#mord

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Für das Leben, gegen den Tod! Kosmopolitische #Linke statt antizionistische #Querfront
14. November 2023 achtermai

  1. Von der bedingungslosen Zerstörungswut der #Hamas zur weltweiten Pogromstimmung

Am 7. Oktober griff die Hamas, unterstützt durch den #Iran,# Israel an. Die Islamist_innen gingen mit unvorstellbarer Brutalität vor. Neben Soldat_innen wurden v.a. Zivilist_innen auf sadistische Weise verletzt, gefoltert und vergewaltigt. Darunter befanden sich Kinder, Ältere, Schwangere, Menschen mit Behinderungen, Raver_innen auf einem Festival. Mehr als 1.4000 Menschen wurden ermordet, zudem mehr als 240 Menschen als Geiseln genommen und in den Gaza-Streifen verschleppt. Infolge der Bedrohungslage und dem weiter anhaltenden Beschuss mit zahllosen Raketen wurden 200.000 Israelis zu Binnenflüchtlingen.

Seit der #Shoah wurden nicht mehr so viele Jüd_innen an einem Tag umgebracht. In Israel wird der Angriff auch als israelisches 9/11 bezeichnet. Die Autorin Elfriede Jelinek sieht die „bedingungslose Zerstörungswut einer Terrorbande“1 am Werk. Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, erkennt eine neue Qualität in dem Angriff: „Erstmalig seit dem #Holocaust sind #Juden – und dann auch noch in ihrem eigenen Staat, in einer so großen Zahl – ermordet worden, einfach nur, weil sie Juden sind. Diese barbarische Tat hat sich gegen jüdisches Leben gerichtet, nicht gegen das #Existenzrecht des jüdischen Staates Israel … Es sind Babys ermordet worden, einfach nur, weil sie als jüdische Babys geboren wurden.“2 Der Journalist Amir Tibbon (Haaretz) überlebte selbst mit viel Glück das Massaker. Kugeln der Hamas schlugen über lange Stunden unmittelbar neben ihm und seinem einjährigen Kind ein. Er benennt als Konsequenz für Israel: „Zuerst müssen wir #überleben. Das können wir nicht, wenn wir tot sind.“3

In der Folge des 7.10. kam es zu zahllosen antisemitischen Angriffen in vielen Ländern, so auch in Deutschland. Synagogen wurden mit Molotow-Cocktails angegriffen, das Jüdische Krankenhaus Berlin mit Steinen, Wohnungen von Juden wurden markiert. Viele Jüd_innen empfinden große Angst. Bini Guttmann vom Jüdischen Weltkongress beschreibt diese Perspektive so: „Für uns als Juden:Jüdinnen aus der #Diaspora war und ist Israel ein #Schutzraum. Ein sicherer Hafen vor eskalierendem #Antisemitismus in unseren Heimatländern. Und genau dort ist nun ein #Pogrom verübt worden. Das hat in vielen Juden:Jüdinnen ein altes Trauma neu aufgerissen. Das #Trauma, #Mord und #Verfolgung ungeschützt ausgesetzt zu sein. … Weltweit herrscht #Pogromstimmung.… Wenn es ein jüdisches Sicherheitsgefühl gab, dann ist es verschwunden“4. Auch Shoah-Überlebende wurden retraumatisiert5. Viele Jüd_innen verstecken noch mehr als vorher ihr #Judentum, tragen keine #Kippa oder #Davidsterne, sprechen kein #Hebräisch mehr in der Öffentlichkeit. „Wir fühlen uns als wandelnde Zielscheiben“, formulierte Anna Segal von Kahal Adass Jisroel nach dem #Brandanschlag auf ihre Gemeinde6.

  1. Palästina-Solidarität zwischen Nationalismus, Ignoranz und Judenhass

Unterdessen demonstrieren wiederholt große Massen, ausgerüstet mit palästinensischen Flaggen. Doch wann wird diese sogenannten #Palästina - #Solidarität aktiv? Nicht etwa 2019, als das #Gaza Youth Movement monatelang Jugendliche gegen die Hamas mobilisierte, bis diese #Bewegung brutal niedergeschlagen wurde. Auch nicht etwa wenn, wie erst im August 2023, Tausende in Gaza gegen #Stromknappheit, #Armut und den Sturz des Hamas-Regimes auf die Straße gehen. Nicht wenn die Hamas #Gewerkschafter_innen bedroht oder #Queers foltert. Nicht für die Öffnung der Grenze Gaza/ #Ägypten demonstriert die „Palästina-Solidarität“. Nicht für die Aufnahme der #Geflüchteten durch die umliegenden Länder, und nicht wenn die #Zivilbevölkerung durch die Hamas in #Geiselhaft genommen wird. Und das obwohl die Hamas Flüchtende in den Süden des Gaza-Streifens beschießt und explizit klarstellt: die Tunnel sind nur für die Terrorist_innen. Die „Palästina-Solidarität“ regt sich auch nicht, wenn fehlgeleitete Raketen der Hamas oder des Islamischen #Jihad wieder und wieder zahlreiche Palästinenser_innen töten. Die „Palästina-Solidarität“ demonstriert einzig und allein dann, wenn es gegen Israel geht.

In welchen Ländern wird nun die sogenannte Palästina-Solidaritätsbewegung aktiv? Die größten Demos für Palästina finden in den letzten Wochen weniger in den arabischen Staaten statt, sondern vor Allem in #Europa, etwa in #London mit 300.000 Teilnehmenden. Auch in #Berlin gingen bereits mehrfach Zehntausende auf die Straße, organisiert entweder von #Linken, palästina-nationalistischen oder islamistischen Gruppen. In der Praxis findet auf den Demos meist eine Vermengung der verschiedenen Spektren statt, ohne jede wirksame #Distanzierung. Öffentlich viel beachtet, in absoluten Zahlen eher marginal ist die Beteiligung jüdischer Aktivist_innen. In Reden und auf Schildern wird immer wieder die #Intifada gefeiert. Und die Shoah relativiert, indem von einem „Holocaust in Gaza“ die Rede ist oder Israel eines #Genozids angeklagt wird. Am Rande der Demos, in Angriffen auf Journalist_innen und Gegendemonstrant_innen, und natürlich auf SocialMedia, sind nicht selten auch Parolen über das #Töten von Jüd_innen, antisemitische Beschimpfungen oder positive Bezüge auf #Hitler zu beobachten. Dieser primäre #Judenhass ist es letzten Endes auch, der den unbewussten bzw. unausgesprochenen Treibstoff für die Palästina-Solidarität liefert. Warum sonst lösen andere Kriege in der Region, wie etwa im #Jemen, oder auch die aktuell drohende Abschiebung von 1,7 Millionen Afghan_innen aus #Pakistan, keine wahrnehmbaren Demos aus? Und warum sonst locken palästinensische Anliegen, bei denen nicht Israel beschuldigt werden kann, keinen Hund hinter dem Ofen hervor?

