#polizeigewalt

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03.03.2024 Fast-Freispruch nach tödlicher Polizeigewalt

"Verteidigung hätte das Urteil auch gleich diktieren können"

So sagt es Michèle Winkler, Prozessbeobachterin vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, nach dem Urteil gegen 2 Polizisten, die vor dem Mannheimer Landgericht wegen tödlicher Polizeigewalt gegen Ante P. standen. Der Hauptangeklagte Polizist L.J. war angeklagt wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung. Nun soll er eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 50 Euro zahlen. Sein Kollege B.Z., dem fahrlässige Tötung durch Unterlassen vorgeworfen worden war, weil er seinen Kollegen nicht zurückgehalten und den sich nicht mehr bewegenden Ante P. knapp sechs Minuten gefesselt in Bauchlage hatte liegen lassen, wurde freigesprochen.

Die Videoaufnahmen von "rund 70 Zeug*innen", die im Gerichtssaal gezeigt wurden, konnten eindeutig nachweisen, dass Hinweise aus der Menschenmenge, dass Ante P. nicht mehr atme, die neben ihm knienden Polizisten nicht zum Handeln bewegt hatten. Das Gericht blieb bei seiner Ansicht, dass dieses Nichthandeln strafrechtlich nicht beanstandbar sei, "weil Ante P. möglicherweise trotz Hilfeleistung verstorben wäre".

Das Gericht übernahm die Argumentation der Verteidigung und machte aus Ante P. eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Er sei in einem wahnhaften Zustand gewesen. Ein beauftragter Gutachter ging soweit zu behaupten, Schizophrene seien mit Vorsicht zu genießen und bekannt für Tötungsdelikte und Suizide. Wieder erwies sich, dass nach aktueller Forschung psychisch erkrankte Personen einem deutlich erhöhten Gewaltrisiko durch die Polizei ausgesetzt sind.

Die Prozessbeobachterin erklärt in der Pressemitteilung des Komitee für Grundrechte und Demokratie: "Offensichtlich sind die die Handlungsentscheidungen der Polizisten am Tattag von stigmatisierenden Einstellungen geleitet gewesen. Das zeigte die Einlassung des Hauptangeklagten, wie auch in der Wahl der Verteidigungsstrategie, insbesondere die Plädoyers der Verteidigung. Skandalös ist, dass auch die Kammer diese ableistischen Einstellungen wiederholt und somit die Gewalteskalation gegen Ante P. als gerechtfertigt bewertet. Diese justizielle Rechtfertigung tödlicher Gewalt gegen eine vulnerable Person kann dazu führen, dass die Mannheimer Polizei Personen zukünftig psychischen Ausnahmesituationen noch häufiger mit Gewalt begegnet. Dem müssen wir uns als Menschenrechtsorganisation ebenso wie als Teil der Zivilgesellschaft entgegenstellen."

Mehr dazu bei https://www.grundrechtekomitee.de/details/pressemitteilung-die-verteidigung-haette-das-urteil-auch-gleich-diktieren-koennen-katastrophales-urteil-gegen-polizisten-in-mannheim-unverhohlener-ableismus-und-institutionelle-naehe-von-strafjustiz-und-polizei
und die PM der Initiative 2. Mai Mannheim https://initiative-2mai.de/data/Initiative%202.%20Mai%20(01.03.24)%20Eine%20Zwischenbilanz.pdf.pdf
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Tags: #Polizeigewalt #Mannheim #psychischkrank #Urteil #Transparenz #Informationsfreiheit #Meinungsmonopol #Diskriminierung #Ungleichbehandlung #Unschuldsvermutung #Verhaltensänderung

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27.02.2024 Italien: Repression nach innen

Am Freitag war der "schnelle Knüppel" los

Wie vor mehr als 20 Jahren beim G8-Gpfel in Genua war in Italien mal wieder Polizeigewalt angesagt. Wie damals ein christdemokratische Regierung haben nun die Postfaschisten in Pisa ein Exempel statuieren wollen. Staatspräsident Sergio Mattarella ist über den "Ausrutscher" der Regierung nicht erfreut.

Was in Genua geschah

Am Nachmittag des 20 Juli 2001 wird ein friedlicher Demonstrationszug (für die Rechte von migrantischen Personen) mit rund 20.000 Personen aus unbekannten Gründen von Polizisten angegriffen. Die Demonstrierenden wehren sich, die Situation eskaliert. Hunderte Aktivisten, Journalistinnen und Unbeteiligte werden verprügelt und zum Teil schwer verletzt.

Die Polizei geht mit Tränengas und Räumpanzern gegen Demonstranten vor. Hunderte werden festgenommen und gefoltert. 300 werden in einer Kaserne ohne Kontakt zu Angehörigen oder Anwälten festgehalten. Einige müssen sich nackt ausziehen und vor Polizisten Kniebeugen machen und werden gezwungen, faschistische Lieder zu singen oder sich auf allen Vieren niederzuknien und zu bellen, so beschreiben watson.ch und wikipedia die Ereignisse. Neben den vielen psychischen Schäden müssen 82 Menschen in Krankenhäusern behandelt werden und der 23-jährige Italiener Carlo Giuliani erliegt den Schüssen aus einer Polizeipistole.

Und heute?

In Pisa gingen am letzten Freitag Polizeikräfte mit Schlagstöcken gegen jugendliche propalästinensische Demonstranten vor. 10 Minderjährige wurden verletzt, drei Erwachsene Demonstranten mussten ins Krankenhaus, einer von ihnen mit einem Schädel-Hirn-Trauma. Auch in Florenz hatte die Polizei eine ähnliche Schülerdemonstration blockiert. Auch ein Protestzug aus Mitgliedern von Gewerkschaften, Studenten und Anhängern der palästinensischen Gemeinde, die in Florenz das amerikanische Konsulat erreichen wollte, wurde von schwer bewaffneten Polizeikräften aufgehalten.

