03.12.2023 Rede von Dr. Michael von der Schulenburg
US Kongress zählt 250 Kriege der USA seit 1945
Wie in unserem Bericht über die Friedensmanifestation am letzten Samstag angekündigt, wollen wir neben den Videos der Reden auch die Texte veröffentlichen. Das sehen wir als notwendig an, zum Einen, weil wir sie inhaltlich wichtig finden einen Weg zum Frieden aufzuzeigen, zum Anderen, weil wir immer noch über das Schweigen in den Medien über diese Demonstration für eine andere Politik entsetzt sind.
Es folgt die Rede von Dr. Michael von der Schulenburg (Diplomat, ehem. Assistant General Secretary des UN Generalsekretärs), auf der Kundgebung NEIN zu Kriegen! am 25.11.23 am Brandenburger Tor in Berlin.
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Hallo! Ja, also vielen Dank, dass ihr so zahlreich gekommen seid, trotz des schlechten Wetters und vielen Dank, dass ihr bereit seid, mir zuzuhören.
Ich komme aus der Welt der Diplomatie und nicht aus der Welt der Demonstration. Dort läuft alles im Stillen ab und ich habe ja auch noch nie vor so vielen Menschen geredet. Die Frage, die wir uns heute stellen müssen, hier in Deutschland ist, in welcher Welt wir überhaupt leben wollen. Nicht nur in Deutschland, auch in Europa, aber auch in die Welt. Wir müssen diese Frage in die Welt hinausrufen. In welcher Welt wollen wir leben?
Denn die Welt von heute ist in den Würgegriff von Gewalt und Krieg geraten. Und es gibt zurzeit keine diplomatische, keine politische Bestrebung, die international irgendwie etwas vorbereitet, wie wir aus dieser Spirale von Gewalt und Krieg wieder herauskommen. Das ist nicht nur die Ukraine, das ist nicht nur Israel und Palästina. Es gibt zurzeit 55 Kriege in der Welt.
Die UNO hat erklärt, dass das letzte Jahr das gefährlichste Jahr seit Ende des Kalten Krieges ist mit den meisten intensivsten und am längsten andauernden Kriegen. Das ist eine unglaubliche Trauer, wenn wir sehen, dass wir hier am Brandenburger Tor stehen, wo einst eine friedliche Veränderung in der Welt stattgefunden hat und die Hoffnung haben, die wir damals hatten, dass wir eine eine friedliche Welt aufbauen können.
Und es ist ja nicht nur, dass wir 55 Kriege haben. Es ist das erste Mal in der Menschengeschichte, dass Nuklearwaffen eine strategische Rolle in einem heißen Krieg und nicht nur in einem kalten Krieg spielen, im Ukraine-Krieg. Der Ukraine-Krieg, wie der heute stattfindet, wäre ohne Nuklearwaffen auf beiden Seiten so nicht verlaufen. Und das ist eine ausgesprochen, gefährliche Sache. Auch in der Palästina-Israel Auseinandersetzung wurden bereits Hinweise gegenem, dass man vielleicht auch Atomwaffen einsetzen müsste. Eine Atomwaffe ist eine Waffe der totalen Zerstörung. Da wird auch der Sieger letztlich zerstört. Und auch nur die Gedanken daran zu haben, dass man sie einsetzen will, ist ausgesprochen wahnsinnig.
Wir leben heute in dem Irrglauben, dass Konflikte nur durch Gewalt gelöst werden können. Es gibt zurzeit keine wirkliche ernsthafte Diplomatie, auch nur einen dieser großen Konflikte zu lösen. Was man vielleicht versucht, ist ein Waffenstillstand oder ein teilweiser Waffenstillstand, aber das löst die Konflikte nicht. Die Diplomatie ist dafür da, die Konflikte zu lösen. Auch Außenminister und Außenministerinnen sollten das tun, Konflikte zu lösen, bevor sie zu einem Krieg kommen. Und was wir heute sehen, ist im Grunde genommen eine Bankrotterklärung der Diplomatie. Und die Europäische Union hatte noch nie so viel Diplomaten gehabt wie heute.
Es ist sogar so, wir gehen ja noch einen Schritt weiter. Wir fangen an, moralisch zu argumentieren. Wir versuchen moralisch das Unmoralischste, das der Krieg bedeutet, zu rechtfertigen. Wir fangen an zu rechtfertigen, dass auch Zivilisten getötet werden. Frauen und Kinder, junge und alte Leute, dass Angriffe auf friedlich von jungen Leuten organisierten Musikveranstaltungen stattfinden, dass man Häuser bombardiert, dass man Schulen bombardiert und dass man Krankenhäuser bombardiert.