Und das, obwohl laut einer Umfrage 70% der Menschen in Gaza nicht von der Hamas regiert werden wollen7. Obwohl palästinensische Menschenrechtsaktivist_innen wie Bassem Eid fordern: „Das palästinensische Volk von Gaza verdient die #Befreiung von der Hamas. Wenn Israel die ungerechte Herrschaft der Terrorbande beendet, wird es meinen Brüdern und Schwestern in Gaza einen großen Gefallen tun. … #Palästinenser wie ich und meine Nachbarn wollen #Frieden; die Hamas will ihn nicht.“8 Eine ähnliche Perspektive von einer palästinensischen #Emanzipation, die zuerst auf die Befreiung von der Hamas abzielt, zeichnet die US-Feministin Seyla Benhabib: „Der 7. Oktober 2023 … muss ein Wendepunkt für den palästinensischen Kampf sein. Das palästinensische Volk muss sich von der Geißel der Hamas befreien. Die Gewalttaten … zeigen, dass die islamische Dschihad-Ideologie, die in der #Pornographie der #Gewalt schwelgt, die Bewegung übernommen hat. … Das palästinensische Volk muss gegen diese zerstörerische #Ideologie ankämpfen, die nun seine Bewegung übernimmt.“9

  1. Linke zwischen #Querfront und #Todessehnsucht

Die gemeinsamen Aufmärsche von Linken, Palästina-Nationalist_innen und Islamist_innen sind also keinesfalls eine emanzipatorische Bewegung. Und eine von der Hamas vorangetriebene „Dekolonialisierung“, die sich im Morden von Babies und friedlichen Tanzenden erschöpft, ist keine #Dekolonialisierung. Eine solche „Dekolonialisierung“ ist im Gegenteil eine zutiefst gewaltförmige islamistische Landnahme. Es ist furchtbar mit anzusehen, wie sich Linke in purem #Menschenhass ergehen und das #Massaker vom 7.10. relativieren oder sogar bewusst abfeiern. Sicher würde kein_e Linke ein Massaker auf dem #Fusion-Festival bejahen. Das humanitäre Tabu, wahllos Zivilist_innen zu ermorden, greift jedoch für einen Teil der Linken nicht mehr, sobald es sich um Juden handelt.

Diese Linken verbessern das Leben der Palästinenser_innen um keinen Deut. Im Übrigen auch nicht das Leben der palästinensischen Migrant_innen in Deutschland. Jene werden skandalöserweise seit Jahrzehnten mit #Arbeitsverboten und aufenthaltsrechtlichen Schikanen belegt und in #Armut gehalten10. Eine massenhafte Kampagne für eine bedingungslose #Einbürgerung, rechtliche und materielle Gleichstellung würde den Betroffenen dieser rassistischen Ausgrenzung sicher mehr helfen als das symbolische Schwenken von #Kuffiyahs in linken Kneipen.

Der linke Pakt mit religiösen Freaks und judenfeindlichen Nationalist_innen ist ein Verrat an der Idee einer besseren Welt. Er ist eine weitere Variante einer Querfront von Linken und Rechten, wie wir sie gerade erst mit der #Querdenker-Bewegung und rund um Sarah Wagenknechts Parteigründung erlebt haben. Angesichts der #Misogynie und des Hasses der Hamas auf Emanzipation, angesichts der massakrierten israelische Kibbutzniks und #Friedensbewegten, angesichts der #Massenhinrichtungen von Linken nach der iranischen #Revolution 1979 ist die linke Kumpanei mit Islamist_innen auch eine Identifikation mit dem Aggressor. Schließlich würde die Hamas, ohne mit der Wimper zu zuckern, ihre Kalashnikows auf all die Leninist_innen, Feminist_innen und Antirassist_innen richten, die in Berlin „from the river to the sea“ grölen. Wir sehen hier eine Art von linker Todessehnsucht, die wir als Effekt der zahlreichen Krisen – Pandemie, Kriege, Klima etc. – der letzten Jahre verstehen. Die anhaltende Multi-Krise verunmöglicht zunehmend auch in den kapitalistischen Metropolen ein gutes Leben. Sie lässt eher ein Ende der Welt als ein Ende des #Kapitalismus vorstellbar erscheinen. Parallel zur allgemeinen Verschlechterung der Lebensbedingungen rücken auch Linke immer mehr von der Feier des Lebens, von #Humanität und #Utopie ab – zugunsten des Feierns patriarchaler und autoritärer Zustände zwischen #Stalinismus, Putin-Nähe und Hamas-Allianzen.

  1. Für eine empathisch-materialistische Linke!

Wir wollen uns gegen solchen Todeskult stellen. Dazu wünschen wir uns eine Verknüpfung von empathischem Zugang zu Betroffenen sowie historisch-materialistischer Kritik. Soll heißen: wir dürfen uns auf einer emotionalen Ebene nicht abhärten gegen das Leiden, müssen den Blick auf das Grauen richten und den Betroffenen zuhören. Auch wenn die verschiedenen Opfergruppen sich im (kriegerischen) Widerspruch gegenüberstehen. Aus der Empathie sollten wir jedoch keine Identifizierung ableiten: Juden sind nicht die per se besseren Menschen, Israel ist nicht „dein Team“ und die IDF keine #Antifa -Sportgruppe! Auch der Blick in traurige Kinderaugen bringt nicht automatisch Erkenntnis. Eine solche Grundhaltung bedeutet auch, historische Erfahrungen ernst zu nehmen. Konkret: die Shoah als den bisher unvergleichlichen, nie dagewesenen Massenmord verstehen, der die Vernichtungskraft des Antisemitismus unmissverständlich offenlegt. Mit all den Folgen für die deutsche Gesellschaft, und natürlich für Jüd_innen weltweit. Heißt aber auch: #Rassismus und Antisemitismus in ihrer gegenseitigen Verwobenheit erkennen. Rassismus funktioniert dabei in der Regel als Ideologie der #Abwertung, des Nach-Unten-Tretens, und Antisemitismus als konformistische #Rebellion gegen „die da Oben“, als Wahn von einer alles kontrollierenden #Weltverschwörung. Diese Symbiose zeigte sich nicht nur im völkischen Vernichtungskrieg des Nationalsozialismus, sondern dauert bis heute fort. Etwa in dem verschwörerischen Raunen vom „Großen Austausch“, wonach eine globale #Elite eine #Massenmigration steuern würde.

In Bezug auf Israel bedeutet eine solche empathisch-materialistische Grundhaltung: die Erfahrung der Shoah ernst nehmen, dass es einer organisierten jüdischen Bewaffnung bedarf. Damit das, was einmal geschehen ist, nämlich der volksgemeinschaftliche Massenmord an Schutzlosen, nicht wieder geschieht. Israel ist dieses Projekt der #Selbstverteidigung gegen den Versuch einer erneuten #Auslöschung. Und Israel ist eben zugleich ein stinknormaler Staat, mit all den negativen Folgen von Herrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung. Ob Israel die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ ist, ob Queers in Tel Aviv einen #SaferSpace haben, ob Minderheiten vorbildlich geschützt werden – oder ob Israel von einer rechten Regierung geführt wird, und der liberal-westliche Konsens erodiert: Antisemit_innen interessiert nicht das tatsächliche Verhalten der Juden. Das hat der 7.10. wieder drastisch gezeigt, wo gerade der auf Dialog orientierte Teil Israels attackiert wurde. Die andauernde Betonung hiesiger Linker, man distanziere sich von der rechten Regierung oder von der Besatzung, ist daher deplatziert. Seinen Status als #Schutzraum vor Antisemitismus behält der Staat nämlich unabhängig von der Regierung. Und ebenjenem Schutzraum sollte linke Solidarität gelten. Ganz ohne Distanzierung an der falschen Stelle.