Rainews.it berichtet: PD-Chefin Elly Schlein postete auf Facebook ein Video der "inakzeptablen" Szenen von "Studenten, die in einer Straße gefangen sind und von der Polizei angegriffen und geschlagen werden". Schlein kritisierte, die rechte Regierung von Premierministerin Giorgia Meloni schaffe ein "Klima der Repression" im Land.

... und wenn die Faschisten erst einmal wieder regieren, kann man im Ausland vielleicht gerade mal noch darüber berichten ...

Mehr dazu bei https://www.nzz.ch/international/italien-streit-um-harten-polizeieinsatz-gegen-studenten-in-pisa-ld.1819454
und https://www.watson.ch/international/gesellschaft%20&%20politik/652317301-blut-tod-folter-was-vor-20-jahren-in-genua-passierte
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Tags: #Polizeigewalt #Italien #Meloni #Repression #Demo #Israel #Palästina #Flozenz #Pisa #Genua #G8-Gipfel #Journalisten #Polizeikessel #Polizeieinsatz #SchülerInnen #Menschenwürde #anlasslos #Verhaltensänderung

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18.02.2024 Verlaufsprotokolle des Polizeikessels jetzt öffentlich

"... nicht unkontrolliert ablaufen lassen"

Eine Demonstration für Versammlungsfreiheit am 3. Juni 2023 zum sogenannten „Tag X” in Leipzig führte dazu, dass mehr als 1300 Menschen im Juni 2023 auf einer Wiese im Süden Leipzigs in einem Polizeikessel elf Stunden ausharren mussten. Die Betroffenen wissen nun wie es um die Versammlungsfreiheit in Sachsen bestellt ist.

"Frag den Staat" hat nun den detaillierten Verlaufsbericht des Einsatzes sowie mehrere im Nachgang erstellte Protokolle durch eine Anfrage nach dem neuen Sächsischen Transparenzgesetz aus dem geheimen Dokumentenknast "Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch" (VS-NfD) befreit.

Aus diesen Dokumenten ergibt sich, dass bereits mehr als eine halbe Stunde vor Beginn des Polizeikessels der zuständige Polizeiführer erstmals anordnete, dass die Teilnehmer der Veranstaltung „nicht unkontrolliert ablaufen dürfen“. Zu diesem Zeitpunkt gab es einzelne vermummte Personen, jedoch keine gewalttätige Aktionen oder deren Vorbereitung, wie etwa Steine sammeln.

Kurz darauf wird von der Polizeiführung präzisiert bei jeder Person eine Identitätsfeststellung durchzuführen und "jeden unkontrollierten Abgang" von der Demo zu verhindern. Im Einsatzprotokoll geht die Polizei von 500 Personen aus, die sie festgesetzt hat, andere Protokolle notieren die Zahl 300 bis 400. In dem Polizeikessel befinden sich 1323 Menschen – darunter mehr als hundert Jugendliche und zwei Kinder.

Pauschal allen Eingekesselten die Beteiligung an Straftaten zu unterstellen und gegen sie zu ermitteln, hält der Polizeirechtler Clemens Arzt schon an den folgenden Tagen gegenüber dem MDR für rechtlich unzulässig: "Eine solche Maßnahme gegen Hunderte von Menschen für eine so lange Dauer, die scheint mir rechtlich nicht zulässig gewesen zu sein." Er forderte die Betroffenen dazu auf dagegen vorzugehen. Dies insbesondere, weil alle Eingeschlossenen im Polizeikessel nach Rücksprache mit einem Staatsanwalt als Tatverdächtige von Straftaten geführt und erkennungsdienstlich behandelt werden sollten.

Um 22:01 Uhr notiert die Polizei 100 Personen abgearbeitet zu haben, um 0 Uhr sind es 250, um 1:45 Uhr werden noch 300 Personen im Kessel vermutet. Auch nach einigen Tagen spricht die Polizei "nur" von 1031 Identitätsfeststellungen, inzwischen liegt die offizielle Zahl bei weit über 1300 Eingekesselten. Warum die Polizei mit ihren Personenschätzungen so daneben lag - wir kennen das ja auch oft von den Zählungen bei Demonstrationen - erstaunt, denn der Polizeibericht bestätigt, dass bereits um 17:06 Uhr Polizisten in Zivil inmitten der Versammlung im Einsatz waren.

Genauso unerklärlich ist, dass in den Protokollen bereits um 18 Uhr die Anfrage der Polizei nach Wasser und Toilettenmöglichkeiten für 800 Personen vermerkt wird, wo sie nach ihren Eintragungen von 300 Personen ausging. Um 22:57 Uhr wurde wegen der nächtlichen Temperaturen der Bedarf an Rettungsdecken wegen drohender Unterkühlung notiert. Diese trafen erst um fünf Uhr morgens vor Ort ein und wurden "nicht mehr benötigt“.

Frag den Staat schließt seinen Bericht mit der Feststellung: Gegen alle 1321 strafmündigen Personen, die in jener Nacht im Leipziger Kessel ausharren mussten, laufen seitdem Strafverfahren. Sie alle sind des Landfriedensbruchs in einem besonders schweren Fall beschuldigt. Lediglich die beiden Kinder, die inmitten der Gruppe von der Polizei festgehalten wurden, sind davon ausgenommen. Zudem gibt es Hinweise, wonach diese 1321 Personen zwischenzeitlich durch den Sächsischen Verfassungsschutz im gemeinsamen Informationsportal der Nachrichtendienste (NADIS) erfasst worden sein sollen – zugeordnet dem Phänomenbereich Linksextremismus.

Der VS gibt dazu natürlich keine Auskunft ...
Frag den Staat hält das nicht für "natürlich" und hat deshalb einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen Sachsens Verfassungsschutz eingereicht.

