Normalzeit
Es ist der dreißigste Oktober. Morgen ist Halloween, dieser US-amerikanische Kinderkarneval, den sie hier schon seit Jahrzehnten als Fest einführen wollen, weil er jedem Mediengenießer aus US-amerikanischen Filmen und Serien vertraut ist und weil die Krämer einen weiteren Anlass haben möchten, den „Verbrauchern“ in der langen Zeit zwischen Ostern und Weihnachten Tinnef und junk food zu verkaufen. Übermorgen ist November. Das Sonnenlicht strahlt heiter und munter auf das langsam welkende Laub, das immer noch sehr grün ist. Fünfzehn Grad Celsius und ein Hauch von spätem Frühling. In einem Vorgarten hat sich zwischen den ganzen Hagebutten noch einmal eine gelbe Rosenblüte zur Unzeit der Sonne entgegengereckt und blüht in der lauen Luft vor sich hin, als ob kein Winter mehr würde. Etliche Graugänse aus Hannover haben schon seit Jahren keine Lust mehr, den langen und kräftezehrenden Flug ins warme, sättigende Afrika anzutreten und bleiben einfach hier. Es scheint mittlerweile ein evolutionärer Vorteil geworden zu sein, denn es werden mehr. In den engen Straßen parken Autos; breite, lange, übermotorisierte Autos, für die kaum noch ein Platz ist, also parken sie eben behindernd, asozial und klar ordnungsgeldwürdig. Es muss inzwischen ein Vorteil geowrden sein, denn es werden mehr. Wohl denen, die nicht auf einen Rollstuhl angewiesen sind, keinen Rollator benötigen und keinen Kinderwagen mit sich schieben! Man muss die Dinger ja irgendwo parken, wenn sie für den größten Teil des Tages sperrige Stehzeuge sind. Es interessiert keinen Mitarbeiter des Ordnungsamtes und keinen Polizeibeamten. Aber immerhin: Dem deutschen Einheiten- und Zeitgesetze muss man weiterhin gehorchen. Gestern wurden die Uhren wieder zu nachtschlafender Zeit auf die Mitteleuropäische Zeit zurückgestellt. Auf die „Normalzeit“, wie Politiker und Journalisten zu sagen und zu schreiben pflegen, wenn die meisten Menschen tagelang vor ihrem durch die Legislative beschädigten Zeitgefühl stehen. Und einige stehen auch kurz vor der schönen gelben Blüte dieser Rose, jetzt in der Normalzeit.
#Auto #Herbst #Sprache #Wetter | Zweitverwertet aus Lumières dans la nuit…