Eine Position der Äquidistanz einzunehmen zwischen Israel und seinen Feind_innen, wie sie etwa von der Interventionistischen Linken (IL) vertreten wird, macht ebensowenig Sinn. Es ist ein klarer #Doppelstandard, dass Israel immer genau dann, wenn es auf einen Angriff reagiert, kritisiert wird. Solche #Kritik zur Unzeit signalisiert letzten Endes: die Israelis sollten sich in ihr Schicksal fügen und sich brav opfern, wie es eben von Juden verlangt wird. Ebenso Doppelstandard ist es, wenn das Leid der Zivilbevölkerung in #Gaza ohne weitere #Kontextualisierung als eine Folge besonders grausamer israelischer Kriegsführung dargestellt wird. Das Leid der Zivilist_innen ist natürlich tatsächlich vorhanden, es ist massiv und furchtbar. Jedoch würde jeder #Staat in einem solchen Krieg ähnlich vorgehen – oder sogar weit härter. Solange Israel staatlich organisiert ist, wird es leider auch ähnliche Verbrechen begehen wie andere vergleichbare Staaten. Die im IL-Spektrum wie unter christlichen Pazifist_innen verbreitete, scheinbar humanistische Forderung nach einem #Waffenstillstand „beider Seiten“ stärkt daher ein anti-israelisches Ressentiment, weil sie das Agieren der IDF nicht materialistisch einordnet. Die kriegerische #Gewalt des bürgerlichen Staates wird letzten Endes als israelisches Spezifikum wahrgenommen, unbewusst wird damit auch das Motiv des grausamen oder rachsüchtigen Juden angesprochen.

Eine Kritik, die Empathie und Materialismus verbindet, sollte auch von einer universalistischen Position ausgehen, die #Islamismus nicht als kulturelles oder religiöses Phänomen begreift, sondern politisch: als rechte Bewegung zur Krisenlösung im Rahmen des Kapitalismus. Und als wichtige Fraktion einer reaktionären Internationalen, die von #Iran über #Jemen und Hamas und #Syrien bis #Russland reicht. Für diese reaktionäre Front ist Israel als der einzig jüdische Staat weltweit ein Stachel im Fleisch. Neben dem Islamismus sollten wir auch die Ablehnung Israels und die fehlende Empathie für das jüdische Projekt in der deutschen Mehrheitsgesellschaft in den Fokus rücken. Der angeblich pro-israelischen Staatsräson steht nämlich sehr wenig tatsächliche Unterstützung für Israel im Alltag, auf der Straße, in den Betrieben und Nachbarschaften, entgegen. Gerade wenn wir die Willkommenskultur 2015 oder die Ukraine-Solidarität in den ersten Wochen des russischen Angriffs zum Vergleich heranziehen, wo sich viele Deutsche spontan und „von unten“ in selbstorganisierten Basisbewegungen einbrachten. Erst das mehrheitliche Schweigen, Wegschauen und mehr oder weniger offene Bejahen des #Israelhasses vieler #Deutscher macht die links-islamistische Querfront so wirkmächtig. Die deutschlandweit gesehen relativ wenigen Demonstrierenden werden bestärkt und radikalisiert, weil sie auf „klammheimliche Zustimmung“ hoffen können und jenseits polizeilicher #Repression kaum gesellschaftlichen #Widerstand erfahren.

Rechte Menschenfeind_innen, die eine Verschärfung des angeblichen „Kampfes der Kulturen“ forcieren wollen, tragen kein Stück zur #Antisemitismusbekämpfung bei. Sie zeigen auf den „Antisemitismus der Anderen“, um sich selbst zu entlasten – personifiziert in der Figur #Aiwanger, der sich tatsächlich nicht entblödete, Judenhass auf #Geflüchtete zu externalisieren. Die Rechten verstärken sogar die israelische Gefährdungslage, wenn sie fordern, Islamist_innen in die Nachbarländer Israels abzuschieben. Statt einer Anbiederung an solch konservative Positionen, wie sie manche ehemalige Linke schon einmal in den 00er Jahren vollzogen haben, sollten wir Bündnisse mit Teilen der kurdischen und iranischen Linken suchen sowie mit all jenen, die vor Islamist_innen geflohen sind. Hier gibt es ein Verständnis dafür, wieso der Terror der Hamas als verlängertem Arm des Irans eine Bedrohung für jegliche emanzipatorische Bestrebungen ist. Ebenjener Iran, welcher weiterhin ein wichtiger Handelspartner des offiziell ach so israelsolidarischen Deutschlands ist.

In diese Sinne wünschen wir uns eine Linke, die …

Herrschaft bekämpft, aber nicht jede Untat vermeintlich oder tatsächlich Unterdrückter glorifiziert
Staatskritik übt, aber nicht islamistisch-apokalyptischen Ausnahmezustand mit revolutionärer Randale verwechselt
Befreiung anstrebt, aber nicht Befreiungsnationalismus als Mittel zur Überwindung des Kapitalismus abfeiert
Antisemitismus nicht nur auf der Rechten verortet, sondern unreflektierten Antizionismus und perfiden Judenhass auch im eigenen Umfeld erkennt
Menschlichkeit bewahrt, auch wenn die real existierende Menschheit dazu wenig Anlass gibt
sich weder weder von der Macht der Anderen, noch von der eigenen Ohnmacht dumm machen lässt.

Eine solche kosmopolitisch orientierte Linke wäre im Kampf gegen den global heraufziehenden Faschismus dringend nötig.

  1. Was können wir tun?

Sicher ist es ratsam, im täglichen Newsbusiness, in den sozialen Medien und auf Demos immer wieder mit Fakten, Fakten, Fakten aufzuklären: gegen verhetzende FakeNews („Kindermörder Israel“) und gegen die tagesaktuelle Delegitimierung des jüdischen Staates. Auf Dauer nachhaltiger wäre es aber, die beschriebene, grundsätzlich solidarische Haltung zu dem Doppelcharakter der israelischen Staatlichkeit zu popularisieren. Und damit auch den Fokus wegzurücken von einer andauernden militärstrategischen Diskussion über Kriegshandlung X oder Y im Mittleren Osten – hin zu einer Kritik des #Antizionismus in Deutschland. Eine schwierige Aufgabe. Hier haben sich die versprengten klugen Kräfte in der Linken im letzten Jahrzehnt viel zu sehr in die #Defensive drängen lassen. Jetzt brauchen wir aber wieder die altbekannte Kritik im Handgemenge, die jenseits von Dogmen Aufklärung ermöglichen kann.