Mehr dazu bei https://fragdenstaat.de/blog/2024/02/12/chaos-und-widerspruche-zum-leipziger-polizeikessel/
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Tags: #Leipzig #Polizeikessel #Bodycam #Polizeieinsatz #Menschenwürde #anlasslos #Verhaltensänderung #Öffentlichkeit #Lauschangriff #Überwachung #DataMining #Videoüberwachung #Polizeigewalt #Verfassungsschutz #VS

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #opfer #exekutive #polizeigewalt #klassenfrage #rassismus

Tödliche Polizeigewalt, Selektive Solidarität

Wer bei den Opfern von tödlicher Polizeigewalt nur nach rassistischer Diskriminierung fragt, verliert die Armut aus dem Blick. Eine Reflexion (Von Lotta Maier)

Seit Mitte Dezember 2023 wird vor dem Dortmunder Landgericht über die Schuld von fünf Polizistinnen und Polizisten verhandelt. Sie waren mit weiteren Kollegen am 8. August 2022 an einem Einsatz beteiligt, der für den 16jährigen Mouhamed Lamine Dramé tödlich endete. Der junge Geflüchtete aus dem Senegal war mit mehreren Polizeischüssen regelrecht hingerichtet worden. Sein Tod hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt. Zu dem Polizeieinsatz kam es, weil Mouhamed Dramé mit einem Messer im Hof der Dortmunder Jugendeinrichtung saß, in der er erst seit wenigen Tagen untergebracht war. Sein Betreuer befürchtete, er könne sich selbst verletzen und verständigte deshalb die Polizei. Wie so oft beruhigten die herbeigerufenen Beamten die Lage nicht, sondern eskalierten sie. Sie griffen Mouhamed Dramé mit Pfefferspray und Tasern an und erschossen ihn schlussendlich mit einer Maschinenpistole.

Mouhamed Dramé war nicht das einzige Todesopfer von Polizeigewalt in jener ersten Augustwoche 2022: In Frankfurt am Main töteten am 2. August Beamte eines Sondereinsatzkommandos Amin F. aus Somalia mit einem Kopfschuss. Zuvor soll er zwei Sexarbeiterinnen in einem Hotelzimmer mit einem Messer bedroht haben. Diese hatten sich allerdings bereits der Situation entzogen, bevor das SEK anrückte. Als Amin F. erschossen wurde, stellte er keine Bedrohung für Dritte mehr dar. Am 3. August erschoss die Kölner Polizei den aus Russland stammenden Straßenmusiker Jozef Berditchevski. Die Beamten waren angerückt, um ihn aus seiner Wohnung im Stadtteil Ostheim zu räumen. Am 7. August starb ein Mann, dessen Name nicht öffentlich bekannt ist, im nordrhein-westfälischen Oer-Erkenschwick infolge eines Polizeieinsatzes. Der 39jährige soll zuvor in seiner Wohnung »randaliert« haben. Die Polizei hat nach eigener Darstellung Pfefferspray gegen ihn eingesetzt und ihn gefesselt. Dann soll er »plötzlich« das Bewusstsein verloren haben. Später starb er im Krankenhaus.

Ungleiche Aufmerksamkeit

Vier Fälle tödlicher Polizeigewalt in einer Woche – doch lediglich im Fall von Mouhamed Dramé kam es zu einem Gerichtsverfahren. Auch die öffentliche Wahrnehmung dieser vier Fälle unterscheidet sich stark. Über Mouhamed Dramé wurde und wird wiederholt in überregionalen Medien berichtet, sein Tod löste öffentliche Empörung und eine Diskussion über rassistische Polizeigewalt aus. Bei Jozef Berditchevski und Armin F. fiel die Berichterstattung deutlich geringer aus. Allerdings sind ihre Namen bekannt und es ist möglich, mittels einer einfachen Recherche mehr über ihr Leben und ihre Todesumstände zu erfahren. Von der vierten Person – dem Todesfall am 7. August 2022 in Oer-Erkenschwick – ist bis heute nichts Näheres bekannt. Dieser Todesfall blieb unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle und ist mittlerweile weitgehend in Vergessenheit geraten.

Es gibt mehrere Gründe dafür, dass der Fall Mouhamed Dramé so viel mehr Aufmerksamkeit erregte als die anderen drei Fälle. Die Umstände, unter denen er erschossen wurde, sind besonders drastisch. Er war »fast noch ein Kind«, wie ein Nachbar der Jugendhilfeeinrichtung in Dortmund in der Taz zitiert wird.¹ Er war ohne seine Eltern nach Europa geflüchtet. Vor seinem Tod befand Mouhamed Dramé sich in einer akuten psychischen Krise. Er stellte allenfalls eine Gefahr für sich selbst, nicht aber für andere dar. Der tödliche Polizeieinsatz gegen ihn erscheint vor diesem Hintergrund besonders empörend – im Unterschied zu weniger eindeutigen Fällen, in denen Getötete etwa Gewalt gegen Dritte ausgeübt oder sich mit einer Waffe gegen die Polizei gewehrt haben. Auch dass sich schnell die Initiative »Solidaritätskreis Justice 4 Mouhamed« gebildet hat, die regelmäßig mit Kundgebungen und Veranstaltungen auf den tödlichen Polizeieinsatz aufmerksam macht, hat dazu beigetragen, dass dieser Fall im öffentlichen Gedächtnis geblieben ist. Es steht jedoch zu vermuten, dass sich hinter der unterschiedlichen Verteilung von Aufmerksamkeit noch mehr verbirgt.

Seit 2019 recherchieren wir Todesfälle von rassifizierten Menschen in Gewahrsam und durch Polizeigewalt in der BRD seit 1990. Diese dokumentieren wir auf der Homepage doku.­deathincustody.info. Wir waren als Recherche-AG Teil der Kampagne »Death in Custody – Aufklärung der Todesumstände in Gewahrsam jetzt!«, die von 2019 bis 2021 auf Todesfälle von rassifizierten Menschen durch Polizeigewalt und im Knastsystem aufmerksam gemacht hat. Nach dem Ende der Kampagne setzten wir die Recherchearbeit fort.

