ersetzt, die hauptsÀchlich eine IdentitÀt verschaffen soll. Diese Form vermeintlicher SolidaritÀt mit #PalÀstina hat kaum etwas mit einem realen Interesse an der Lage von PalÀstinenser:innen zu tun. Sie wird allzu oft IdentitÀtsfaktor, Wiederkennungsmerkmal, Ersatzkampf, Marker der eigenen #RadikalitÀt, wird zum kollektiven Ritual und wird auch als solches abgerufen. Diese Selbstmobilisierung kann antisemitisch verstÀrkt werden.
Als sich als emanzipatorisch verstehende Kommunist:innen wissen wir, dass die Befreiung der Gesellschaft nur mit der Befreiung des Subjekts einhergeht, das bedeutet aber auch, dass es nicht âgutâ oder âböseâ gibt, sondern wir #WidersprĂŒche und Ambivalenzen in der Welt um uns herum und in uns aushalten mĂŒssen. Es bedeutet auch ernstzunehmen, dass in allen Schichten der Bevölkerung, inklusive der Linken, Ideologien entstehen, also falsche Vorstellungen ĂŒber die Welt. Ideologien entspringen den Strukturen, die die Menschen vorfinden und festigen diese wiederum. #Ideologiekritik, inklusive einer Kritik des Nationalismus und des Antisemitismus muss deshalb Bestandteil emanzipatorischer Praxis sein.
6. Leerstelle Islamismus
Wo Ideologiekritik höchstens nebensĂ€chlich ist, entsteht auch innerhalb der Linken bisweilen die Bereitschaft, die Hamas als irgendwie âobjektiv emanzipatorischâ zu betrachten. Das hat auch mit der Leerstelle #Islamismus innerhalb linker Kritik zu tun.
Als islamistische Organisation strebt die Hamas die Vernichtung aller JĂŒdinnen:Juden und die Errichtung eines #Gottesstaats an. Ihr religiöser #Fundamentalismus geht auch mit einem extrem patriarchalen Geschlechterbild und der UnterdrĂŒckung von Frauen und Queers einher. Sie schert sich nicht um das Leben, auch nicht um das von PalĂ€stinenser:innen, von denen sie die Bereitschaft zum Selbstopfer verlangt â und diese in deren Missbrauch als menschliche Schutzschilder bereits voraussetzt. Ihr Programm steht damit jeglichem Streben nach menschlicher #Emanzipation fundamental entgegen.
Der Islamismus ist, Ă€hnlich wie #Faschismus und #Rechtspopulismus, eine moderne Krisenreaktion. Anstatt die ZerwĂŒrfnisse des #Kapitalismus zu analysieren und diese VerhĂ€ltnisse aufzuheben, wird Halt und Heil in imaginierten Gemeinschaften wie #Volk, #Nation oder eben #Umma (der Gemeinschaft der glĂ€ubigen Muslim:innen) gesucht, einhergehend mit Abschottung bis Vernichtung gegen alles, was dort jeweils nicht hinein gehört â oder sich nicht unterordnet. Wie auch der Faschismus versucht der Islamismus mit mörderischer Konsequenz sein politisches Programm und seine Vorstellung von Gesellschaft durchzusetzen. Deshalb mĂŒssen fĂŒr den Islamismus auch politische und religiöse Macht in einer Hand liegen. Seine AttraktivitĂ€t resultiert vielleicht deshalb auch genau daraus: Nicht nur zu quatschen, sondern mit selbstmörderischem Einsatz alles daran zu setzen, den Vorstellungen der höheren Macht zu entsprechen. Damit stellt der Islamismus in vielen Weltregionen einen Hauptfeind linker emanzipatorischer Bestrebungen dar. Daher sollten wir als Kommunist:innen das Problem Islamismus weder abtun, noch mit den Nationalist:innen in ein Horn stoĂen, indem sie âden Islamâ zum Feind erklĂ€ren.