Wir möchten in diesem Sinne dazu aufrufen, sich zu vernetzen, zusammentun, wenigstens punktuell in die Offensive zu kommen. Da die entsprechenden Kräfte derzeit schwach sind, sollten wir uns auch Guerilla-Taktiken bedienen: konfrontativ sein, um Aufsehen zu erregen. Etablierte Medien für unsere Zwecke nutzen. Kleine Nadelstiche setzen, die Erkenntnis befördern können. Seien es aufklärerische Agitation bei SocialMedia, eigene Kundgebungen, Parolen im öffentlichen Raum, oder gezielte, kritische Provokationen der #PalästinaDemos. Aber auch in Diskussion gehen, Fakten liefern und Hintergründe erklären, wo Menschen nicht komplett verblendet sind. Solidaritätsaktionen für die Geiseln im Gaza-Streifen, Kundgebungen vor #Synagogen (wo gewünscht) und kreative Angriffe auf Antisemit_innen aller Couleur sind weitere Handlungsoptionen.

Auf dass wir eines Tages mit unseren Genoss_innen „auf dem Wasser des Toten Meers liegen und nichts tun“ können! Bis dahin wird leider noch viel Wasser den Jordan herunter fließen müssen.

gruppe 8. mai [neukölln]
https://achtermai.blackblogs.org/2023/11/14/fur-das-leben-gegen-den-tod-kosmopolitische-linke-statt-antizionistische-querfront/

bisher das klügste, was ich dazu in letzter zeit gelesen habe

deutschlandfunk@squeet.me

Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Doppelbestrafung

Der Tag - Freispruch bliebt Freispruch

Das BVerfG hat die Reform der Strafprozessordnung gekippt. Auch bei Mord kein neuer Prozess nach Freispruch. Und: Das Lagebild zu sexuellem Kindesmissbrauch.#BUNDESVERFASSUNGSGERICHT #MISSBRAUCH #SexuelleGewalt #MORD
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Doppelbestrafung

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#politik #geschichte #kapitalismus #konterrevolution #neoliberalismus #putsch #folter #mord #klassenkampf-von-oben #usa #wertewesten

11.9.73: Allendes letzten Worte

Radio Magallanes, 11.9.1973, 11.00 Uhr Lokalzeit

Heute am 11. September jährt sich zum 50. Mal der Putsch gegen den sozialistischen Präsident Chiles, Salvador Allende , durch faschistische Kräfte um den chilenischen General Augusto Pinochet und mit Unterstützung des CIA. Im Zuge der Machtübernahme durch das Militär starben laut Amnesty International bis zu 30.000 Menschen. Wir dokumentieren an dieser Stelle die letzte Rede Salvador Allendes, die er hielt, während faschistische Kräfte den Präsidentenpalast und die Radiostation stürmten.

Salvador Allende am 11. September 1973, 11.00 Uhr in der Radiostation Magellan:

Es ist sicherlich das letzte Mal, dass ich mich an euch wende. Die Luftstreitkräfte haben die Sendeanlagen von Radio Portales und Radio Corporacion bombardiert. Meine Worte sind nicht von Bitternis geprägt, sondern von Enttäuschung. Sie sind auch die moralische Züchtigung derjenigen, die den Eid, den sie geleistet haben, gebrochen haben: Soldaten Chiles, amtierende Oberbefehlshaber und Admiral Merino, der sich selbst ernannt hat, der verachtungswürdige General Mendoza, der noch gestern der Regierung seine Treue und Loyalität bezeugte und sich ebenfalls selbst zum Generaldirektor der Carabineros ernannt hat. Angesichts solcher Tatsachen kann ich den Werktätigen nur eines sagen: Ich werde nicht zurücktreten.

In eine historische Situation gestellt, werde ich meine Loyalität gegenüber der Bevölkerung mit meinem Leben bezahlen. Und ich kann euch versichern, dass ich die Gewissheit habe, dass nichts verhindern kann, dass die von uns in das edle Gewissen von Tausenden und Abertausenden Chilenen ausgebrachte Saat aufgehen wird. Sie haben die Gewalt, sie können zur Sklaverei zurückkehren, aber man kann weder durch Verbrechen noch durch Gewalt die gesellschaftlichen Prozesse aufhalten. Die Geschichte gehört uns, es sind die Völker, die sie machen.

Werktätige meines Vaterlandes! Ich möchte euch danken für die Loyalität, die ihr immer bewiesen habt, für das Vertrauen, das ihr in einen Mann gesetzt habt, der nur der Dolmetscher der großen Bestrebungen nach Gerechtigkeit war, der sich in seinen Erklärungen verpflichtet hat, die Verfassung und das Gesetz zu respektieren, und der seiner Verpflichtung treu war. Dies sind die letzten Augenblicke, in denen ich mich an euch wenden kann, damit ihr die Lehren aus den Ereignissen ziehen könnt.

Das Auslandskapital, der mit der Reaktion verbündete Imperialismus haben ein solches Klima geschaffen, dass die Streitkräfte mit ihren Traditionen brechen, mit den Traditionen, die ihnen von General Schneider gelehrt und von Kommandant Araya bekräftigt wurden. Beide wurden Opfer derselben Gesellschaftsschicht, der gleichen Leute, die heute zu Hause sitzen in Erwartung, durch Mittelsmänner die Macht zurückzuerobern, um weiterhin ihre Profite und ihre Privilegien zu verteidigen. Ich wende mich vor allem an die bescheidene Frau unserer Erde, an die Bäuerin, die an uns glaubte, an die Arbeiterin, die mehr arbeitete, an die Mutter, die unsere Fürsorge für die Kinder kannte. Ich wende mich an die Angehörigen der freien Berufe, die eine patriotische Verhaltensweise zeigten, an diejenigen, die vor einigen Tagen gegen den Aufstand kämpften, der von den Berufsvereinigungen, den Klassenvereinigungen angeführt wurde. Auch hierbei ging es darum, die Vorteile zu verteidigen, die die kapitalistische Gesellschaft einer kleinen Anzahl der Ihrigen bietet. Ich wende mich an die Jugend, an diejenigen, die gesungen haben, die ihre Freude und ihren Kampfgeist zum Ausdruck brachten. Ich wende mich an den chilenischen Mann, an den Arbeiter, an den Bauern, an den Intellektuellen, an diejenigen, die verfolgt werden, denn der Faschismus zeigt sich bereits seit vielen Stunden in unserem Land: in den Terrorattentaten, in den Sprengungen von Brücken und Eisenbahnen, in der Zerstörung von Öl- und Gasleitungen. Angesichts des Schweigens … [von Bombendetonationen übertönt] … dem sie unterworfen waren. Die Geschichte wird über sie richten.

Radio Magallanes wird sicherlich zum Schweigen gebracht werden, und der ruhige Ton meiner Stimme wird euch nicht mehr erreichen. Das macht nichts, ihr werdet sie weiter hören, ich werde immer mit euch sein, und ich werde zumindest die Erinnerung an einen würdigen Menschen hinterlassen, der loyal war hinsichtlich der Loyalität zu den Werktätigen.

Die Bevölkerung muss sich verteidigen, aber nicht opfern. Die Bevölkerung darf sich nicht unterkriegen oder vernichten lassen, sie darf sich nicht demütigen lassen.