Auch in unserer Dokumentation spiegelt sich das skizzierte Aufmerksamkeitsgefälle wider: Der Artikel über Mouhamed Dramé ist einer der ausführlichsten und wird regelmäßig aktualisiert. Amin F. und Jozef Berditchevski haben jeweils eigene – etwas kürzere – Einträge. Den vierten Todesfall haben wir nicht erfasst, weil die getötete Person nach unseren bisherigen Erkenntnissen nicht von Rassismus betroffen war. Auch wir beteiligen uns also an diesem Unsichtbarmachen, auch in unserer Dokumentation verschwindet der vierte Tote. Warum?

Dies wollen wir im Folgenden selbstkritisch analysieren. Wir argumentieren, dass es ursprünglich gute Gründe für die Entscheidung gab, Rassismus im Aktivismus gegen Polizeigewalt und Knastsystem in den Mittelpunkt zu stellen, dass es aber heute angebracht ist, diesen Fokus zu überdenken. Die einzige Person in der Kampagne und Recherche-AG mit Betroffenheitsperspektive, deren nächster Angehöriger in deutschem Gewahrsam getötet wurde, hatte von Beginn an die Engführung auf Todesfälle rassifizierter Menschen kritisiert, fand aber zunächst unzureichend Gehör.

Unsere Vorgehensweise entstand aus der wahrgenommenen Notwendigkeit, der verbreiteten Behauptung zu widersprechen, dass es in der BRD im Unterschied zu Ländern wie den USA keinen institutionellen Rassismus in Polizei und Knastsystem gebe, und diesen Widerspruch mit recherchierten Fakten zu untermauern.

Staatliche Gewalt und Rassismus

Anders als in den USA oder Großbritannien wird in der BRD nicht statistisch erfasst, zu welchem Anteil von der Polizei getötete Menschen rassifiziert sind. Mehr noch: Es wird überhaupt nicht behördlich festgehalten, wie viele Menschen in deutschem Gewahrsam sterben. Es lässt sich also nicht statistisch belegen, in welchem Ausmaß unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in Deutschland von tödlicher Staatsgewalt betroffen sind. Dennoch ist davon auszugehen, dass Polizeischikanen und staatliche Gewalt sich auch hierzulande überproportional gegen migrantische und rassifizierte Personen richten. Dies ergibt sich schon aus den Aufgaben der Polizei. Dazu gehört, nach Personen ohne legalen Aufenthaltsstatus zu fahnden, was zur Folge hat, dass Beamte überdurchschnittlich häufig Menschen kontrollieren, die ihnen aufgrund äußerer Merkmale als »nicht deutsch« erscheinen. Zudem gibt es mit der Abschiebehaft eine Inhaftierungsform, in der nur Menschen ohne deutschen Pass festgehalten werden. Diese Überrepräsentation spiegelt sich auch in den zu Beginn geschilderten Todesfällen wider: Drei der vier getöteten Personen waren Migranten, davon waren zwei schwarz – was nicht ihrem statistischen Anteil in der Gesamtbevölkerung entspricht.

Das Fehlen offizieller Daten zu rassistischer Polizeigewalt und Todesfällen im Gefängnis war ein wesentlicher Ausgangspunkt unsere Recherche. Eine vergleichende Recherche zu allen Todesfällen im Zusammenhang mit Polizeigewalt und Gewahrsam in der BRD hätte die Kapazitäten unserer ehrenamtlichen Tätigkeit bei weitem gesprengt. Unter anderem deshalb entschieden wir, uns auf die Dokumentation von Todesfällen rassifizierter Personen zu beschränken. So ist es zwar nicht möglich, unterschiedliche Betroffenheiten zahlenmäßig abzubilden. Die Recherche ist aber geeignet zu illustrieren, wie kontinuierlich auch in der BRD rassifizierte Menschen durch staatliche Gewalt ums Leben kommen. Mit dieser Form der Dokumentationsarbeit knüpften wir an Strategien anderer antirassistischer Gruppen an. Zum Beispiel hatte die Antirassistische Initiative aus Berlin seit den frühen 1990er Jahren die tödlichen Folgen der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik dokumentiert, das Londoner Institute of Race Relations untersucht seit mehreren Jahrzehnten rassistische Staatsgewalt in Großbritannien. Ziel solcher Dokumentationen ist es, dem staatlichen Narrativ der Kriminalisierung die Perspektive der Betroffenen und ihrer Angehörigen entgegenzustellen. Sie ermöglichen es ferner, Muster zu erkennen und zu analysieren, unter welchen Umständen rassifizierte Menschen typischerweise durch staatliche Institutionen getötet werden.

Diese Art der Arbeit erscheint uns weiterhin sinnvoll und gewinnbringend. Allerdings kamen im Laufe der Zeit vermehrt Zweifel an der Entscheidung auf, Todesfälle von Personen, die nicht von Rassismus betroffen sind, aus der Dokumentation auszuschließen.
Gemeinsamkeiten von Getöteten

Das war in erster Linie eine Folge praktischer Erfahrungen bei der Recherche. Aufgrund der wachsenden Sichtbarkeit der »Death in Custody«-Kampagne kommt es immer häufiger vor, dass Aktivisten oder Journalistinnen, mitunter auch Angehörige, Todesfälle an uns herantragen, damit wir diese in unsere Dokumentation aufnehmen. Anfangs ist in solchen Situationen meist nur bekannt, dass eine Person durch einen Polizeieinsatz getötet wurde oder im Gefängnis ums Leben kam. Wir versuchen dann, Einzelheiten herauszufinden und zu klären, ob die getötete Person rassifiziert war. Teilweise ergibt sich dies aus der weiteren Berichterstattung, manchmal erfahren wir davon, weil Angehörige an die Öffentlichkeit gehen. Mitunter lässt sich die Frage nicht beantworten, oder es stellt sich heraus, dass die getötete Person nicht unter unsere Rassismusdefinition fällt.² Wenn es keine gesicherten Hinweise auf Rassismus gibt, dokumentieren wir die Todesfälle nicht.