7. Keine falschen Einseitigkeiten
Um nach der vorhergegangenen Kritik an Formen des âPro-PalĂ€stinaâ-Aktivismus weiter Teile der Linken eines deutlich zu machen: Es versteht sich von selbst, dass auch mit einigen abgedrifteten #Antideutschen kein Stich zu machen ist, die die gesamte #Bevölkerung von Gaza entmenschlichen, denen die Lage und die Zukunft der der PalĂ€stinenser:innen egal sind, die nicht die eigene Tragik und spezifische KritikwĂŒrdigkeit der militĂ€rischen Handlungen der israelischen Armee erkennen, sondern in #Kriegsbegeisterung ausbrechen. Die kein Problem damit haben, dass zehntausende Zivilist:innen getötet wurden, Millionen Menschen ihre Wohnungen verloren haben und fliehen mussten, dass ein GroĂteil der GebĂ€ude und Infrastruktur in Gaza zerstört wurden. Die keine Kritik fĂŒr die rechte israelische Regierung und die eigenen Machtinteressen #Netanyahus ĂŒbrig haben. Der Begriff der Antideutschen wird zwar in innerlinken Debatten inflationĂ€r und oft falsch benutzt, um jegliche #Antisemitismuskritik abzuwehren. In der realen Strömung der Antideutschen finden sich bisweilen aber einige #kritikwĂŒrdige Positionen, die oftmals mit antimuslimischem Rassismus einhergehen und sich weit jeder vernĂŒnftigen Ideologiekritik entfernt haben. Um der KomplexitĂ€t der aktuellen Situation gerecht zu werden, mĂŒssen auch solche AuswĂŒchse kritisiert werden.
Das bedeutet auch, das Leid der Bevölkerung von Gaza anzuerkennen, auf das wir mit groĂer Sorge schauen. Zehntausende1 Menschen wurden im Zuge der Operationen des israelischen MilitĂ€rs getötet. Auch wenn ein gewisser Teil davon Kombattanten der Hamas und anderer Organisationen sind ist die Zahl an zivilen Toten enorm. Die humanitĂ€re Lage ist aufgrund der Versorgungsknappheit, der durch die Zerstörung von GebĂ€uden und #Zwangsevakuierungen erzeugte Wohnungslosigkeit und der medizinischen Krise katastrophal. Hunderttausende Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen, wĂ€hrend so gut wie kein Bereich in Gaza sicher genannt werden kann. Wer anfĂŒhrt, die Hamas und ihre Ideologie lieĂen sich durch Beschwichtigung nicht besiegen, steht trotzdessen vor der Frage ob die aktuelle #KriegsfĂŒhrung dazu geeignet ist.
Eine emanzipatorische Kritik blickt wiederum mit groĂer Sorge auf die Entwicklungen in der israelischen Politik. Die #rechtsextremen Teile der Regierung verfolgen auch eine explizit anti- arabisch-rassistische Politik, die das SicherheitsbedĂŒrfnis der israelischen Bevölkerung instrumentalisiert und Eskalationen hervorruft. Auch das Leben der noch in Gaza festgehaltenen #Geiseln setzt diese Politik mit ihrer KriegsfĂŒhrung aufs Spiel. Netanyahus Politik ist hĂ€ufig von einem Handeln zugunsten seiner eigenen Machterhaltungsinteressen bestimmt, wofĂŒr er mit den Rechtsextremen und den gewalttĂ€tigen Teilen der Siedler:innen in der #Westbank paktiert. All dies wird immer wieder innerhalb der israelischen Gesellschaft thematisiert, wie etwa die Proteste der Angehörigen der Geiseln zeigen, die eben auch Austragungsorte der Kritik an ihrer Regierung sind.