Werktätige meines Vaterlandes! Ich glaube an Chile und sein Schicksal. Es werden andere Chilenen kommen. In diesen düsteren und bitteren Augenblicken, in denen sich der Verrat durchsetzt, sollt ihr wissen, dass sich früher oder später, sehr bald, erneut die großen Straßen auftun werden, auf denen der würdige Mensch dem Aufbau einer besseren Gesellschaft entgegengeht. Es lebe Chile! Es lebe die Bevölkerung! Es leben die Werktätigen! Das sind meine letzten Worte, und ich habe die Gewissheit, dass mein Opfer nicht vergeblich sein wird. Ich habe die Gewissheit, dass es zumindest eine moralische Lektion sein wird, die den Treuebruch, die Feigheit und den Verrat verurteilt.

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

#musik #politik #geschichte #kapitalismus #konterrevolution #neoliberalismus #putsch #folter #mord #klassenkampf-von-oben #usa #wertewesten

11.9.73: Floh de Cologne - Mumien – Kantate für Rockband

  • Floh de Cologne benennen im Oratorium »Mumien« (1974) die Hintergründe und Folgen des 11. Septembers 1973. Floh de Cologne führen Salvador Allendes letzte Rede auf. Der faschistische Putsch in Chile versetzt die fortschrittliche Welt in einen tagelangen Schockzustand und löst – nach Vietnam – eine zweite internationale Welle der Solidarität aus, die dann mit der portugiesischen Nelkenrevolution 1974 ihren vorerst letzten Höhepunkt erleben sollte.
mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

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Die langen Wellen der Konterrevolution

Mit dem Putsch von 1973 wurde der Neoliberalismus in Chile gewaltsam installiert. Das wirkt bis heute nach (Von Frederic Schnatterer)

Im November 2021 gab sich der damalige Präsidentschaftskandidat Gabriel Boric kämpferisch. »Wenn Chile die Wiege des Neoliberalismus in Lateinamerika war, dann wird es auch sein Grab sein«, erklärte der Politiker des Frente Amplio zuversichtlich. Mit dem Slogan ließ sich zu der Zeit durchaus Wahlkampf machen. Nur etwas mehr als ein Jahr zuvor hatte sich eine überwältigende Mehrheit in einem Referendum für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung ausgesprochen, die die alte, noch aus der Militärdiktatur stammende ersetzen sollte. Im Mittelpunkt der Massenproteste von 2019 stand die Kritik an der großen Ungleichheit im Land – eine Folge des Neoliberalismus, dessen Ursache wiederum in der geltenden Verfassung gesehen wurde.

Heute ist Boric Staatschef des südamerikanischen Landes, eine Abkehr vom neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell ist allerdings nicht absehbar. Am 4. September 2022 votierten 62 Prozent der Wähler gegen einen zuvor von einem Konvent ausgearbeiteten Verfassungsentwurf, der einen deutlichen Bruch mit dem gültigen Text bedeutet hätte. Anfang Juni 2023 legte eine sogenannte Expertenkommission nach dreimonatiger Arbeit einen neuen Entwurf vor. Auf dieser Grundlage macht nun ein Verfassungsrat weiter, dessen Mitglieder im Mai gewählt worden waren. Er wird von der Rechten dominiert, allein der Partido Republicano, dessen Vorsitzender José Antonio Kast mehrfach öffentlich seine Bewunderung für den ehemaligen Diktator Augusto Pinochet ausgedrückt hat, verfügt über 22 der 51 Sitze.

Die Verfassung, die ersetzt werden soll, stammt aus dem Jahr 1980. Trotz Veränderungen, die in den Jahren 1989 und 2005 vorgenommen worden waren, hat sich ihr grundsätzlicher Charakter bis heute nicht geändert. Ihre Geschichte reicht jedoch weit vor das Jahr 1980 zurück und ist untrennbar mit dem Militärputsch gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende am 11. September 1973 verbunden. Zwar war der Staatsstreich kein Teil eines neoliberalen Masterplans. Trotzdem schuf er die Voraussetzungen für die Implementierung des heutigen chilenischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells.

Im September 1970 hatte Allende als Kandidat des Linksbündnisses Unidad Popular (UP) mit 36,6 Prozent einen knappen Vorsprung bei den Präsidentschaftswahlen erlangt und war dann vom Parlament gewählt worden. Sein Versprechen eines »demokratischen Wegs zum Sozialismus« umfasste die Vertiefung dreier Kernvorhaben, die bereits von vorherigen Regierungen angestoßen worden waren. So sollten Schlüsselindustrien verstaatlicht, die unter seinem Vorgänger Eduardo Frei begonnene Landreform vertieft und mittels Sozialprogrammen der gesellschaftliche Reichtum umverteilt werden. Diese Maßnahmen sollten mit einer Umgestaltung des Staates hin zu einem »Estado Popular« einhergehen – einer Gesellschaft, in der die Macht tatsächlich vom Volke ausgeht.

Chicago Boys und Staatsterror

Kapitaleigner und Großgrundbesitzer setzten seit Tag eins der Regierung Allende auf deren Destabilisierung. Dabei konnten sie auf die tatkräftige Unterstützung Washingtons zählen. Bereits 1970 hatte US-Präsident Richard Nixon die CIA angewiesen, die chilenische Wirtschaft »zum Schreien zu bringen«, wie aus lange unter Verschluss gehaltenen Geheimdokumenten hervorgeht. Auf Druck der USA wurde die Allende-Regierung von der Kreditvergabe der Weltbank und der Interamerikanischen Entwicklungsbank ausgeschlossen. Zudem blockierte die Nixon-Administration die Umschuldung von chilenischen Verbindlichkeiten im Ausland. So wurden die Produktivität gedrosselt, Investitionen erschwert und die chilenische Wirtschaft von den internationalen Märkten abgeschnitten. Die Folge: eine schwere Wirtschaftskrise, die 1973 ihren Höhepunkt erreichte.

Für die chilenische Rechte wurden mit dem Amtsantritt von Allende und dessen Unidad Popular die schlimmsten Alpträume wahr. Sie begann sich zu radikalisieren. Bei immer größeren Teilen der Bourgeoisie sowie rechtskonservativer Kreise bildete sich die Überzeugung heraus, ein »radikaler Bruch« mit der Regierung sei notwendig – worunter immer häufiger auch ein Militärputsch verstanden wurde. Zum »radikalen Bruch« gehörte ebenfalls mehr und mehr der Wunsch, die Wirtschaft wie die gesamte chilenische Gesellschaft konterrevolutionär umzugestalten.

Diese sich bei den Mächtigen langsam durchsetzende Haltung schuf für eine Gruppe chilenischer Ökonomen – die sogenannten Chicago Boys – beste Voraussetzungen für ihre Überzeugungsarbeit. Sie konnten so ihren Einfluss in wichtige Kreise der chilenischen Gesellschaft ausdehnen. 1956 hatte die School of Economics der Chicago University eine Kooperationsvereinbarung mit der Pontificia Universidad Católica de Chile (PUC) abgeschlossen. Die beinhaltete unter anderem ein Austauschprogramm für Professoren sowie ein Stipendienprogramm für chilenische Studenten, die an die US-Hochschule geschickt wurden. Die Universität in Chicago, an der seit 1946 Milton Friedman lehrte, galt bereits damals als führend für das globale neoliberale Projekt.