Dieses selektive Vorgehen erscheint uns zunehmend fragwürdig. Das liegt insbesondere daran, dass wir immer mehr Gemeinsamkeiten zwischen den Getöteten, deren Geschichten wir dokumentieren, und jenen, bei denen wir das nicht tun, beobachten.

So finden sich beispielsweise folgende Fälle in unserer Dokumentation:

– Oury Jalloh: Der 36jährige Geflüchtete aus Sierra-Leone wurde 2005 im Polizeirevier Dessau zuerst von Polizisten totgeschlagen und dann zur Vertuschung in einer Zelle des Reviers verbrannt.

– Christy Schwundeck: Die 40jährige Nigerianerin wurde 2011 in Frankfurt am Main von der Polizei erschossen, als sie im Jobcenter ihr zustehende Leistungen einforderte.

– Matiullah Jabarkhil: Der 19jährige Geflüchtete aus Afghanistan wurde 2018 in Fulda von der Polizei erschossen, nachdem er die Scheibe einer Bäckerei eingeworfen haben soll; zuvor hatte er dort nach Brot gefragt.

– Ferhat Mayouf: Der 36jährige Algerier kam 2020 während eines Zellenbrandes in der Berliner JVA Moabit ums Leben. Dort saß er wegen Diebstahls in Untersuchungshaft. Er hatte minutenlang um Hilfe gerufen, anwesende Wärter hatten seine Zellentür jedoch nicht geöffnet.

– Vitali Novacov: Der 45jährige Arbeiter aus Bulgarien wurde 2022 bei Königs Wusterhausen in Brandenburg von der Polizei mit Hilfe von Anwohnern erstickt; er soll dort zuvor auf einem Grundstück randaliert haben.

Die folgenden Todesfälle haben wir hingegen nicht erfasst:

– Mario Bichtemann, obdachlos, kam 2002 im selben Polizeirevier Dessau ums Leben, in dem auch Oury Jalloh starb; als Todesursache wurde ein Schädelbasisbruch diagnostiziert.

– Maria B. wurde 2020 im Alter von 33 Jahren in einem psychischen Ausnahmezustand in Berlin in ihrer Wohnung von der Polizei erschossen.

– Ein 36jähriger, dessen Namen unbekannt ist, wurde im September 2022 bei einer Durchsuchung seiner Wohnung in Leipzig von der Polizei erschossen, nachdem er eines Ladendiebstahls in einem Supermarkt verdächtigt worden war.

– Danny Oswald, der suchtkrank war, wurde im Juli 2023 im Alter von 39 Jahren in Berlin-Friedrichshain in einem psychischen Ausnahmezustand gewaltsam von der Polizei fixiert. Er starb noch am selben Tag im Krankenhaus an den Folgen des Polizeieinsatzes.
Eine Klassenfrage

Die beispielhafte Auflistung zeigt: Jene Menschen, die von der Polizei getötet werden oder in Gewahrsam ihr Leben verlieren, sind in aller Regel von Armut betroffen. Sie bestreiten ihren Lebensunterhalt mit Hilfe prekärer Jobs, durch Kleinkriminalität, mit Hilfe von Sozialleistungen oder indem sie illegalisierten Tätigkeiten nachgehen. Sie sind häufig in psychischen Krisen oder suchtkrank. Viele werden über das Aufenthaltsrecht ausgegrenzt, müssen in Lagern leben oder sind obdachlos. Ihnen wird der Zugang zu grundlegenden Gütern und grundlegender Versorgung verwehrt.

Auch bei den vier Todesfällen vom August 2022 zeigt sich diese Gemeinsamkeit: Zwangsräumung eines Straßenmusikers, Kriminalität im Rotlichtmilieu, verstörendes Verhalten in Folge psychischer Krisen. Menschen können aus unterschiedlichen Gründen in solche Lagen geraten. Offensichtlich sind Rassismus, Migration, Flucht und die damit verbundenen Ausschlüsse wichtige, aber eben nicht die einzigen Faktoren. Die überproportionale Betroffenheit von staatlicher Gewalt macht diese mit anderen Worten nicht zu einem alleinigen Problem rassifizierter Menschen.

Ergibt es dann überhaupt Sinn, entlang der Kategorie »Rassifizierung« eine Trennlinie einzuführen? Führt dies dazu, dass wir die Funktionsweise von tödlicher staatlicher Gewalt besser verstehen oder macht es im Gegenteil entscheidende Faktoren unsichtbar?

Aus heutiger Sicht erscheint uns die Trennung künstlich und wenig hilfreich. Der starke oder gar ausschließliche Fokus auf Rassismus trägt dazu bei, Gemeinsamkeiten zwischen rassifizierten und nicht rassifizierten Opfern von Polizeigewalt zu verdecken und erschwert eine breite Solidarisierung. Das drückt sich zum Beispiel darin aus, dass es für Opfer von Polizeigewalt, die nicht von Rassismus betroffen sind, kaum Anlaufstellen bzw. Unterstützungsangebote gibt, während in der BRD in den vergangenen Jahren zumindest ein kleines Netzwerk von Akteuren und Beratungsstellen entstanden ist, die sich »zuständig« fühlen, wenn eine rassifizierte Person von der Polizei getötet wurde. Diese werden vielfach mit kleineren Kundgebungen, Pressemitteilungen oder Veranstaltungen aktiv, um Öffentlichkeit herzustellen und Aufklärung zu verlangen. Das soll nicht heißen, dass es etwa zu viel Aufmerksamkeit für rassifizierte Opfer von Polizeigewalt gäbe. Im Gegenteil gilt weiterhin, dass in­stitutioneller Rassismus von Behörden und Politik in der Regel kategorisch abgestritten und tödliche Polizeigewalt – unabhängig von der Identität der Betroffenen – von offizieller Seite verharmlost und vertuscht wird. Zugleich ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Namen nicht rassifizierter Opfer von Polizeigewalt in der breiten Öffentlichkeit noch häufiger unbekannt bleiben (siehe Todesfall in Oer-Erkenschwick) und dass ihre Angehörigen und Freundinnen noch geringere Aussichten auf Unterstützung durch zivilgesellschaftliche Initiativen und Aktivistinnen haben.