8. Zur Kritik der staatlichen #AntisemitismusbekÀmpfung
Unsere Kritik gilt auch Aspekten der AntisemitismusbekĂ€mpfung und IsraelsolidaritĂ€t durch staatliche Organe und Teile der Mehrheitsgesellschaft, die mitunter voller Instrumentalisierungen bis hin zu offenem Rassismus sind. Antisemitismuskritik wird zur Zeit hĂ€ufig nicht zur realen BekĂ€mpfung von Antisemitismus abgerufen, sondern stellt selbst ein kollektives Ritual der gelĂ€uterten Deutschen und als #Selbstvergewisserung bĂŒrgerlich-liberaler Ideologie dar. Dabei lassen sich mehrere problematische Aspekte beobachten. Nicht alle BemĂŒhungen gegen Antisemitismus fallen unter diese Kritik. Dies zu behaupten, wĂŒrde sĂ€mtliche Reflexionen von NS-Vergangenheit und ihren KontinuitĂ€ten, die dieser Gesellschaft maĂgeblich von JĂŒdinnen:Juden und Linken abverlangt wurden, vom Tisch wischen.
1.) Die Reaktionen von deutscher Mehrheitsgesellschaft und Staatsapparaten belaufen sich auf öffentlichkeitswirksam inszenierte Gegnerschaft zum Antisemitismus â ihr bleibt weiterhin das Schicksal lebendiger JĂŒdinnen:Juden gleichgĂŒltig. Das zeigen nicht nur die enorm gestiegen Zahlen antisemitischer Gewalt der letzten Monate. Der selbsternannte Aufarbeitungsweltmeister weiĂ, dass es tunlichst auf Distanz zur allzu offenen #Judenfeindschaft zu gehen gilt, ohne aber einen genaueren Begriff des Antisemitismus zu haben. Das resultiert in #Symbolpolitik, deren Folgenlosigkeit fĂŒr die BekĂ€mpfung von Antisemitismus mit ihrer tatsĂ€chlichen Brisanz in anderen Bereichen korrespondiert.
Am Beispiel der #Verbote vermeintlicher bzw. tatsĂ€chlicher antisemitischer Demos lĂ€sst sich gut nachzeichnen, wie wenig es diese #Mobilmachungen schwĂ€cht und welch hoher Preis, nĂ€mlich die AuĂerkraftsetzung der von diesem Staat so hochgehaltenen Grundrechte, dafĂŒr in Kauf genommen wird. Dieser Umgang weiĂ gegen Antisemitismus wenig auszurichten, wohl aber dient er dazu, staatliche HandlungsfĂ€higkeit zu demonstrieren. Das derartige #Repression niemals gegen rechte Antisemit:innen ins Feld gebracht wird, ist ebenso eine unschöne Binsenweisheit wie der Umstand, dass es hierbei ĂŒberwiegend migrantisierte Menschen sind, die von solchen MaĂnahmen betroffen sind. Rassistische #Polizeigewalt und Racial Profiling ist beispielsweise seit dem 7. Oktober angestiegen. Rassistische Ressentiments und Praktiken manifestieren sich nicht erst seit dem Massaker der Hamas, dieses wird aber als BegrĂŒndung dazu genutzt, insbesondere muslimische oder als muslimisch gelesene Menschen in Geiselhaft fĂŒr die GrĂ€ueltaten der Hamas zu nehmen, was hĂ€ufig auch Kinder und Jugendliche im Schulunterricht trifft. In diesem Kontext geschehen zudem AsylrechtsverschĂ€rfungen, die VerstĂ€rkung der Abschiebepraxis und die EinschrĂ€nkung von Grundrechten. AntisemitismusbekĂ€mpfung wird von staatlicher Seite dazu genutzt, rassistische Praktiken zu manifestieren. Einem Ausspielen von Antisemitismus und Rassismus gegeneinander stellen wir uns klar entgegen.