Wir versuchen das moralisch zu rechtfertigen. Und wir sagen, es gibt ein Recht auf Selbstverteidigung. Das Problem einer solchen Argumention ist, dass immer beide Seiten sagen, sie tun das aus einem Recht an Selbstverteidigung. Das heißt, mit diesem Argument hat man einen Kreislauf erzeugt, wo Gewalt Gewalt rechtfertigt. Und da kommt man gar nicht mehr raus.
Und was wir völlig vergessen, was wir dabei vergessen, dass wir ja alle, alle Mitglieder der Vereinten Nationen sind. Und die UNO Charter verlangt von uns allen eine friedliche Lösung. Von einer friedlichen Lösung von Konflikten ist heute in keinem der Konflikte mehr die Rede. In der Unsicherheit, in der wir heute leben, suchen wir Sicherheit in Waffen. Deswegen sind international die Ausgaben für Militärausgaben verdoppelt worden seit Ende des Kalten Krieges - und diese Ausgaben werden noch weiter wachsen.
Was wir aber zusätzlich dabei noch bedenken müssen, dass bei dem mehr Geld die Waffen immer zerstörerischer werden, immer raffinierter werden, immer schneller werden. Wir sprechen heute von intelligenten Atomwaffen und wir sprechen von Tarnkappen Technologie, von Hyperschall Raketen, von Space War, also Weltraumkrieg, von Cyber War und so weiter und so weiter. Das sind alles Dinge, die wir sogar im Kalten Krieg nicht gekannt haben.
Und was das Scheußliche dabei ist, dass wir gleichzeitig sämtliche Rüstungsbeschränkungsabkommen sämtliche vertrauensbildende Maßnahmen abgebaut haben. Das ist so, als würde jemand auf einem Trapezseil hoch oben über die Wolkenkratzer gehen und unten würden alle Sicherheitmaßnahmen abgebaut. Wir fallen von da unten runter. Wir haben keine vertrauensbildenden Maßnahmen mehr, überhaupt keine mehr. Die sind seit 2001 alle abgebaut worden.
In der modernen Waffentechnik wird alles immer schneller und immer geheimer. Das heißt also, jemand, der sich angegriffen fühlt, wird viel weniger Zeit haben, darauf zu reagieren. Das erzeugt eine Situation, in der beide Seiten voller Misstrauen, voller Angst sind und dadurch Reaktionen möglich sind, die man nicht voraussehen kann. Also diese Waffen, die wir jetzt herstellen, werden uns deshalb nicht sicherer machen, sondern werden die Welt wesentlich unsicherer machen. Und wir müssen auch aufpassen, dass wir nicht nur nicht mehr Geld für Waffen ausgeben, sondern dass wir bestimmte Waffen einfach nicht bauen dürfen, einfach nicht einsetzen dürfen.
Wir müssen zurückgehen auf die UNO Charta, diese erlaubt nur die Verteidigung, keinen Angriff, keine globale Geschichte, kein Recht, Kriege weiterzuführen. Das muss verhandelt werden.
Und jetzt will ich noch etwas sagen zu unseren westlichen Demokratien. Wenn wir unsere Zeitung lesen, dann lesen wir ja immer, dass wir die Guten sind. Die Anderen sind die Bösen. Die Anderen sind die Angreifer. Die Anderen haben angefangen. Und so weiter und so weiter. Und wir halten die Waffe nur in der Hand, um unsere hohen Werte zu verteidigen.
Aber die Realität ist leider anders. Nur wir, also im Westen, haben ein Militärbündnis, das NATO heißt. Und obwohl wir nur weniger als 10 Prozent der Weltbevölkerung sind und die anderen 90 Prozent, kontrollieren wir bis zu 60 Prozent aller Militärausgaben für diese 10 Prozent. Das kann man nicht rechtfertigen. Auch sind NATO Länder insgesamt verantwortlich für 70 Prozent aller Waffen, allen Waffenhandels in der Welt. Also die Leute, die Kriege führen in der Welt, werden sie sehr wahrscheinlich mit unseren Waffen führen. Also das gibt es nicht nochmal. Es gibt keinen anderen Staatenbund in der Welt, der etwas Ähnliches wie eine NATO hat.