Das hat viel mit dem antirassistischen Fokus zu tun, der in den vergangenen Jahren bei Protesten und Kampagnen gegen Polizeigewalt dominierte: im Aktivismus gegen Racial Profiling, bei der Kritik an rassistischen Ermittlungen der Polizei im Kontext der Aufarbeitung des NSU-Komplexes, da diese immer wieder die Angehörigen der Ermordeten verdächtigt und kriminalisiert hatte, oder im Rahmen der weltweiten »Black Lives Matter«-Proteste nach der Ermordung von George Floyd, die im Frühsommer 2020 auch in der BRD Zehntausende auf die Straße brachten. In der Folge ist das Bewusstsein für Polizeigewalt gestiegen; zugleich hat sich aber die Vorstellung durchgesetzt, dass in erster Linie rassifizierte Personen durch die Polizei getötet würden und dass dafür Rassismus bzw. rassistische Zuschreibungen ausschlaggebend seien.

Dieses Bild ist folgenreich: Es entscheidet mit darüber, über welche Todesfälle überregional berichtet wird, welche Namen erinnert bzw. überhaupt öffentlich bekannt werden, welche Todesfälle Anteilnahme auslösen und welche achselzuckend hingenommen werden. Indem nur bestimmte Geschichten dokumentiert und erinnert werden, wird das einseitige Bild davon, was Polizeigewalt ausmacht und wen sie potentiell tötet, noch verstärkt.

Kein Diskriminierungsproblem

Rassismuszentrierte Analysen von Polizeigewalt laufen darüber hinaus Gefahr, Polizeigewalt fälschlich als Diskriminierungsproblem zu deuten. Wenn man davon ausgeht, dass der Grund für übermäßige Polizeigewalt in rassistischen Zuschreibungen liegt, liegt der Schluss nahe, dass man diesem Problem mit mehr »Selbstreflexion«, Antirassismustrainings oder einer diverseren Zusammensetzung der Polizei begegnen könne. Genau in diese Richtung gehen Maßnahmen, die von offizieller Seite ergriffen werden, um auf Proteste gegen Polizeigewalt zu reagieren. Auf die Spitze treibt das ein Leitfaden für »diskriminierungssensible Sprache« bei der Berliner Polizei. Diese kann zwar unverändert marginalisierte Menschen schikanieren, soll aber zugleich den eigenen Sprachgebrauch reflektieren und Selbstbezeichnungen Betroffener verwenden.

Diese symbolischen Maßnahmen lenken zugleich davon ab, dass es in erster Linie eine Klassenfrage ist, wer in den Fokus der Polizei gerät. Im Neoliberalismus werden immer größere Teile der Bevölkerung im Sinne kapitalistischer Verwertung überflüssig gemacht und Verarmung und Verelendung ausgesetzt. Gleichzeitig wird der Sozialstaat – als »weiches« Kontroll- und Disziplinierungsmittel – zurückgebaut. Um die »Überflüssigen« zu disziplinieren, benötigen die Staaten daher eine immer härtere Law-and-Order-Politik.³ Geflüchtete, Obdachlose, Drogennutzerinnen, Arbeitslose und Jugendliche aus der prekären Arbeiterklasse werden verstärkt von der Polizei überwacht und kriminalisiert. In größeren Städten geht diese Form der Polizeiarbeit vielfach mit Verdrängungsprozessen einher. Um Viertel aufzuwerten, erhält die Polizei den Auftrag, als »störend« wahrgenommene Gruppen von dort zu vertreiben. Die polizeiliche Disziplinierung der »Überflüssigen« – also derjenigen Menschen, die sich in der kapitalistischen Logik nicht verwerten lassen – hat außerdem eine internationale Dimension: Sie nimmt auch die Form von »Antimigrationsmaßnahmen« an, drückt sich also in der Aufrüstung der Grenzen, der Einrichtung geschlossener Lager, der polizeilichen Zusammenarbeit mit Drittstaaten zur Grenzsicherung oder der Durchführung von Abschiebungen aus, um unerwünschte Geflüchtete aus Europa fernzuhalten.

Potentiell tödliche Polizeigewalt richtet sich somit in erster Linie gegen die prekärsten Teile der globalen Arbeiterklasse. Dass die Betroffenen überdurchschnittlich häufig rassifiziert sind, liegt nicht an unveränderlichen rassistischen Zuschreibungen, sondern ist Ausdruck der bestehenden internationalen Arbeitsteilung. Neben Menschen aus dem globalen Süden oder Arbeitsmigrantinnen aus Süd- oder Osteuropa werden auch Menschen aus der nichtmigrantischen armen, lokalen Bevölkerung in Gewahrsam getötet. Letzteren haben wir bisher unsere Anteilnahme verweigert.