Finanziert wurde die Vereinbarung über Umwege von der US-Regierung, die den zu der Zeit in Chile vorherrschenden strukturalistisch bis marxistisch geprägten Wirtschaftswissenschaften eine Ideologie des freien Marktes entgegenstellen wollte. Anfangs beschränkte sich ihr Einfluss jedoch auf die recht unbedeutende Wirtschaftsfakultät der PUC sowie einige wenige Unternehmer. Das änderte sich erst mit dem Amtsantritt von Allende, als die von den Chicago Boys vorgeschlagenen »Korrekturmaßnahmen« allmählich in immer größeren Kreisen der Rechten opportun erschienen. Ihrer antikommunistischen Hoffnung entsprechend sollte mit den Maßnahmen nicht nur die UP-Regierung gestürzt, sondern es sollten auch sozialistische Ideale schnell und endgültig ausgerottet werden – eine Konterrevolution des Kapitals.

Bereits direkt mit dem Putsch am 11. September 1973 bauten die neoliberalen Wirtschaftsideologen der Chicago Boys enge Beziehungen zum Militäregime auf. Am 14. September berief Marineadmiral José Toribio Merino, der nach dem Staatsstreich der Junta angehörte, Sergio de Castro zum Berater des Wirtschaftsministers. Der führende Chicago Boy sollte später selbst das Wirtschafts- sowie das Finanzministerium unter Pinochet leiten. Schon am 12. September, nur einen Tag nach dem Putsch, hatte die Gruppe der Junta ihre Studie »El Ladrillo« (Backstein) ausgehändigt. Die Aufsatzsammlung gilt als Grundlage vieler wirtschaftspolitischer Maßnahmen, die während der Militärdiktatur in die Realität umgesetzt wurden.

Zur Rechtfertigung des Staatsstreichs diente die Legende, Chile müsse vor den »sozialistischen Experimenten« der Unidad Popular gerettet werden. So wiederum wurden alle folgenden Verbrechen und Verletzungen der Menschenrechte als »notwendige Übel« legitimiert. Eine wirtschaftliche Modernisierung des Landes wurde als dringend geboten dargestellt, eine Ablehnung jeglicher staatlicher Regulierungsmaßnahmen mit einbegriffen. Über ein klar definiertes Wirtschaftsprogramm verfügten die Putschisten nach dem Staatsstreich allerdings zunächst nicht. Ziel war vorerst, »das Fortschrittsniveau wiederzuerlangen, das unser Land hatte und das von der marxistischen Regierung von Allende drei Jahre lang gestoppt und untergraben worden ist«, wie Pinochet selbst erklärte.

Eine notwendige Voraussetzung dafür war der organisierte Staatsterror, der gegen Anhänger der UP-Regierung, andere Linke und insgesamt die organisierte Arbeiterschaft vom Zaun gebrochen wurde. Er erst ermöglichte, dass Chile zum »Labor des Neoliberalismus« wurde. 1975 nahm die Junta den »Plan de Recuperación Económica« (Plan zur wirtschaftlichen Erholung) an – die »Schocktherapie«, die Friedman für Chile gefordert hatte. Fast zwei Jahrzehnte nach Beginn des Austauschprogramms zwischen der Pontificia Universidad Católica und der Chicago University bot sich nun die Möglichkeit, nicht nur mit den unter der Unidad Popular gemachten Fortschritten aufzuräumen, sondern sogleich die seit Jahrzehnten im Land wirksamen Beschränkungen für die Wirtschaft aus dem Weg zu räumen. Dank der Diktatur war keinerlei Gegenwehr von Arbeiterorganisationen zu befürchten.

Die neoliberalen Vorgaben – Privatisierungen, Deregulierungen und drastische Einschnitte bei Staats- und insbesondere Sozialausgaben – wurden in die Praxis umgesetzt. Zu den Maßnahmen gehörten die Privatisierung praktisch aller zuvor staatlichen Unternehmen, Banken und Versorgungseinrichtungen, die radikale Reduzierung von Zöllen sowie die brutale Kürzung öffentlicher Ausgaben. Zwischen 1973 und 1979 strich die Junta ihre Ausgaben von 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 26 Prozent zusammen. Große Teile des Bildungs-, des Renten- sowie des Gesundheitssystems wurden privatisiert – und sind es bis heute. Im Jahr 1980 befanden sich von 400 Unternehmen, die zum Zeitpunkt des Putsches staatlich gewesen waren, nur noch 15 in öffentlicher Hand. Die an den Schaltstellen in zahlreichen Ministerien sitzenden Chicago Boys hatten freie Hand.

Die Pinochet-Verfassung

Nur wenige Tage nach dem Staatsstreich erhielt der rechtskonservative Jurist Jaime Guzmán, ebenfalls von der PUC, den Auftrag, eine Verfassung für die Militärjunta auszuarbeiten. Später wurde eine Kommission gegründet, der weitere ultrarechte Intellektuelle und Politiker angehörten. Nach fünfjähriger Arbeit präsentierten die Mitglieder der sogenannten Comisión Ortúzar am 17. Oktober 1978 einen ersten Verfassungsentwurf. Nach weiterer Revision durch die Militärjunta wurde die Konstitution am 11. September 1980 in einer keineswegs freien Volksabstimmung angenommen.

Die Pinochet-Verfassung bildet die Grundlage des bis heute in Chile herrschenden neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells. Sie legt fest, dass die Rolle des Staates auf ein Minimum reduziert ist und garantiert Kapitalinteressen Vorrang gegenüber sozialen Grundrechten. So wie das Individuum in nahezu allen Lebensbereichen auf seine Rolle als Wirtschaftsakteur reduziert wurde, »atomisierte« sich die chilenische Gesellschaft. Darüber hinaus bestand die Funktion der Verfassung von 1980 auch darin, den Bestand der nach 1973 eingeführten Ordnung auch über das formale Ende der Diktatur hinaus zu garantieren. So setzt sie demokratischen Veränderungsmöglichkeiten enge Grenzen. Sie schuf Institutionen und Mechanismen, die es Diktaturanhängern und anderen Rechten ermöglichen, grundlegendere Reformen des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zu blockieren. Hierin liegt ihr bis heute wirkmächtiges Erbe: Die Verfassung zementiert das neoliberale Politikverständnis, das allen demokratischen Mechanismen grundsätzlich misstraut.

Auch wenn die internationale Rechte die Auswirkungen des neoliberalen Umbaus Chiles in höchsten Tönen lobte: Von einem »ökonomischen Wunder« – den Begriff prägte Friedman in bezug auf die chilenische Entwicklung am 25. Januar 1982 in seiner Kolumne in Newsweek – kann keine Rede sein. Mit der Wirtschaftsleistung des Landes ging es bergab. Leidtragende waren die Beschäftigten, Frauen und Kleinbauern. Zwischen 1973 und 1980 sank der Durchschnittslohn eines Arbeiters um 17 Prozent. Die Erwerbslosenquote stieg rapide an und erreichte 1982 fast 30 Prozent. Als Chile 1990 formal zur bürgerlichen Demokratie zurückkehrte, lebten selbst nach offiziellen Angaben rund 45 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Die reichsten zehn Prozent hatten ihr Vermögen während der Militärdiktatur indes fast verdoppeln können.