Warum haben wir das? Warum glauben wir, dass wir - wir sind ja alle meistens weiß - diese kleine weiße Gruppe, dass wir diese Art von Militär brauchen? Im letzten Jahr hat der US Kongress, also um genauer zu sein, der Wissenschaftliche Dienst des US Kongress einen Bericht herausgegeben, nach dem seit dem Ende des Kalten Krieges die Vereinigten Staaten mit Hilfe verschiedener Koalitionen von Partnern in 250 Fällen in anderen Ländern eingegriffen hat. Das heißt, die NATO und mehrere von unseren Mitgliedsstaaten der NATO führen die ganze Zeit Krieg. Es gab keinen Tag, wo wir nicht irgendwo in einem Krieg gewesen sind, während wir andere dessen beschuldigen.
Und dabei sind in dieser Zahl nicht mal die CIA Operationen enthalten. Auch Proxy-Kriege wie der Ukraine-Krieg ist in dieser Zahl nicht enthalten. Es gibt keinen Staat, keinen anderen Staat, kein anderes Staatenbündnis, das auch nur annähernd so oft militärisch in anderen Ländern eingegriffen hat wie der Westen. Die US-amerikanische Brown University, eine der großen Universitäten von Amerika, hat in diesem Jahr einen Bericht verfasst über den Krieg gegen den Terror und hat festgestellt - und das sind alles amerikanische Zahlen, das sind also keine Fake News und sowas - hat festgestellt, dass seit 2002 dieser Krieg 4,5 Millionen Menschen das Leben gekostet hat durch direkte und indirekte Einwirkungen und 38 Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht hat. Unser Krieg gegen den Terror, wo wir meinen, den können wir gewinnen.
Das heißt also, vielleicht sind da 10.000 Terroristen wirklich dabei gewesen, vielleicht 100.000. Aber das heißt, dass wir im Grunde genommen schuld sind für über vier Millionen zivile Tote als sogenannter Kollateralschaden. Es gibt keinen anderen Staat, kein anderes Staatenbündnis, das für so viele zivile Tote sich schuldig gemacht hat wie wir. Wir müssen umdenken und wir brauchen das nicht mit Waffen zu tun, wir brauchen das nicht mit Gewalt zu tun.
Und ich denke vielleicht, dass ein ganz kleines Wort das am besten beschreibt - verstehen. Und das ist ein Wort, dass die, die den Krieg gewinnen wollen, Sieger sein wollen, den Krieg fortsetzen, hassen. Deswegen wird jemand wie ich, sofort als Putin Versteher, Russland Versteher, Taliban Versteher benannt. Dabei zeigt sich, wie schwierig das ist.
Das Wort verstehen ist ja ein unglaublich positives Wort, denn es bedeutet den Verstand benutzen. Wir müssen also den Verstand benutzen, auf andere Menschen zugehen. Wir müssen mit ihnen reden. Oder wie in der Berliner Zeitung gesagt wurde, wir müssen kommunizieren, wir müssen mit ihnen sprechen. In dem Moment, wo wir jemand verstehen, werden wir nicht mehr zur Waffe greifen.
Und wir dürfen auch keinen Fehler machen. Verstehen bedeutet nicht, dass wir die gleiche Meinung wie jemand anders haben. Es bedeutet nicht, dass wir diese Meinung akzeptieren. Aber es bedeutet, dass wir Respekt haben, dass andere Menschen das anders sehen, dass andere Menschen uns als Gefahr sehen, dass wir uns dem entsprechend verhalten. Wir müssen Ausgleich finden und das verstehen wir nur, indem wir das benutzen, was uns allen Menschen eigen ist, Verstand. Und das kostet kein Geld. Dafür brauchen wir kein 100 Millionen [Milliarden] Sonderbudget.
Im Weltall ist unsere Welt nicht mehr als ein kleines Sandkorn. Aber noch in diesem Jahrhundert werden da 10 Milliarden Menschen auf dieser Welt leben. Und es wird Konflikte geben. Konflikte wegen Klimawandel, wegen sozialer Gerechtigkeit, wegen limitierter Ressourcen. Und die müssen wir lösen. Und die können wir nicht mit Waffen lösen. Die können wir nur mit Verstand lösen. Und deswegen sollten wir jetzt der UNO Charta folgen, die gesagt hat, wir müssen unsere Kräfte zusammenfassen, den Weltfrieden zu bewahren. Und erst dann können wir uns überlegen, in welcher Welt wollen wir wirklich leben?
Danke schön. Danke fürs Zuhören.
Mehr dazu bei https://nie-wieder-krieg.org/
und die Rede im Video https://nie-wieder-krieg.org/2023/11/26/redebeitrag-michael-von-der-schulenburg/
und https://www.aktion-freiheitstattangst.org/de/articles/8598-20231126-ruestungswahnsinn-stoppen.html
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