Verschwinden der Kapitalismuskritik

Den Fokus auf Rassismus und die untergeordnete Rolle von Eigentums- und Klassenverhältnissen in der aktuellen Auseinandersetzung mit Polizeigewalt, die auch in unserer Recherche zu erkennen sind, interpretieren wir auch als Effekt des politischen Kontexts, in dem wir und viele unserer Genossinnen aktiv geworden sind. Dieser ist gekennzeichnet durch das »allmähliche Verschwinden des Kapitalismus aus dem linken und linksradikalen Antirassismus« seit den 1980er Jahren,⁴ die Zersplitterung linker Organisationen zu Ein-Punkt-Bewegungen, die sich mit »Teilproblemen« befassen, ohne den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang zu sehen und die fortschreitende Bedeutungslosigkeit von sich als sozialistisch oder kommunistisch verstehenden Gruppen und Organisationen infolge des globalen Niedergangs staatssozialistischer Versuche. Infolgedessen wurde der Kampf gegen Polizeigewalt in den vergangenen Jahrzehnten entweder nur als Kampf gegen politische Repression in den eigenen Reihen oder als Kampf gegen rassistische Polizeigewalt geführt.⁵

In Zukunft müsste es hingegen darum gehen, das Phänomen (tödlicher) Polizei- und Knastgewalt über den beschränkten Aktionsradius des »Antira-« oder »Autonomenspektrums« hinaus anzugehen. Nicht nur in dem Sinne, dass verschiedene Betroffenengruppen zusammenkommen und gemeinsam kämpfen, sondern auch mit dem Ziel, den Zusammenhang zwischen kapitalistischer Produktionsweise, der systematischen Produktion einer »Überschussbevölkerung« und deren polizeilicher Kontrolle deutlich zu machen. Aktuell beobachten wir sowohl in der BRD als auch international ein wachsendes Interesse daran, sich wieder eine materialistische Analyse von Rassismus (und Polizeigewalt) zu erarbeiten.⁶ An diese Diskussionen knüpfen wir an.

In Reaktion auf sich zuspitzende Krisen wird ein verschärfter Klassenkampf von oben betrieben. Massenhafte Verarmung und Verelendung, Migrationsbewegungen aus der zerstörten Peripherie in die kapitalistischen Zentren sind die Folge. Es ist davon auszugehen, dass die Repressionsapparate entsprechend aufrüsten und zunehmend mehr Menschen wegen Armutsfolgen von der Polizei angegriffen werden oder in den Gefängnissen landen. Nicht alle überleben den Gewahrsam. Um dem etwas entgegenzusetzen, wird es immer dringlicher, den Kampf gegen Polizeigewalt stärker mit einer breiten, antikapitalistischen Politik zu verbinden. Diesen Text verstehen wir als Einladung an andere Gruppen, sich mit unseren Beobachtungen auseinanderzusetzen, darüber ins Gespräch zu kommen und sich mit uns gemeinsam den »Blick aufs große Ganze« wieder zu erarbeiten.

  • Lotta Maier ist Teil der Recherche AG der ­Kampagne »Death in Custody«. Kontakt: death-in-custody@riseup.net Informationen zur Kampagne »Death in Custody« finden sich unter: https://deathincustody.noblogs.org/

Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/469189.t%C3%B6dliche-polizeigewalt-selektive-solidarit%C3%A4t.html

torsten_torsten@opensocial.at

Ich war am Montag bei der tollen Demo gegen die #noafd in Leipzig. Die Sprechchöre und Gesänge waren ganz wunderbar. Und dann die vielen Handy-Taschenlampen auf dem Simon-Platz, die uns gezeigt haben, wie viele wir waren. (10.000?)

Nachtaufnahme mit tausenden Menschen, die ihre Handys mit eingeschalteten Taschenlampen nach oben halten. Foto: "Omas gegen Rechts"

Aber ganz große Sorge macht mir die visionäre Lehre der Redebeiträge. So wertvoll #Solidarität mit Geflüchteten ist, so verdammenswert die deutsche #Asylpolitik seit Jahr(-zehnt)en und die #Polizeigewalt ist, so wichtig das gemeinsame Zusammenstehen gegen #Nazis ist, so wenig reichen diese Themen aus, um viele Menschen länger als für ein paar Wochen gegen die AfD zu mobilisieren.

Die AfD hat eine Vision. Die Linke einen Psychiater.*

Und während ich die die mit Psychotherapie verbundenen Einblicke sehr schätze, werden sie nicht reichen, um ein gutes Leben für Alle zu erreichen. Und vielleicht werden sie auch nicht reichen, um die AfD aufzuhalten.

*) Anspielung auf das Helmut Schmidt zugeschriebene Bonmot "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen", über dessen Ursprung es einen kleinen Beitrag im Spiegel gibt.

#le1501 #VisionZero #Politik #Linke #Visionen #AfD #Psychotherapie #LeipzignimmtPlatz

beautifuldowntownmannheim@squeet.me

Wenn dir als Polizist das Gutachten der Rechtsmedizin nicht gefällt, was macht man da?

Richtig - Gegengutachten schreiben lassen, dass besser zur eigenen Strategie paßt 🎉

Das Gutachten der Rechtsmedizin besagt:

"Demnach soll der Hauptangeklagte Polizist Ante P. zuvor gegen den Kopf geschlagen und ihn an der Nase verletzt haben, die blutete. Weil der 47-Jährige minutenlang auf dem Bauch lag, soll das Blut in seine Atemwege gelangt sein. Laut dem Gutachten erstickte Ante P., weil ihn erstens niemand auf die Seite drehte und er zweitens das Blut nicht abhusten konnte."

Das Gegengutachten plädiert auf Herzversagen und auf Herzleiden, die der verstorbene vorher schon gehabt habe.

Schaut euch das Video an und entscheidet selbst, wodran er wohl gestorben ist.