2.) Zum Teil wird diese Form von (vermeintlicher) AntisemitismusbekĂ€mpfung als Entlastungs- und Externalisierungsstrategie durchgefĂŒhrt. Die proklamierte Gegnerschaft zum Antisemitismus wird vollends bigott angesichts des Versuchs seiner Auslagerung als migrantisches Importprodukt. Ohne Frage: es gibt spezifische Formen des Antisemitismus. Es ist eine falsch verstandene Form antirassistischer Vorsicht, diese nicht zu benennen. Die Externalisierung des Antisemitismus ist jedoch ein Ausdruck deutscher Schuldabwehr. Sie dient dann vor allem dem Zweck, nicht mehr den Antisemitismus der eigenen (Ur-)GroĂeltern, sein Nachwirken in der deutschen Nachfolgegesellschaft und das antisemitische Potential bĂŒrgerlicher VerhĂ€ltnisse zu behandeln. Der doppelt perfide Kniff ist, dass das durch die selbstattestierte LĂ€uterung zu moralischen HöhenflĂŒgen berufene Deutschland zusĂ€tzlich nicht selten noch seine rassistischen BedĂŒrfnisse auslebt und dabei vor allem muslimische Menschen als die eigentlichen ĂbeltĂ€ter:innen zeichnet. Sinnbildlich fĂŒr die rassistischen Doppelstandards bzgl. Antisemitismus ist z.B. die andere Behandlung des bayerischen âMenschenfreundsâ Hubert #Aiwanger, dessen FlugblattaffĂ€re ihn sogar als gestĂ€rkter Politiker hervorgehen lieĂ. Jedoch trifft auch genau dieser #Schuldabwehrantisemitismus auf deutsche nicht-migrantische und nicht-jĂŒdische Linke zu, die sich als âmoralisch ĂŒberlegenâ und âgute Antifaschist:innenâ begreifen; sich dabei die Involviertheiten der eigenen Familie in die NS-Verbrechen und eigene TĂ€ter:innenpotenziale einzugestehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, ist ein schmerzhafter Lern- und Reflexionsprozess.
3.) Wenn sich die bĂŒrgerliche Mitte als Chef-Kritikerin des Antisemitismus inszeniert, geht es um mehr als das bloĂe BedĂŒrfnis, schlussendlich auf der moralisch korrekten, guten Seite angekommen zu sein. Zum einen wird der bĂŒrgerliche Staat und die bĂŒrgerliche Mitte von Antisemitismus freigesprochen und Antisemitismus #extremismustheoretisch zu einem Problem der âExtremenâ gemacht. So wird im gleichen Zug die bĂŒrgerlich-kapitalistische Gesellschaft und ihre politische Form als wichtige Quelle von Antisemitismus verdrĂ€ngt. Stattdessen wird recht plump gegen Linke vorgegangen und auf der eingeĂŒbten Klaviatur des antimuslimischen Rassismus gehĂ€mmert, in der muslimische Menschen als rĂŒckstĂ€ndig und unaufgeklĂ€rt, tendenziell gewalttĂ€tig und zu radikalen Ansichten neigend gezeichnet werden.
Noch perfider ist der Versuch, ein Doppelpaket zwischen AntisemitismusbekĂ€mpfung und der gegenwĂ€rtigen rassistischen Abschiebe- und Abschottungspolitik und der sie begleitenden rassistischen Töne im öffentlichen Diskurs zu etablieren. Ganze Communities und Kieze werden kriminalisiert und einige reale Bedrohungssituationen fĂŒr JĂŒdinnen:Juden fĂŒr autoritĂ€re Law and Order Politik genutzt. Das wird insbesondere an (vermeintlichen) PalĂ€stinenser:innen durchexerziert: Eine vorgebliche Kritik des Antisemitismus wird hier vorgeschoben, um gegen alle PalĂ€stinenser:innen zu pauschalisieren â welche es wiederum oftmals als #Staatenlose besonders schwer unter dem Zugriff deutscher #Migrationsbehörden haben.
