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Wahlen in Chile: Linke und Unabhängige gewinnen Mehrheit in verfassunggebender Versammlung. Kommunistin wird Bürgermeisterin von Santiago (Von Frederic Schnatterer)
Linke und unabhängige Delegierte stellen die Mehrheit in der verfassunggebenden Versammlung in Chile. Das geht aus den ersten Ergebnissen der Abstimmung vom Wochenende hervor, die die Wahlbehörde Servel am Sonntag abend (Ortszeit) veröffentlichte. Nach Auszählung von rund 90 Prozent der Stimmen entfallen demnach 65 der insgesamt 155 Mandate auf Kandidaten linksgerichteter Parteien – 25 auf Mitglieder der sozialdemokratisch orientierten Lista Apruebo, 27 auf Apruebo Dignidad, der auch die KP Chiles angehört. Das rechte Bündnis Vamos por Chile des Präsidenten Sebastián Piñera kommt lediglich auf 38 Sitze.
Großer Gewinner der Abstimmung sind zudem die Unabhängigen, voraussichtlich 48 Delegierte gehören keiner politischen Partei an. Angesichts der Tatsache, dass das chilenische Wahlsystem die traditionellen Parteien bevorteilt, war dieses Ergebnis nicht erwartet worden. 17 Mandate waren Vertretern der indigenen Bevölkerung vorbehalten. Zudem wird der Konvent geschlechterparitätisch besetzt sein, was Chile zum ersten Land der Welt macht, in dem ebenso viele Frauen wie Männer die künftige Verfassung ausarbeiten werden. Die Delegierten haben nun ein Jahr lang Zeit, um den Text zu formulieren, ehe in einem weiteren Referendum darüber abgestimmt wird.
Viele der unabhängigen Delegierten kommen aus den Reihen der sozialen Revolte, die im Oktober 2019 ausgebrochen war und sich die Ausarbeitung einer neuen Verfassung auf die Fahnen schrieb. Nach einem Jahr der Massenproteste hatte im vergangenen Oktober eine überwältigende Mehrheit in einem Referendum für eine Ablösung der noch aus Zeiten der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet (1973–1990) stammenden Konstitution gestimmt. Von den mehr als 14 Millionen dazu berechtigten Chileninnen und Chilenen beteiligten sich am Sonnabend und Sonntag 6,4 Millionen an der Abstimmung.
Das Ergebnis stellt eine herbe Niederlage für die chilenische Rechte dar. »Wir sind nicht ausreichend auf die Forderungen und Wünsche der Bürgerinnen und Bürger eingestellt«, erklärte Präsident Piñera, der für die Abstimmung ein Bündnis mit der Ultrarechten eingegangen war, am Sonntag. Nun gehe es darum, »demütig und aufmerksam auf die Botschaft des Volkes zu hören«. Seit Monaten hält sich die Regierung von Piñera im Amt, obwohl sie über fast keinen Rückhalt mehr verfügt.
Besonders bedeutsam ist, dass die Rechte das von ihr angestrebte Drittel in der verfassunggebenden Versammlung verpasst hat und somit progressive Inhalte nicht blockieren kann. In dem Konvent müssen Entscheidungen mit einer Zweidrittelmehrheit getroffen werden. Die KP-Abgeordnete Karol Cariola dankte am Sonntag dementsprechend den Wählerinnen und Wählern, die »ohne Angst gewählt« hätten und erklärte: »Wir werden weiter die Ketten der Diktatur zerstören, um eine historische Verfassung auszuarbeiten.«
Auch bei den ebenfalls am Wochenende durchgeführten Wahlen von Bürgermeistern, Gemeinderäten und Gouverneuren musste die Rechte teils heftige Schlappen einstecken. Dabei sticht besonders die Hauptstadt Santiago hervor. Hier setzte sich Irací Hassler von der Kommunistischen Partei gegen den rechten Amtsinhaber Felipe Alessandri durch. Nach ihrem Triumph erklärte die Kommunistin: »Wir hoffen, dass das heute nur der Vorgeschmack für das ist, was unserem ganzen Land bevorsteht: dass niemals wieder die Rechte gegen unsere Nachbarinnen und Nachbarn regieren wird.«