#polizeigewalt #Mannheim #Ante-P

https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-prozessbeginn-gegen-mannheimer-polizisten-gegengutachten-zur-todesursache-vorgestellt-_arid,2165152.html

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #rassismus #leitkultur #polizeigewalt #anti-antisemitismus #gentrifizierung #berlin

Das neue Jahr beginnt mit rassistischer Staatsgewalt

Es heißt, Silvester sei in Berlin friedlich verlaufen. Doch 390 Festnahmen und Polizeikontrollen sind Beispiele für rassistische Staatsgewalt

Es herrscht Ordnung in Berlin! Als am 1. Januar die Sonne aufging, titelte jede bürgerliche Zeitung in irgendeiner Variante diese Schlagzeile. Politiker*innen verkündeten den Triumph über gewalttätige Horden von »Ausländer*innen« – die Feuerwehr sprach von einem »normalen Silvester«.

Ein normales Neujahrsfest verläuft jedoch nicht friedlich. Um 7 Uhr morgens meldet das Unfallkrankenhaus in Marzahn, dass 27 Menschen mit schweren Verletzungen behandelt wurden. Finger waren abgetrennt, Augen zerstört und ganze Hände abgerissen worden.

Das ist das ewig Merkwürdige am Silvester in Deutschland. 364 Tage im Jahr regelt der Staat unser Leben bis ins kleinste Detail. Am 31. Dezember entschädigt er uns für diese Bevormundung, indem er die Verteilung von Kilotonnen an Sprengstoff erlaubt.

In Texas, wo ich herkomme, kann man in ein Geschäft gehen und Langwaffen wie die AR-15 kaufen, ohne Fragen gestellt zu bekommen. Aber die Behörden lassen einen keinen Sprengstoff kaufen, geschweige denn, ihn in Wohngebieten zünden – das ist zu gefährlich!

Vor einem Jahr diskutierte ganz Deutschland über die Silvesterkrawalle in den Berliner Migrant*innenvierteln, insbesondere in Neukölln. Angeblich habe es eine »neue Dimension der Gewalt« gegeben. In der darauffolgenden Woche musste die Statistik jedoch nach unten korrigiert werden. Die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik räumte ein, dass es im Jahr 2022 nicht mehr Angriffe auf die Polizei gegeben habe als in den Jahren vor der Pandemie: »Ähnlich viele Angriffe gab es auch schon früher.«

Doch der rechte Diskurs über »Integrationsverweigerer« verselbstständigte sich und katapultierte den nonchalanten Demagogen Kai Wegner ins Rote Rathaus von Berlin. Diese erzeugte rassistische Moralpanik hatte ihren Zweck erfüllt und hallt noch immer nach. In diesem Jahr berichtete die Berliner Polizei über Straftaten im Zusammenhang mit Feuerwerkskörpern in Neukölln – und 7 der 9 Vorfälle, die sie auflistete, waren in anderen Bezirken.

Die Ironie besteht darin, dass sich Einwanderer, die Feuerwerkskörper zünden, perfekt in die bizarr destruktive deutsche Leitkultur integrieren.

Vergangenes Jahr brannten drei Wohnungen in Lichtenberg völlig aus, nachdem Feuerwerkskörper auf einem Balkon gelandet waren. Davon haben Sie aber wahrscheinlich nichts gehört, weil es nicht in das rassistische Narrativ passte. Das Feuer war nur ein harmloser deutscher Spaß – während böllernde Menschen in Neukölln als gefährlicher Mob gelten.

Wenn Politiker*innen Gewalt verurteilen, beziehen sie sich nur auf ganz bestimmte Formen der Gewalt. In einer Schlagzeile könnte stehen, dass es in diesem Jahr »weniger Gewalt«, aber »mehr Festnahmen« gab. 390 Festnahmen bedeuten, dass 390 Menschen angegriffen wurden, wobei viele von schwer bewaffneten, schwarz gekleideten Beamten zu Boden geworfen und verletzt wurden, von denen viele eine kaum verhohlene rechte Gesinnung haben.

Am Neujahrstag waren 4500 Polizist*innen auf Berlins Straßen unterwegs. Teile der Sonnenallee in Neukölln waren mit Kontrollpunkten abgesperrt, Anwohner*innen wurden angehalten und gefilzt, bevor sie ihre Wohnungen erreichen konnten. Durch irgendeine Alchemie der bürgerlichen Ideologie zählt diese Gewaltorgie irgendwie nicht.

Im Jahr 2023 beschloss Neukölln drastische Haushaltskürzungen bei Schulen und Jugendzentren. An Geld für die Polizei, die die nichtdeutsche Bevölkerung terrorisiert, mangelt es nie. Die Neuköllner*innen sind allerlei systematischer Gewalt ausgesetzt – etwa wenn arme Familien bei Zwangräumungen, die durch Polizist*innen begleitet werden, aus ihren Wohnungen vertrieben werden.

Für die bürgerlichen Politiker*innen ist »Ordnung«, wenn ihre Gewalt gegen die Armen unwidersprochen bleibt – und »Gewalt« ist, wenn die Armen ihre Unterdrückung nicht mehr in geordneter Weise hinnehmen.

Silvester in Berlin gab es jede Menge Gewalt – aber vor allem durch die Polizei. In diesem Sinne: Ja, es herrschte Ordnung in Berlin an Silvester. Aber wie Rosa Luxemburg die herrschende Klasse zu erinnern pflegte: »Eure ›Ordnung‹ ist auf Sand gebaut!«
- von Nathaniel Flakin
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1178930.silvester-in-berlin-das-neue-jahr-beginnt-mit-rassistischer-staatsgewalt.html

MehR:

Böllerverbote in Berlin: Eingebettet in rassistische Diskurse
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1178893.silvesterbilanz-boellerverbote-in-berlin-eingebettet-in-rassistische-diskurse.html

Berlin: Vom Schüren der Angst vor migrantischen Personen profitiert die Polizei. Ein Gespräch mit Ferat Koçak
https://www.jungewelt.de/artikel/466414.silvester-in-neuk%C3%B6lln-%C3%BCber-wessen-sicherheit-reden-wir-hier.html

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