Massenverarmung und stetig wachsende Ungleichheit führten zu immer mehr Protesten, insbesondere infolge der Schuldenkrise 1982, die auch Chile hart traf. Die Verfassung von 1980 sah die Möglichkeit vor, 1988 mittels eines Referendums darüber abstimmen zu lassen, ob Pinochet weitere acht Jahre an der Macht bleiben solle. Trotz des eindeutigen »Nein« im Plebiszit und des Sieges einer »Mitte-links«-Koalition – der sogenannten Concertación – bei den Wahlen im folgenden Jahr blieben grundsätzliche Veränderungen am neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell aus. Vielmehr passten die folgenden Concertación-Regierungen nach 1990 das vorherrschende Modell an den neuen institutionellen Rahmen an. Manche Beobachter sprechen daher davon, dass es so gefestigt wurde.

Das Erbe der Junta

Das Ende der Pinochet-Diktatur wurde auf einem von der Militärjunta selbst konzipierten Wege erreicht. Auch deswegen geriet ihr Erbe in den Folgejahren nie ernsthaft in Gefahr – trotz vereinzelter größerer Mobilisierungen beispielsweise von Studierenden oder der Bewegung gegen das private Rentenversicherungssystem AFP. Das änderte sich erst mit der »sozialen Revolte« von 2019, als innerhalb weniger Wochen Hunderttausende auf die Straßen gingen, sich in Stadtteilkomitees organisierten und über alternative Gesellschaftsentwürfe diskutierten. Sie hatten das neoliberale Modell als Ursache für die extremen sozialen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in Chile erkannt. Plötzlich schien es, als stünde der Neoliberalismus in Chile unmittelbar vor seinem Ende.

Das böse Erwachen kam mit dem eindeutigen Nein zum ausgearbeiteten Verfassungsentwurf am 4. September 2022. Chiles Staatspräsident Boric, der gemeinsam mit der Kommunistischen Partei regiert, ist heute weit davon entfernt, den Neoliberalismus zu Grabe zu tragen. Zwar wird die Verfassung von 1980 durch eine neue ersetzt werden. Dass sich die neue Konstitution allerdings grundlegend vom aktuell gültigen Text aus der Pinochet-Diktatur unterscheiden wird, ist unwahrscheinlich. Angesichts der im Konvent herrschenden Dominanz rechter Abgeordneter ist es sogar gut möglich, dass die Chileninnen und Chilenen am 17. Dezember über einen noch reaktionäreren Entwurf abstimmen müssen. Die Konterrevolution, die die Allende-Regierung stürzte, ist heute noch nicht beendet.

mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

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11.9.73: Globale Konterrevolution

Verdichtung von Raum und Zeit. Zur Bedeutung des Putsches in Chile (Von Daniel Bratanovic)

In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mussten die Zeitgenossen durchaus den Eindruck haben, dass sich nicht der Kapitalismus, sondern der Sozialismus in der Offensive befindet. Genossen hierzulande berichten, wie sie auf Weltkarten, die in den Parteibüros hingen, alle jene Länder mit roten Fähnchen markierten, die sich zu einem sozialistischen Entwicklungsweg bekannten. Es wurden ihrer immer mehr.

Ein erheblicher Teil der nachkolonialen Staaten Afrikas, viele Länder des arabischen Raums und nicht wenige Nationen Asiens schlugen diese Richtung ein. In Kuba hatten 1959 Guerilleros mit Fidel Castro und Che Guevara an der Spitze den mit Washington verbündeten Diktator Fulgencio Batista verjagt und alsbald begonnen, die Niederlassungen von US-amerikanischen Unternehmen zu verstaatlichen. Nachdem 1970 Salvador Allende, der Kandidat des Volksfrontbündnisses Unidad Popular, zum Präsidenten gewählt worden war, stellte die neue Regierung in Chile ebenfalls die Eigentumsfrage, nationalisierte die Kupferminen und enteignete chilenische Unternehmen in der Hand von US-Konzernen.

Die Beseitigung der sozialistischen Regierung in Chile am 11. September 1973 und der Aufbau eines faschistischen Terrorapparats – übrigens mit Unterstützung alter Nazis, die nach 1945 entkommen waren –, der Oppositionelle gnadenlos jagte und ermordete, waren ein schwerer Schock für das Lager der Fortschrittsleute, aber in der zeitgenössischen Wahrnehmung noch lange nicht das Ende. Kein Jahr später machten progressive Offiziere unter dem Jubel der Massen Schluss mit der Salazar-Diktatur. Portugals Nelkenrevolution im April 1974 entließ dann rasch Guinea-Bissau, Angola und Mosambik aus der kolonialen Beherrschung. Die dortigen antikolonialen Befreiungsbewegungen optierten für eine sozialistische Orientierung. 1978 eroberte die Demokratische Volkspartei in Afghanistan die Macht, 1979 stürzte in Nicaragua die Sandinistische Befreiungsfront den Diktator Somoza, im gleichen Jahr übernahm eine nationalrevolutionäre Partei die Macht im karibischen Inselstaat Grenada.

Noch bis zum Ende des Jahrzehnts konnten die Genossen also weitere Fähnchen auf ihre Weltkarten stecken und schienen begründeten Anlass zu den schönsten Hoffnungen auf einen Planeten ohne Ausbeutung zu haben. Was sie damals kaum wissen konnten: Die Welle revolutionärer Erschütterungen brach genau zu jener Zeit. Der real existierende Sozialismus war auf eine abschüssige Bahn geraten, seine Krise jedoch anfangs, zu Beginn der 70er Jahre, lediglich latent und daher nur schwer erkennbar.

Das Jahr 1973 markierte mit der Zerstörung des 1944 geschaffenen Weltwährungssystems, der Durchsetzung marktradikaler Strategien bzw. einer Zurückdrängung des staatlichen Einflusses auf die Wirtschaft einen epochalen Wendepunkt, eine neue Periode in der Geschichte des Kapitalismus wurde eingeleitet.

Der Putsch in Chile und seine Folgen allerdings erweisen sich in der Rückschau von einem halben Jahrhundert als sehr viel bedeutungsschwerer denn als bloßer Dämpfer für eine Welt auf dem Weg zum Sozialismus. Das Jahr 1973 markierte mit der Zerstörung des 1944 geschaffenen Weltwährungssystems, der Durchsetzung marktradikaler Strategien bzw. einer Zurückdrängung des staatlichen Einflusses auf die Wirtschaft einen epochalen Wendepunkt, eine neue Periode in der Geschichte des Kapitalismus wurde eingeleitet. Vor dem Hintergrund der damals gerade in Gang gesetzten »dritten industriellen Revolution« in der Informationstechnologie hob ein Zeitalter an, das bisweilen – ungenau genug – neoliberale Globalisierung genannt wird.