Antisemitismus und Rassismus sind in ihrer Funktionsweise unterschiedlich, haben aber konkrete (gewaltförmige) Auswirkungen auf die LebensrealitÀten von Betroffenen. Antisemitismus und Rassismus, wie aktuell hÀufig passiert, gegeneinander auszuspielen oder eine Hierarchisierung des Leides der Betroffenen aufzumachen, steht jeglicher solidarischen Praxis und materialistischen Kritik entgegen.
Zusammenfassend: Zu oft wird AntisemitismusbekĂ€mpfung fĂŒr eine politische und diskursive Agenda instrumentalisiert. Das gelĂ€uterte Deutschland hat die nationalsozialistische Vergangenheit bewĂ€ltigt, fĂŒhlt sich als Aufarbeitungsweltmeister. Jetzt kann man sich dem Antisemitismus der anderen widmen. Deshalb kann man jetzt getrost als Deutsche auch wieder wer sein in der Welt. Deshalb ist man als bĂŒrgerlicher Staat die Spitze der Zivilisation. Eine antinationale #Staatskritik muss auch und gerade diesen nationalen Konsens in Deutschland und die NormalitĂ€t bĂŒrgerlicher VerhĂ€ltnisse angreifen.
9. Abschluss
Gegen die antisemitische Entmenschlichung von JĂŒdinnen:Juden wie auch gegen die rassistische Entmenschlichung von PalĂ€stinenser:innen und den falschen Widerspruch des Kampfs gegen Antisemitismus und gegen Rassismus treten wir ein fĂŒr eine Linke mit dem Ziel universeller #Befreiung. FĂŒr uns wĂ€re das ein Zustand, in dem man ohne Angst verschieden sein kann. Wir plĂ€dieren also fĂŒr eine ideologiekritische, antinationale und antiautoritĂ€re Linke. Wir mĂŒssen als Linke und Kommunist:innen ernstnehmen, dass sich in dieser Gesellschaft in allen Teilen der Bevölkerung, auch innerhalb der Linken, autoritĂ€re Ideologien herausbilden, die Emanzipation entgegenstehen. Diese zu kritisieren und eine Praxis zu entwickeln, in der diese Ideologien sich auflösen können, durch die Perspektive einer vernĂŒnftig eingerichteten Gesellschaft, in der alle gut leben können, einem antiautoritĂ€ren #Kommunismus, muss Aufgabe einer radikalen Linken sein. Dabei gilt es auch, Antisemitismus in seiner Besonderheit anzuerkennen als Ideologie, die auf Vernichtung von JĂŒdinnen:Juden zielt â gerade weil Antisemitismus oft unerkannt bleibt und sich gerne antikapitalistisch und rebellisch gibt. Das Ziel bleibt die Aufhebung von #Kapitalverwertung und #Nationalstaaten in einer kommunistischen Weltgesellschaft, die keine menschenfeindlichen Ideologien wie Antisemitismus mehr hervorbringt und die eine #Assoziation von Menschen auf freier und bewusster Basis, sowie von #Zwangssubjektivierungen befreite IdentitĂ€tsbestimmungen, ermöglicht.
In diesem Sinne: Wir bleiben unversöhnlich.
FĂŒr eine antinationale, ideologiekritische und antiautoritĂ€re Linke!
Gegen jeden Antisemitismus, fĂŒr den Kommunismus.
Wir freuen uns auf konstruktive Fragen, Anmerkungen und DebattenbeitrÀge. Schreibt uns eine Mail an: info.antisemitismustext@systemli.org
verfasst von: Basisgruppe Antifaschismus Bremen, Eklat_MS, URA-Dresden, Antifa_nt MĂŒnchen, Kritik&Praxis FFM, Redical [M] Göttingen, CAT Marburg, In/Progress Braunschweig
http://basisgruppe-antifa.org/wp/debattenbeitrag/
#antifa