Was auch immer sonst damit bezeichnet ist, diese Wende bedeutete eine Zurückdrängung der Macht der Lohnabhängigen in der gesamten kapitalistischen Welt, und in dieses Zeitalter fällt auch der Untergang der sozialistischen Staaten. Dieser Umschlag im Weltmaßstab verdichtet sich zu einem Tag an einem Ort: dem 11. September 1973 in Santiago. Das Terrorregime der Militärjunta in Chile schuf die Voraussetzung, gleichsam unter Laborbedingungen neoliberale Wirtschaftskonzepte zu probieren, die bald auch andernorts Anwendung finden sollten. Insofern steht dieser Tag nicht nur für das gewaltsame Ende des Versuchs, in Chile eine Ökonomie der Gleichheit und Gerechtigkeit aufzubauen, sondern auch für eine globale Konterrevolution.
- https://www.jungewelt.de/beilage/art/458297

aktionfsa@diasp.eu

07.07.2023 Fall Ouri Jalloh kommt vor Menschenrechtsgerichtshof

Familie klagt vor dem EGMR

Die Familie des 2005 in einer Polizeiwache in Sachsen-Anhalt verbrannten Asylbewerbers Oury Jalloh hat Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingereicht. Der Kläger, ein Bruder von Ouri Jalloh beruft sich auf das Recht auf Leben aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und auf das Verbot der Folter und das Diskriminierungsverbot.

Vor über 18 Jahren war Ouri Jalloh auf einer Matratze gefesselt liegend in einer Zelle der Polizei in Dessau in Sachsen-Anhalt verbrannt. Obwohl er bei seiner Festnahme durchsucht worden sein soll, wird behauptet, dass er das Feuer selbst gelegt hat.

Inzwischen gibt es einen 300-seitigen Untersuchungsbericht von zwei Sonderermittlern, die zahlreiche Fehler der Polizei und anderer Behörden festgestellt hatten. Wegen nicht korrekter Beaufsichtigung des Gefangenen wurde 2012 ein Polizist verurteilt.

Initiativen, Freunde und Familie des Gestorbenen sprechen aber weiterhin von "Mord" und sehen "offensichtliche Missstände und Widersprüche im Bereich der Polizeiarbeit".

Mehr dazu bei https://www.nzz.ch/international/deutschland-die-neusten-meldungen-ld.1745647
und alle unsere Artikel zu Ouri Jalloh https://www.aktion-freiheitstattangst.org/cgi-bin/searchart.pl?suche=Jalloh&sel=meta
Kategorie[21]: Unsere Themen in der Presse Short-Link dieser Seite: a-fsa.de/d/3uZ
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mikhailmuzakmen@pod.geraspora.de

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Zum Begriff "Asylkompromiss":

Im jamaikanischen Englisch existiert der Begriff »Politricks«, der auf das im Oxford-Englischen gebräuchliche »Politics« referiert und Politik mit Trickreichtum assoziiert. »Asylkompromiss« ist so ein betrügerisches Spiel mit Worten in Gestalt eines Euphemismus: Denn es gibt keinen Kompromiss zwischen jenen, die um Aufnahme bitten, und denen, an die dieses Begehr adressiert ist. Eine Geflüchtetenvertretung saß nie mit am Verhandlungstisch. Statt dessen ist die jüngste Entscheidung, die Grenzen der Festung Europa mit gefängnisähnlichen »Asylzentren« auszubauen, wie schon vor 30 Jahren das Ergebnis von Zwistigkeiten zwischen Lagern ein und derselben herrschenden Klasse.

Als sich im Dezember 1992 CDU/CSU, FDP und SPD darauf einigten, das Grundrecht auf Asyl faktisch abzuschaffen, mochte damals noch klarer gewesen sein, wer sich hier auf was einigte. Für den vollumfänglichen Erhalt des Artikels 16 des Grundgesetzes protestierten am Tag der Abstimmung im Bundestag, dem 26. Mai 1993, in Bonn trotz Bannmeile immerhin 10.000 Menschen. Sie blieben ungehört. »Gehört« worden war vielmehr der rechte Mob, der landauf, landab »Fidschis« klatschte und »Türken« jagte. Allein zwischen dem 3. Oktober 1990 und dem 26. Mai 1993 waren diesem Terror mehr als 80 Menschen zum Opfer gefallen – das letzte Opfer, der deutsch-ägyptische Schauspieler Jeff Dominiak, noch am Tag der Bonner Abstimmung.

1993 hatten sich die Grünen, neben der Partei des demokratischen Sozialismus (PDS), noch gegen die Einschränkung des Rechts auf Asyl ausgesprochen. Sie hätten schließlich mit einer Fürsprache auch nirgends gepunktet. Heute, wo die Partei in Regierungsverantwortung steht und sich ein anführender Hyperrealoflügel intern mit einem anderen Realoflügel zumindest nach außen hin ein bisschen kampeln muss, bedecken grüne Krokodilstränen die dürre Erde: »Auch mich hat das zerrissen«, menschelte Außenministerin Annalena Baerbock Joseph-Fischer-like auf dem Länderrat ihrer Partei am vergangenen Wochenende im hessischen Bad Vilbel. Sie reagierte damit auf Kritik, aus den Reihen des Jugendverbands, aber auch in Form eines Briefs von 80 Landtagsabgeordneten, die beklagten, die Reformen würden »keine Menschenleben retten, keine gerechte Verteilung in der EU herbeiführen und den Kommunen keine Abhilfe bei ihren akuten Problemen schaffen«, statt dessen aber »eine weitere Verschlechterung der Rechte für Menschen, die sich auf der Flucht befinden«, bedeuten.

Denn das besagt der neue »Asylkompromiss«: Menschen, die ob ihres Passes statistisch wenig Chancen auf Anerkennung ihres Asylstatus haben, aus Ländern wie der Türkei oder Tunesien also, sollen nunmehr während des laufenden Asylverfahrens in der Nähe der EU-Außengrenze wie Häftlinge interniert werden. Die Verfahren sollen nicht länger als drei Monate dauern, bei negativem Bescheid soll die Abschiebung innerhalb von sechs Monaten geschehen. Zweifel daran, dass diese Fristen eingehalten werden, äußerte unter anderem die NGO Pro Asyl. In Anbetracht des Untergangs eines Flüchtlingsschiffs mit Hunderten Menschen an Bord vor der südgriechischen Hafenstadt Pylos vergangene Woche betonte die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE), die Reform besiegele die »Beerdigung der Genfer Flüchtlingskonvention«.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die sogleich nach Tunis eilte, um den »Partnern« in Sachen Migrationsabwehr finanzielle Zuwendungen anzukündigen, spricht derweil lieber davon, dass man das »Sterben im Mittelmeer« beenden und »Schlepper« dingfest machen wolle. Denn die sind in der Logik derjenigen, die sich Begriffe wie »Asylkompromiss« ausdenken, nämlich die eigentlich Schuldigen an der Migration – und nicht die imperialistische Gesamtordnung, in der die globalen Habenichtse, sofern sie westeuropäisches Kapital der Ausbeutung nicht für gut befunden hat (Stichwort: Einwanderungsgesetz), bleiben sollen, wo der Pfeffer wächst, oder eben neuerdings »menschenrechtskonform« ins Gefängnis kommen.
- von Ken Merten
https://www.jungewelt.de/artikel/453186.rotlicht-asylkompromiss.html

seebrueckeffm@venera.social

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